Lüneburg, am Mittwoch den 17.09.2025

Abschied von Uli Bernhardt — der Wirt vom Kreideberg ist gestorben

von Carlo Eggeling am 17.09.2025


Er dürfte einer der ältesten Gastwirte in der Region gewesen sein, jetzt ist Uli Bernhardt im Alter von 86 Jahren gestorben. Sein Lokal am Thorner Platz ist schon länger verwaist, Ostern schlossen Freunde die Gaststätte mit dem Schriftzug Zum Kreideberg. Er selber konnte es nicht mehr, er musste ein paar Tage zuvor aus seiner Wohnung im sechsten Stock des Hochhauses ins Altenheim wechseln. 56 Jahre lang war die Mischung aus Restaurant und Kneipe, die er 1969 übernahm, sein Reich. Unzählige Familienfeiern, Sportler- und Freundesstammtische gab es, dazu Tresenrunden, am Anfang Schüler der Christanischule, die Stunden hier schöner fanden als vor der Tafel. Ein Stück Stadtgeschichte endet nun endgültig.

Conny Sanchez hat den langjährigen Freund unterstützt, war noch kurz vor seinem Tod bei ihm. "Er mochte nicht mehr", sagt sie. Das Gehen sei ihm schwer gefallen, das Atmen. Am Ende war das Alter stärker, als der schmächtige zähe Mann mit dem melancholischen Lächeln. Der Abschied im April aus dem Hochhaus mit Kneipe und Zuhause sei Uli schwergefallen: "Wir haben ihn ab und an abgeholt und uns mit Freunden nebenan im Imbiss getroffen." Ein ganz privater Stammtisch.

Eine lange Verbundenheit. Denn manche kamen ihr halbes Leben lang und länger zu Uli, der damals mit seiner Frau Anneliese und "Tresen-Taxi" Barney den Laden schmiss. Anneliese starb, Barney ging, Uli blieb. Die letzten Jahre regierte er sein Reich vom Stammtisch aus. Wegbegleiter wie Conny Sanchez und Martin Idschinski am Tresen unterstützten ihn, Conny machte die Buchhaltung und übernahm die Betreuung samt Papierkram.

Sie sagt, es sei noch nicht klar, wann Uli bestattet wird. Das kläre sie noch mit dem Bestatter, der Waldfriedhof in Südergellersen solle es sein. Ein herzensguter Mensch sei gegangen, sagt sie. Einer, der anderen geholfen habe, der manche Rechnung nicht kassierte und manchmal böse ausgenutzt wurde.

Ich habe ein paarmal über ihn geschrieben, es war wie ein Besuch einer vergangenen Zeit.
Mein Beitrag zu seinem 85. Geburtstag liest sich so:



Eine Botschaft von damals

Ein halbes Jahrhundert haben die Gardinen durchgehalten, Abertausende Zigaretten, die fettige Dunstmischung von Curry-Pommes, das Schwitzen verlorener Skatrunden. Gilb statt beige, obwohl die Vorhänge regelmäßig gewaschen wurden. Selbstverständlich. Doch jetzt wollten die Rollen nicht mehr zurück auf die Schienen. Schluss damit, Ersatz. Eine Folie, ein bisschen wellig verklebt, bietet halbherzig einen gewissen Sichtschutz. „Vorhänge, das ging nicht mehr“, bedauert Uli Bernhardt. „Machen wir anders.“

Vergänglich. Er lächelt wie ein weiser König, der weiß, sein Reich geht erst unter, wenn er sich verabschiedet. „Zum Kreideberg“, heißt sein Thronsaal, 1969 eröffnete er das Lokal mit seiner Frau. Jetzt feiert Bernhardt seinen 85. Geburtstag, wohl als ältester Wirt in Stadt und Landkreis Lüneburg.

15, 20 Stammgäste habe er noch. Wo sollten die hin? Wo sollte er hin? „Ob ich oben in meiner Wohnung sitze oder hier.“ Sein Wohnzimmer liegt ein paar Etagen darunter, hier. Auf der in verblichenem rotem Muster gepolsterten Holzbank glimmt das Licht einer Rechenmaschine, Belege stapeln sich, auf dem Tisch ein Becher mit einem kalten Kaffee-Milch-Gemisch und eine Literpackung Vollmilch. Er trinke keinen Alkohol: „Noch nie.“ Neben ihm Vogelfiguren, eine Tafel mit den „acht Geboten für den braven Ehemann“, über ihm Bilder mit seiner Frau Anneliese und deren Traueranzeige von 2016. Sie scheint nicht so ganz gegangen zu sein.

Die Lokal-Geschichte erzählt auch eine Geschichte des Landes, den Alltag des Stadtteils, der Mitte der 1960er Jahre wuchs. Bungalows, Hochhäuser, Blocks mit kleinen und großzügigen Wohnungen, praktisch für junge Familien und Paare. Heute leben im Viertel knapp 8000 Menschen. Damals luftig geplant mit Sportanlagen, Schulen, Kleingartenkolonien. Straßennamen wie eine Mahnung, den ehemaligen deutschen Osten und die deutsch-deutsche Teilung nicht zu vergessen: Elbinger, Salzwedler und Leipziger Straße.

Thorner Markt als Zentrum. Damals zwei Supermärkte, Post, Apotheke, Bäcker, Blumenladen, Friseur, Schlachter, Schuster, Drogerie und ein Lokal. Vorbei.
Die Post ist verschwunden, statt Blumen Tattoos, statt frischer Brötchen Döner, ein Supermarkt reicht auch, dafür die Sparkasse mit großem SB-Bereich, mit Schaltern nur sparsam geöffnet.

„Ich habe sie alle überlebt“, bilanziert Bernhardt. Heute lebt das Lokal ein anderes Leben, Aufschwung, Erfolg, verblichener Glanz. Damals vier Konfirmationen an einem Tag, 40 Plätze im Lokal, 40 im Clubraum, Hochzeiten, Soldaten, die um sechs kamen, schnell was essen, abends um acht auf die „Piste“. Curry-Pommes für 2,50 Mark, der Geflügelsalat Florida mit Toast und Butter für einen Heiermann; wer‘s dicke hat, bestellt ein Filetsteak mit Champignons für 7,50, dazu ein Glas Moravia für 70 Pfennige.

„Es lief“, erinnert sich Bernhardt. 47 000 Mark habe er für die Einrichtung zahlen müssen. „22 000 hatte ich.“ Den Rest streckt ihm sein Bekannter Fritz Sallier vor: „Konnte ich ihm nach drei Monaten zurückzahlen.“

Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Sallier ist ein umtriebiger Geschäftsmann, im Immobiliengeschäft zu Hause. Mit einem Partner betreibt er im achten Stock die Panorama-Bar. Auf dem Berg gelegen, erahnen die Gäste aus den Fenstern die Lichter Hamburgs. „Die Idee war, die Leute essen erst bei uns, danach fahren sie mit dem Fahrstuhl hoch und trinken etwas.“ Andere, klare Zeiten: Steinhäger und Dornkaat gibt‘s das Glas für 1,20 Mark.

Die Verbindung zerbricht jäh, im Januar 1972 steht die Bar in Flammen. Bernhardts sanfte Stimme färbt sich dunkler: „Im Winter – das Wasser der Feuerwehr kam gar nicht hoch, weil die Leitungen gefroren waren. Damals lag unsere Wohnung direkt darunter.“ Mehr als 300 000 Mark Sachschaden bilanziert die Landeszeitung in ihren Berichten. Die Bernhardts machen weiter.

Jugendliche der Christianischule gegenüber entdecken die Kneipe, die vormittags von 10 bis 13 Uhr öffnet. Nicht alle tranken Cola, erzählen heute Herren im besten Alter, die damals dabei waren. Mittagspause, um 17 Uhr beginnt die zweite Schicht. Alles eingespielt. „Anneliese hatte Köchin gelernt im Hotel Scheffler, die hat es mir beigebracht“, erzählt Bernhardt. Er ist in der Küche, sie am Tresen, „Schnitzel-Taxi“ Barney Quiatkowski kurvt an die Tische, vier Jahrzehnte arbeitet der Kellner für die Bernhardts. Inzwischen ist er gestorben.

Einiges ändert sich, es wird ruhiger. 2008 gilt das Rauchverbot in der Gastronomie in Niedersachsen, wenn sie Speisen anbietet. Manche bleiben weg. Als Anneliese 2016 stirbt, sei endgültig Schluss mit der kleinen Küche gewesen. Die Musikbox, in der es so viele Lieder für jede Stimmung gab, muss weichen: „Hat keiner mehr gewollt.“ Nun dämmert ein Dart-Automat in der Nische, wenn einer spielen will, schaltet er ihn ein. Im Radio läuft NDR Hamburg 90,3. Wenn Bernhardt es gemütlicher möchte, setzt er auf die Konserve, Andrea Berg mag er, noch lieber Andrea Jürgens. „Das ist schön.“

Fassbier hat er abgeschafft. Bier kauft er kistenweise, am liebsten mögen die Gäste Krombacher mit Bügelverschluss. „Das nehmen sie aus dem Kühlschrank und kommen zu mir zum Bezahlen“, sagt Bernhardt, der einen Rollator neben sich stehen hat. Einfache Buchführung, alles kostet je zwei Euro, Mischer 2,50: „Ist ein doppelter Schnaps, die Cola ist umsonst.“

Tino kommt an den Tisch. Spätestens seit seine Mutter gestorben ist, „das war vor eineinhalb Jahren“, wurde die Kneipe zu einer Art Zuhause. Er geht für Bernhardt einkaufen, regelmäßig. Heute sollen es zwei Stücke Leber und Grützwurst sein. Nach einer Viertelstunde trabt er wieder rein aus dem Supermarkt gegenüber, mit Bon und Wechselgeld. Er freut sich, Aufgaben zu übernehmen: „Ich bin der gute Geist des Hauses.“

Andere kommen. Susi will mit Bekannten knobeln, sie wartet mit ihrer Cola und Prospekten aus dem Anzeigenblatt. Es wird ein ganz normaler Abend am Kreideberg. Bernhardt sagte, er schlafe immer erst spät, drei, vier Uhr in der Nacht. Das passe alles ganz gut. Seinen Service, Gäste nach Hause zu fahren, habe er eingestellt – nach einem Unfall mit einer Rotte Wildschweine, das sei teuer gewesen. Neues Auto: „Ich muss ja einkaufen.“ Ab und an packt sein Sohn mit an.

Noch was wichtig? Klar! Die Sportzeit. Fußball! Mit acht Jahren sei er mit seiner Mutter zum LSK gelaufen. Da begann eine Liebe. Er trainierte, spielte von 1964 bis 1968 in der 1. Mannschaft, führte ein Jahr die Vereinsgaststätte in Wilschenbruch. Da feierte er mit seiner Anneliese den Polterabend. Später andere Vereine. Er engagierte sich im Präsidium der Freien Sportvereinigung Lüneburg, war 1971 an der Fusion mit dem Hagener Sportclub zur LSV beteiligt. Es tut ihm weh: „Zum 50. Jubiläum haben sie mich nicht mal eingeladen. Als Gründer.“

Jetzt sitzt er da, der kleine schmächtige König mit dem großen Herzen, der einer Frau schon mal die Miete vorgestreckt hat: „Das Geld habe ich nie wieder gesehen.“ Die Feier für seinen Geburtstag hat er organisiert, mit Livemusik, ein Duo, die Dame soll Warmes der Griechin Nana Mouskuri singen. Ein Fest für die, die geblieben oder dazugekommen sind. Wie man es so macht. Etwas fürs Gemüt auch für die, die hier ein bisschen weniger einsam und allein wirken.

Es ist Abend geworden. Keine Leuchtreklame behauptet sich gegen die Dunkelheit, über den sieben Tischen mit den grünweiß-karierten Decken funzelt eine Kupferlampe. Susi, ihr Bekannter und Uli Bernhardt knobeln und haben Spaß bei einem Schnack. Eine Frage, die sein muss zum Schluss: Wann ist Schluss? Der Wirt lacht und sagt: „Die Gäste erwarten, dass ich hundert werde.“

Die Fotos zeigen Momente aus dem Lokal und Erinnerungen an vergangenen Zeiten. Wirt Uli Bernhardt hatte seinen Stammplatz auf einer Bank, eingebaut in seine "Buchhaltungen" und eine Zeitreise. Am letzten Abend am Ostersamstag 2025 prosten seine Stammgäste dem freundlichen Mann zu, der in ein Heim in Reppenstedt umgezogen war. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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