Abschied von zwei Lüneburger Gesichtern
von Carlo Eggeling am 04.03.2025Es ist schon ein wenig her, trotzdem möchte ich an zwei Männer erinnern, die zu den Gesichtern der Stadt gehörten – der eine Naturschützer, der andere über Jahrzehnte der Herr des Rathauses, Reinhart Günzel und Hermann Liedke.
Wenn es in Lüneburg um Nachhaltigkeit und Umweltschutz ging, war Reinhart Günzel dabei. Er gehörte 2005 zu Begründern des Nachhaltigkeitsrats, den er 14 Jahre lang leitete; als das inzwischen abgewickelte Heinrich-Böll-Haus Anfang der 1990er Jahre aus der Taufe gehoben wurde, stand Günzel Pate. Er trat politisch für den Kontakt zur Uni ein. Dass dort deutschlandweit die erste Fakultät für Nachhaltigkeit an den Start ging, hat etwas mit seinem Engagement in der Stadt zu tun. Bundesverdienstmedaille, Auszeichnung mit dem Freyja-Scholing-Preis der Sparkassen-Stiftung, er wurde geehrt, weil er ein Gesicht der Umweltschutzbewegung war. Ende vergangenen Jahres ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.
1935 in Stollberg im Erzgebirge geboren, lebte er zunächst in der DDR, bevor er zum Studium nach Hannover ging, später arbeitete er als Landschaftsplaner in Hamburg, neue Heimat: Lüneburg. Er trat dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) bei, später wurde er dessen Landesvorsitzender. Dem Schutz der Elbtalaue und des Stroms war er verbunden. Er war befreundet mit Eric Paul Dörfler, mit dem er den Fluss und die gefährdete Natur immer wieder thematisierte.
Wenn man ihn traf, auf dem Markt und dem Weg zu seinem Haus in der Altstadt, hatte er oft ein freundliches Wort und natürlich warb er stets mit einem ironischen Lächel für seine Ideen, wenn ihm ein Artikel nicht gefallen hatte.
Im Sommer 2019 zog er sich mit 84 Jahren aus der aktiven Arbeit zurück, doch seinen Themen blieb er verbunden. Mut machte ihm die damals so agile Bewegung Fridays for Future. Er sagte damals: "Es ist sehr eindrucksvoll, wie Jugendliche in diese Thematik eingestiegen sind." Zukünftig gelte es, noch intensiver an den Herausforderung der Nachhaltigkeit zu arbeiten. Das ist sicher geblieben, auch wenn uns heute anderes mehr beschäftigt. Reinhart Günzel starb im Alter von 89 Jahren.
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Im Sommer 2011 kam Hermann Liedke noch einmal ins Rathaus, da war schon einige Zeit in Rente. Das Glockenspiel oben auf dem Turm erklang nicht mehr, eine der Porzellanschönheiten war geplatzt. Ohne Cis 2 kein "Der Mond ist aufgegangen". Seine alten Kollegen hatten ihn gerufen, denn keiner kannte die weißen Glocken so gut wie er. Doch machen konnte er nichts, Cis 2 wurde in Meißen nachbestellt. Hermann hatte das Glockenspiel zigmal in Gang gebracht.
Und nicht nur das, als Hausmeister war er in alten Liegenschaften rund ums Rathaus unterwegs, kaputte Glühbirnen, knarzende und schleifende Türen, Schnee schippen. Jeder kannte Hermann, Hermann kannte jeden. Vor ein paar Wochen ist er gestoben, er wurde 76 Jahre alt.
Na klar, ich durfte irgendwann mal über die Glocken schreiben, aber mit ihm auch auf einen Spaziergang durch Keller und über Dachböden des Rathauses. Hermann Liedke kannte jede Ecke und jede Geschichte. Ein stämmiger, kräftiger, nicht gerade hochgewachsener Mann. Mit einem freundlichen Singsang in der Stimme, mit rauhem Charme, zugewandt, immer für einen Schnack zu haben. Stufen runter, Stufen rauf, über Leitern, Wendeltreppen, unter den mächtigen Dachbalken die kunstvolle Konstruktion bestaunen, durch die Ziegel säuselte der Wind.
38 Jahre hat Liedke für die Stadt gearbeitet, Vorarbeiter stand in der Traueranzeige -- was für eine Untertreibung. Als Fotos an der Rathausspitze noch etwas Besonderes waren, galt Hermann als der am zweithäufigsten porträtierte Mann des Rathauses -- nach dem Oberbürgermeister.
Das lag an den Glocken, die zu Tausendjahrfeier der Stadt 1956 in den Rathausturm kamen und Lieder von Johann Abraham Peter Schulz über Markt und Giebel perlen lassen, dem Mann der an der Waagestraße geboren wurde und ein so begnadeter Musiker war, dass er am dänischen Hof eine große Rolle inne hatte. 41 Kostbarkeiten aus Meißen. Porzellan ist zerbrechlich. Jedes Jahr aufs Neue.
Liedke war schicksalhaft. Denn er hatte eine "lebensverlängernde Idee", wie es vor langen Jahren in einer Pressemitteilung der Verwaltung hieß: Ursprünglich waren die Klöppel nämlich mit feinem Elchleder bezogen. Das war teuer, hielt aber kaum eine Saison -- wo der Bezug abgerieben war, schlug der nackte Klöppel gegen das Porzellan, das ging nie lange gut. Plingggggg!
Liedke setzte auf Polsterleder, er und seine Leute bezogen die Klöppel, die es nötig hatten, mit dem haltbareren Bezug. Weniger Bruch. Das Glockenspiel bedeutet Pflege, musste mit der Turmuhr abgestimmt werden, damit erst sechs abends und nicht morgens "Der Mond ist aufgegangen" erklingt. Damals wurde das Spiel über Walzen und einen Musiktisch gesteuert und geläutet. Vorbei. Heute hat Technik das filigrane Spiel übernommen.
2009 musste Hermann aufhören, das Herz. Altersteilzeit. Zu Hause, draußen an der Elbe bei Hittbergen, kümmerte er sich noch mehr um Hof und Familie. 2006 hatte er mir gesagt, er kümmere um Federvieh und Schweine. Mit dem Schlachter mache er zusammen Wurst. „Schmeckt doch ganz anders als das Zeug, das man kauft." Damals wollte er den Jagdschein machen. Die Jagd mochte er.
Im Ruhestand alles ruhiger. Bei seinem Reparatur-Besuch im Sommer 2011 sagte er: "Wenn ich dann nicht mehr laufen kann, bleib ich einfach mal stehen." Nun ist er gegangen. Danke für die Spaziergänge durch "dein Rathaus". Carlo Eggeling
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