Lüneburg, am Montag den 17.06.2024

Gegenwind für Windkraft — Demo auf dem Markt

von Carlo Eggeling am 24.05.2024


Was ist wichtiger fürs Klimaretten? Das Ökosystem Wald oder der Bau von Windrädern, deren eingefangene Kraft fossile Energieträger ersetzen soll? Für die BI Unser Wald in Deutsch Evern ist die Sache klar, das sagt schon der Titel. Gespräch am Freitagvormittag mit Wasser und Früchtetee bei Anja Scheller. "Klimaschutz kann nicht das Vernichten von Wäldern bedeuten", sagt sie. Die drei anderen am Tisch, Kristina Krüger, Claudia Marx und Monika Gerzmann, nicken. Alle sind sich einig, die Energiewende sei richtig, aber mit Augenmaß. Windräder auf einem Feld ja, aber doch nicht im Wald, der CO2 speichert, der für das Grundwasser eine entscheidende Rolle spielt, der Flechten, Mose, Tierarten eine Heimat bietet. Damit ist das Quartett nicht allein. Am Sonnabend machen alle windkraftbewegten Initiativen aus dem Kreis auf dem Markt auf ihre Position aufmerksam.

Deutsch Evern ist ein Sonderfall. Lüneburg verlagert das Weltretten quasi in die Nachbarschaft. Gemeinsam mit zwei Privatleuten gehören der Stadt über ihre Stiftungen südlich von Deutsch Evern ein Areal von knapp 200 Hektar Fläche. Eben dort könnten zehn Propeller in den Himmel wachsen. Dafür bräuchten die möglichen Betreiber, der Bauernverband Norstostniedersachsen, etwa zehn Hektar.

Während man im Rathaus der Meinung ist, der Tann sei nicht ganz so wertvoll, meinen die gut 80 BI-ler es verhalte sich ganz anders, sie beziehen sich dabei auf Einschätzungen der Umweltschutzorganisationen Nabu und BUND. Selbstverständlich sei der Forst wichtig, in Teilen eine Moorlandschaft. Viel mehr geht im Ranking der Naturschützer kaum.

Die BI erlebt, was alle erleben, die das umsetzen, was Politik und Verwaltung an Festtagen und im Wahlkampf gern als Bürgerbeteiligung und Transparenz erklären: zögerliche bis halbe Informationen. Schwerwiegende Gründe, warum hier nicht der Wille der Anwohner trägt, sondern das Große und Ganze. In Gorleben können sie ein Lied davon singen.

So habe ihnen Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch gesagt, dass der Bilmer Berg, dort hatte die Stadt eigentlich windige Flächen ausgewiesen, nicht infrage komme. Ein Punkt: Werde die Autobahn gebaut, gehe es mit den Windrädern nicht; die BI hingegen will herausgefunden haben, das gelte nur für einen relativ engen Korridor rechts und links der Trasse. Auch dass die Planungen vom Ende der 90er Jahre lediglich von rund 100 Meter hohen Windrädern ausgegangen sind und die heutigen bald dreimal so hoch aufragen, sei zu hinterfragen: Diese Vorgaben könne man doch ändern.

Viele Aha-Erlebnisse. "Wir machen die Erfahrung, wir müssen alles prüfen, denn manches, was uns die Behörden erzählen, stimmt nicht", sagt Anja Scheller. Claudia Marx ergänzt: Einen Steinwurf entfernt liege ein FFH-Gebiet, Goldstandard beim Naturschutz in der EU, da könne es doch nicht sein, dass der Wald nebenan hintenrunterfalle: Was habe es mit Nachhaltigkeit zu, wenn der Wald weichen müsse?

Natürlich binden die BI-Mitglieder einen ganzen Strauß von Argumenten zusammen, picksig wie Brennnesseln, der gegen die Quirle spricht: Gewaltige Fundamente im Boden nähmen Einfluss aufs Grundwasser, Hunderte Fuhren von Betonmischern für die Sockel, die über verdichtete Wege rollten, dazu ein Naherholungsgebiet, Lernort für Kindergärten und und und.

Im Rat in Lüneburg sowie in Deutsch Evern und in der Samtgemeinde Ilmenau gibt es andere Überlegungen. Neben der Energiewende geht's um Bares. Denn jedes Drehen der Windräder lässt die Kasse klingeln: Stadt, Gemeinde und Samtgemeinde erhielten unter anderem Steuern. Angesichts von Haushalten, die so finster ausschauen wie der Zentralfriedhof in mondloser Nacht, ein Argument. Alleine Lüneburg kämpft mit einem Defizit von rund 50 Millionen Euro.

Die vier Frauen meinen, es könne nicht nur ums Geld gehen, man müsse langfristiger denken, der Wald sei für das Klima letztlich eine Investitionen mit Zinsen über Generationen. Auch lebe man bewusst auf dem Dorf, Wälder und Felder gehörten dazu, die könne man nicht gegen den Willen der Bürger preisgeben.

Damit sind wir bei dem Hebelpunkt, den Initiativen stets ins Feld führen: Bürger sind Wähler. Sie haben mehr als 800 Unterschriften für ihre Position gesammelt, nach eigenen Ausgaben stammen mehr als 500 davon aus Deutsch Evern. Also stehen sie bei Ausschuss- und Ratssitzungen mit ihren Plakaten, stellen Fragen, nerven. Was sonst?

Erste Erfolge gibt es. Der Stadtrat in Lüneburg hatte mit 35 Ja- und drei Nein-Stimmen sowie drei Enthaltungen für den Windpark votiert. Also parteiübergreifend. Die Linie weicht auf. In der SPD gärt es, in der CDU auch. Als Claudia Kalisch die Lüneburger Kreistagsabgeordneten eingeladen hatte, um für ihre Wind-Position zu werben, kamen Rote und Schwarze nicht. Sie wollen, dass der Kreistag das Thema diskutiert. Sie sehen aber auch: Den Grünen bläst der Wind von ihren Anhängern entgegen, BUND und Nabu standen am Rathaus und fanden die grünen Überlegungen ziemlich doof. Vor Ort, so erzählen es die BI-Frauen, bekämen sie Unterstützung von Grünen.

Der Zwiespalt bleibt, die Energiewende schrammt sich schmerzthaft am Wald, der nicht nur Öko-System bedeutet, sondern seit Germanen-Zeiten einen mystischen, mitunter heiligen Ort. Wie geht's weiter? Mit Protest. Der könnte Erfolg haben.

Im Konzept des Landkreises, der ein sogenanntes regionales Raumordnungsprogramm vorgibt, bestehen für den Wald vier Möglichkeiten: Eine besagt, der Wald wird zügig zur windigen Energiequelle, die zweite sieht ihn eher als Reserve, und die beiden anderen lassen den Wald Wald sein.

Überdies könnte noch eine andere Variante greifen, die Gemeindeöffnungsklausel besagt: Deutsch Evern könnte bei der Samtgemeinde beantragen, die zehn Hektar als Quirl-Schonung auszuweisen, ein besonderer Wirtschaftswald.

Doch welcher Politiker will es sich mit den Wählern verscherzen? Die könnten auf die Idee kommen, dass aus ihren zarten Schößlingen eine waldige Initiative erwachsen könnte, die im Rat Platz nehmen möchte. Die Chancen der BI scheinen nicht die schlechtesten. Also machen sie weiter mit ihren Infoständen an den Supermärkten, ihren samstäglichen Waldspaziergängen, ihren Treffen. Sie sind nicht allein, weitere Gruppen protestieren in anderen Ecken des Landkreises, eigentlich des ganzen Landes. Die Energiewende kommt an. Vor Ort. Carlo Eggeling.

▶ Wenn der Wochenmarkt vor dem Rathaus am Samstag abgebaut wird, treffen sich Bürgerinitiativen gegen Windkraft aus dem Landkreis von 14 Uhr zur Kundgebung unter dem Motto: „Menschenkette gegen Kettensäge". Von 9 Uhr an soll es einen Info-Stand auf der Bäckerstraße geben.

© Fotos: ca / Hajo Boldt


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