Abwärts — Die Wurzeln Lüneburgs
von Carlo Eggeling am 11.12.2023
Am Sand graben sie nach Lüneburgs Wurzeln: Unter dem Komplex der Industrie- und Handelskammer erforschen Archäologen, was unter den Kellern liegt. Bis ins 14. Jahrhundert seien seine Kollegen bereits gekommen. Doch der Fahrstuhl in die Unterwelt dürfte noch weitere Etagen haben, wenn es gut läuft, könnten die Wissenschaftler vermutlich bis ins 12. Jahrhundert reisen. "Wir sind bisher erst einen Meter tief gekommen", sagt Schoo. Die Grabung unter Häusern ist logischerweise schwierig, noch während das Haus steht, werden relativ kleine Quadrate wie bei einem Schachbrettmuster ausgehoben, um im Boden zu schauen, was dort schlummert. "Wir müssen auf die Statik der umliegenden Häuser achten." Also buddeln, sichern, wieder schließen, um die Stabilität zu wahren.
Bekanntlich baut die IHK ihr Stammhaus zwischen Heiligengeist- und Grapengießerstraße um und aus. Die rund 100 Mitarbeiter sind vor einem Jahr umgezogen nach Volgershall. Für rund 25 Millionen Euro soll das Ensemble modernisiert werden. Zunächst war ein Abriss der neueren Teile geplant, einfach gesagt also was hinter dem schwarzen Bau steht. Es gab Protest, die Kammer reagiert, nun geht es um Bauen im Bestand: eine Entkernung und den Abriss des sogenannten Engbers-Hauses an der Grapengießerstraße. Der Bekleidungshändler ist bereits umgezogen. Die Häuser stammen aus verschiedenen Epochen. Der älteste zum Sand liegende Teil ist zum 1548 datiert, ein Eckbau um 1912, dazu eine Erweiterung aus den 1970er Jahren.
IHK-Hauptgeschäftsführer Michael Zeinert und seine Kollegen hatten bereits im September erklärt, dass die Bauarbeiten länger dauern dürften, als geplant, nicht Ende 2025, sondern eher 2026 soll alles fertig sein. Denn bei der Analyse der Substanz habe man unter anderem festgestellt, dass alte Pläne und der Zustand des Hauses nicht zusammenpassten, Säulen und Balken lägen quasi planerisch nicht richtig. 80 Prozent der Balken seien betroffen. Balkenköpfe seien von Schwamm und Holzwurm befallen, müssten aufwendig ausgetauscht werden. Dafür bedürfe es besonderer Handwerker.
Detaillierter beschreibt es nun Alexander Diez, bei der Kammer Koordinator des Projekts, in einem Info-Brief an die Nachbarn. Kurz: Das Innere des Hauses sei weitgehend freigelegt, einige Schadstoffe ausgebaut. Die Problemzonen seien nun klarer als vorher. Als nächstes gehe es ans Treppenhaus -- Rückbau und weitere Schadstoffsanierung. Der Abriss des Engbers-Hauses sei geplant. Und: "Im Dezember wird zudem noch eine Mauerwerksdiagnostik im Kellergeschoss unseres Gebäudekomplexes stattfinden. Wir wollen wissen, ob und in welchem Umfang eventuell Schäden durch Nässe vorliegen und was dies an Ertüchtigungsmaßnahmen bedeutet." All das klingt nach: Arbeiten, die dauern.
Zurück zum Stadtarchäologen Schoo. Der sagt, es sei eine "goldrichtige Entscheidung" gewesen, in dem Ensemble zu suchen. Mit einer "Klarheit, die ich nicht vermutet hätte", habe man dort in Bohrkernen und ersten Erkundungen Keramikscherben gefunden, die einen Blick ins 14. Jahrhundert ermöglichen. Interessant sei, dass die Funde Hinweise auf die Lüneburger Siedlungsgeschichte geben.
Wie wichtig die Straßen waren, erklärt sich aus dem Zusammenwachsen der Keimzellen Lüneburgs. Auf dem Kalkberg lag die Burg an dessen Fuß die Saline als Wirtschaftsmotor, von dort musste das Salz in Richtung Ilmenau und auf die Fernwege gelangen, um exportiert zu werden. Um St. Johannis lag das Dorf Modestorpe samt der Brücke am späteren Altenbrücker Tor, dazu flußabwärts das Hafenviertel.
Schoo stellt einen Zusammenhang her zu den Grabungen für den Bau des Kant-Traktes an der Ritterstraße: Am Ostpreußischen Landesmuseum fanden seine Kollegen bei Recherchen vor ein paar Monaten zum Beispiel tiefe Abdrücke von Rädern, die belegen, dass der Straßenverlauf einst anders gewesen sein muss. Die Datierungen legt er auf das 12. und 13. Jahrhundert. Der Altertumsforscher setzt dieses Ergebnis mit den Grabungen vor Jahrzehnten an der Kalandstraße in Verbindung, dort verlief einst die Stadtmauer. Funde reichen bis neunte Jahrhundert zurück. Die Tiefenschau an der Grapengießerstraße könnte so eine Verknüpfung herstellen: "Wir nähern uns den ältesten Siedlungskernen der Stadt." Carlo Eggeling
Die Fotos (ca) zeigen die Arbeiten in der IHK, Hauptgeschäftsführer Michael Zeinert und Stadtarchäologen Tobias Schoo bei einer Grabung.
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