Lüneburg, am Freitag den 26.04.2024

Meine Woche — Bürger wichtig, Bürger anstrengend

von Carlo Eggeling am 27.05.2023




Meine Woche

Positiv, negativ, komisch

Der Bürger soll dabei sein, eigentlich. Das steht in Parteiprogrammen, in Vorschriften und Gesetzen. Aber mal ehrlich, der Bürger kann ganz schön nerven. Wofür ist man schließlich Fachfrau? Frau deshalb, weil wir uns nimmer auf die männliche Form beschränken sollten und weil Stadtspitze und Bauverwaltung in Lüneburg weiblich geprägt sind. Da müht frau sich in den Fluren des Rathauses und nebenan an der Neuen Sülze ab, gestaltet Plätze wunderschön. Der Dank? Mecker. Fair ist das nicht.

Der Glockenhof ist so ein Beispiel. Zwar überhaupt nicht fertig, aber schon fotogen von der Oberbürgermeisterin eingeweiht als tragikomischste Baustelle der Stadt. Rollstuhlfahrer können wie BMX-Fahrer an der Rampe Sprünge üben, die Skateranlage an den Sülzwiesen ist schließlich nicht fertig. Wer nicht so trainiert ist, nimmt die zwei Stufen am Ende trotzdem. Unten ist er auf jeden Fall. So gesehen: Tapfer sein, denn eine Erklärung aus der Bauverwaltung hilft bei blauen Flecken und gebrochenen Knochen: "Nach DIN 18040-3 Barrierefreies Bauen, Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum, ist der Bau der Zuwegung dort korrekt umgesetzt. Allerdings ist die optische Sichtbarkeit der abgehenden Stufen nicht gegeben, wie sich nach der Fertigstellung gezeigt hat." Aua. Jetzt soll eine Mauer kommen.

Der Behindertenbeirat monierte, er sei nicht eingebunden worden. Nachfrage im Rathaus. Stimme so nicht: "Einem Vertreter des Behindertenbeirates wurde das Projekt vor Baubeginn von dem zuständigen Planer vorgestellt. Bei der Umplanung der Rampe, die sich im Bauprozess ergeben hat, haben wir versäumt, den Behindertenbeirat erneut einzubinden."

Die Vorsitzende des Behindertenbeirats lacht und wundert sich; Daniela Laudan: "Die Stadt bezieht sich dabei auf eine Bau-Ausschusssitzung am 2.6.2022, in der unser Herr Kubitz auch anwesend war. Dort wurden drei künftige Bauprojekte in einer Powerpoint-Präsentation vorgestellt, auch der Glockenhof. Das war alles an Beteiligung. Beteiligung bei Bauvorhaben sieht normalerweise so aus, dass wir in die Planungen im Vorfeld einbezogen werden, und nicht, wie jeder andere Bürger in einer Ausschusssitzung über eine bereits fertige Planung (lediglich) informiert werden."

Die Lobby der Gehandicapten muss gar nicht bitten, sie hat einen Anspruch darauf. Vergessen fühlt sich das Gremium von Stadtbaurätin Heike Gundermann und deren Tiefbau-Chefin Uta Hesebeck öfter mal. Beim Spielplatz am Kreidebergsee, war das Gremium nach eigener Aussage nicht gefragt. Die Verwaltung räumt das ein: "Das Thema Barrierefreiheit und behindertengerechte Planung insbesondere auch von Spielplätzen ist erst in den letzten Jahren mehr in den Vordergrund getreten." Der Spielplatz wurde vergangenes Jahr von einer fröhlichen Oberbürgermeisterin eröffnet. Wie viele Jahre meint frau?

Daniela Laudan lacht wieder. Allerdings etwas bitter. Ihr Tipp: Frau Gundermann und Frau Hesebeck müssten mal blättern, denn das Bundesgesetz zur Gleichstellung wurde 2002 inkraft gesetzt. Hannover schrieb das Niedersächsische Behindertengleichstellungsgesetz (NBGG) 2007: "Neubauten und große Um- und Erweiterungsbauten öffentlicher Stellen sind grundsätzlich barrierefrei zu gestalten." Und Behindertenvertretungen seien in Planungen einzubeziehen.

Nun war die Verwaltung bei Ikea einkaufen, um Grüne Oasen einzurichten. Der Denkmalschutz, sonst bei jedem Kram auf der Matte, musste offenbar zu Hause bleiben. Apfelsinenkisten mit Blühendem am Landgericht, ehemals Schloss des Herzogs. Vier verankerte Stühle. Blöd, wenn einer mit dem Rolli kommt, der passt nicht ins Viereck, sondern nur daneben, er merkt hautnah, ich gehöre zu einer Randgruppe. Den Behindertenbeirat habe man nicht gefragt: "Es gibt Dinge, die einfach Verwaltungsgeschäft sind, dazu zählen auch das Aufstellen von Bänken und Blumenkübeln. Im Falle der Grünen Oasen haben wir vorher die Geschäftsleute, die Lüneburger Marketing und LCM mit ins Boot geholt." Beide Organisationen scheinen -- um im Bild zu bleiben -- ebenfalls sehbehindert. Die Sprecherin der Oberbürgermeisterin: "Natürlich sind die Verweilzonen auch für Menschen mit Beeinträchtigungen geeignet. Wieso sollten sie es nicht sein?"

Daniela Laudan lacht nochmal bitter: "Zu den Themen 'Erreichbarkeit' und 'Nutzbarkeit' der Stadtmöbel könnte ich die Gegenfrage der Stadt mit einem Kurzroman beantworten... Aber genau das zeigt die Schwachstelle der Verwaltung -- sie denken Barrierefreiheit einfach nicht von vorneherein mit. Das schreiben sie selbst, wenn die Rede davon ist, dass das Thema erst in den letzten Jahren mehr in den Fokus geraten ist. Wenn die Stadt das verinnerlicht hätte, hätten wir ein deutlich entspannteres Leben und könnten uns um Wichtigeres kümmern wie z.B. digitale Barrierefreiheit."

Bürgerbeteiligung. Na ja. Anderes Beispiel. Frau Gundermann und Frau Hesebeck haben sich dagegen entschieden beim Projekt "Pflanze Deinen Baum". Lüneburger spendeten Geld für Bäume, die in der Stadt gesetzt wurden. Das war ziemlich nah. Doch entgegen eines alten Ratsbeschlusses wurde es vergangenes Jahr abgeräumt, angeblich gebe es keine Flächen mehr. Ein anderes Programm sei besser für Lüneburg. Ich würde sagen, wir sollten mehr vertrauen. Läuft doch.

An anderer Stelle kann eine Bürgerinitiative einen großen Erfolg feiern: kein Trinkwasserbrunnen zwischen Lüneburg und Vögelsen. Sie erinnern sich, Coca Cola hatte den gebohrt für die Linie Vio. Mangels Nachfrage hatte der Konzern das Vorhaben abgeblasen.

Die Linie der Kritiker, dass ein Unternehmen Grundwasser abpumpt, um es als Trinkwasser zu nutzen, sei schlecht für die Umwelt. Überdies in jedem von uns steckt ein kleiner Karl Marx, der Betrieb hätte das billig entnommene Wasser verkauft. Profitstreben ist böse, weil nicht dem Gemeinwohl verpflichtet.

Nun hatten die BI und drei Wasserversorger die Idee: Die Lokalos übernehmen den Brunnen, um Trinkwasser zu fördern. Das wäre moralisch gut gewesen. Wenn ich es vorher richtig verstanden habe, ging es darum, dass Wasserentnahme katastrophal für den Grundwasserspiegel ist. Weg ist weg. Aber das ist zu schlicht.

Nun ist das Ganze abgesoffen. Der Eigentümer  der Fläche wollte offenbar eine Pacht. Das passte aber den Wasserversorgern "monetär" nicht ins Konzept. Zu teuer. Ich hatte vorher in der langen Diskussion gelernt, Wasser ist wertvoll, muss viel kosten, damit wir sparsam damit umgehen. Nun ist teuer wieder nicht richtig. Es sei schade, dass kühle Nass nicht für die Allgemeinheit nutzen zu können, meint die BI. Dabei hat sie doch erreicht, was sie wollte, kein Tropfen aus der Tiefe.

Bleibt Karl Valentin, der wunderbare Logiker des Absurden: "Jedes Ding hat drei Seiten. Eine positive, eine negative und eine komische." Carlo Eggeling

© Fotos: ca


Kommentare Kommentare


Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.



Kommentar posten Kommentar posten

Ihr Name*:

Ihre E-Mailadresse*:
Bleibt geheim und wird nicht angezeigt

Ihr Kommentar:



Lüneburg Aktuell auf Facebook