Als St.Pauli nach Lüneburg kam
von Carlo Eggeling am 08.09.2023Ein bisschen St. Pauli in der Altstadt
Striptease und mehr -- Horst Frahm setzte vor einem halben Jahrhundert ganz andere Akzente im Nachtleben. Ein Besuch bei einem Charmeur, die Gastro-Geschichte geschrieben hat
Er ist nicht mehr so gut zu Fuß, mit 93 Jahren ein wenig gebeugt, aber es ist zu sehen, Horst Frahm war in jüngeren Jahren ein Kerl, kräftiger, breit, schmuck. Charmant. Ein Lächeln, das blitzt und bestimmt Funken in Herzen schlug. Ein Vorname, der sehr
deutsch klingt, aber nicht unbedingt langweilig: Horst. Vielleicht wie Götz George als Tatort-Held Horst Schimanski vor mehr als drei Jahrzehnten. Krimi war's nicht bei Horst Frahm, aber aufregend schon. Er brachte -- wie soll man sagen -- in den 60er und 70ern ungewohnten Sex nach Lüneburg. Mit Segen des Oberbürgermeisters. Angeblich.
Frahm erzählt die Geschichte mit einem Lachen und einem Augenzwinkern, die geht so: Er betrieb seit Mitte der 60er die Lokale Küntje und Bi Burlala Auf der Altstadt. Burlala nach einem Lied von Lale Andersen, die mit Lili Marleen weltberühmt war. Oberbürgermeister Alfred Trebchen habe ihn angesprochen, "Horst, mach' da einen Nachtklub draus."
Ganz weit weg war er schon davor nicht. Schnieke eingerichtet, fünf Bars eine Empore, die in das ehemalige Stamm- und Handelshaus Mummert einziehen ließ, heute betreibt es Martin Lühmann als Anno 1900. Frahm und seine Frau Mary nahmen den beinahe politischen Auftrag Trebchens an. Frahm lacht wieder tief: "Mit hübschen Mädchen, mein lieber Freund." Die ersten suchte er mit einem Schlachter aus der Nachbarschaft, der war später als Wirt der "Sülze" eine Legende: Schlachter-Horst.
Eine Kutsche auf dem Dach, angestrahlte knallrote Markisen warben als Blickfang für das Etablissement. Dazu der Schriftzug "Nightclub" in riesigen Leuchtlettern an der Fassade entworfen wie das Innere von Lüneburger angesagtestem Architekten: Gerd Meyer-Eggers. Annoncen standen 1973 in der LZ: "Kesse Striptease-Show und Heimat-Filme aus Dänemark." Also Pornos.
LZ-Reporter Thomas Osterkorn, später Chefredakteur des Stern, kam für eine hinreißende Reportage über das Lüneburger Nachtleben im Frühjahr 1976 vorbei. Er notierte:
Da wird Schneewittchen auf der Leinwand von den sieben Zwergen im Zeichentrick vernascht oder eine „Orgie im Beatschuppen" gezeigt. Mit federnden Tanzschritten entledigt sich „Miß Susan" zu vorgerückter Stunde zuerst ihres weißen Pelzes und dann des raffinierten Restes. Nur ausgesprochen Prüde finden nicht Gefallen an der gutgebauten Israelin, die sich nach ihrem Auftritt überdies als charmante Plauderin beweist. Selbst wer seine Brille vergessen hat, verpaßt in der „Taverne Royal" beim Striptease nichts. Alles spielt sich unmittelbar vor den kleinen Tischen und der Bar ab.
Ein wenig härter geht es dann schon bei Barbara Yes zu. „Aus deutschen Landen frisch auf den Tisch" wird sie angekündigt und befolgt dann ganz hüllenlos und gehorsam auf einem Teppich die Anweisungen eines „Herrn Staatssekretärs aus dem Landwirtschaftsministerium". An Wochenenden sind es überwiegend Pärchen, die dieses Schau-Spiel verfolgen. Alltags sind es Geschäftsleute von außerhalb, Vertreter, aber auch Soldaten und auch mehr oder minder prominente Lüneburger. „Eigentlich ist Lüneburg für so ein Nachtlokal schon fast zu klein", bedauert Horst Frahm.
Nun ja, die Sünde oder die "sexuelle Befreiung" ist angekommen, Lüneburg spielt zwischen Michaelis und Sülzwiesen ein bisschen St. Pauli. Ein Dutzend "Gunstgewerblerinnen", was für ein Wort für Prostituierte, warten an der Neuetorstraße am Straßenstrich auf Kunden. Hinter Türen an Salzbrückerstraße und Hinter der Sülzmauer, und in der legendären Goldenen 13 fand der Abenteuerlustige, was er suchte. Selbst für Herren aus Stadtrat und Kreisrat war parteiübergreifend klar, wo Mann noch ein Bier in nicht öffentlicher Sitzung kippte — und mehr. Sperrgebiet war die Taverne nicht. Auch die Schwanenbar mit Wirt Porno-Schröder, heute Lanzelot, gab es, aber das wäre eine andere Geschichte. Frahm weiß eine Menge, lächelt öfter mal: "Mein lieber Freund!"
Ganz ins Detail geht der Grandseigneur nicht, nur ein wenig: "Es musste geklingelt werden, ich stand an der Tür. Viele Geschäftsleute. Oben war das Separée. Die Damen haben einen Piccolo bestellt, kostete 25 Mark, fünf waren für die Dame. Anfassen war eigentlich nicht, mein lieber Freund, aber ich war ja nicht dabei."
Vor dem Geschäft mit der Lust war in dem Haus Auf der Altstadt ein Restaurant zu Hause, das lockte einen berühmten Sänger. "Udo Jürgens kam mit seiner Sippe, die waren ja in Barendorf zu Hause", erinnert sich Frahm. Dann die Discothek Küntje. Einen Stock höher luden Frahm und seine inzwischen verstorbene Frau Mary mittwochs und sonnabends zum "Tanz mit Herz"ein, Spaß für die reifere Jugend — nicht nur, aber auch zum Kennenlernen.
Angefangen hatten die Frahms im Sommer 1961 an der Grapengießerstraße mit dem Rauchfang nach einem Vorbild in Stockholm. Wie auch Auf der Altstadt setzten Delfter Kachel Akzente. Der Rauchfang war das dritte R im Lokal-Kosmos: Café Rauno an der Bäckerstraße und die Reiterbar in Oedeme gefielen den Schickis und Mickis und anderen auch. Die Lokale in der Altstadt waren sozusagen die Fortsetzung.
Dann war Schluss. Seine Frau Mary war eh lieber im Büro als im Lokal, und er "nervlich am Ende, die Gäste waren alkoholisiert und ich oft angesoffen. Wir wollten aufs Land". Ende 1977 blättert das Paar ein neues Kapitel in Boltersen auf. Wieder bezaubernd eingerichtet, Delfter Kacheln spielen natürlich eine Rolle.
"Krabben-Expreß von der Nordsee zum Eiben-Hof -- Neues Restaurant im Landhausstil - Mit Kaffeestuben und Boutique - Eiben als lebendes Gästebuch", titelte die LZ über einer Sonderseite. Fast lyrisch notiert der Redakteur über die Kellnerin und die Karte: "Das freundliche Fräulein trägt eine blumenbestickte weiße Schürze im Modestil von Urgroßoma und dazu ein Küchenhäubchen, das schon Max und Moritz bei der Witwe Bolte gesehen haben. Man sitzt in der kaffeedurstigen Stube mit den freundlichen weißen Gardinchen auf italienischen Stühlen aus hellem Olivenholz, löffelt an einem Super-Eisbecher oder genießt den Kuchen, den der Bäcker des Hauses aus dem Ofen gezaubert hat." Das Lokal hat einen guten Ruf, man fährt gern die zwölf Kilometer aus der Stadt. Nach fast 13 Jahren endete die Geschichte Eibenhof: "Meiner Frau ging es gesundheitlich schlecht." Etwas Neues, Handel mit Kostbarkeiten.
Geboren an Neujahr 1930 blickt Frahm auf ein aufregendes Leben. Gebürtig in Göttingen kam er zu Adoptiveltern nach Lüneburg, er arbeitete sieben Jahre für den Bundesgrenzschutz, in Lübeck-Travemünde, in Braunschweig und Hannover. Er handelte mit Küchengeräten aus Schweden, er lernte seine Frau Mary kennen, der Traum des eigenen Lokals, ein aufregendes und ein gediegenes Stück Lüneburger Gastro-Geschichte, der Handel mit Antiquitäten, der Tod seiner Frau.
Eineinhalb Stunden hat Horst Frahm erzählt in seinem Haus im Schatten von St. Johannis, da gibt es natürlich auch die geliebten Delfter Kacheln und ein paar alte Möbel. Ein charmanter Mann, einer mit Esprit. Einer, der im Geschehen der Stadt noch immer gut verwurzelt ist. Und den man trifft bei seinem Stammtisch am Freitagabend im Bergström bei Klaviermusik und gepflegten Getränken. Es kann ein kurzweiliger Abend werden, "mein lieber Freund". Carlo Eggeling
Die Fotos (ca)
Streichholz-Heftchen als Werbung waren selbstverständlich.
Die Karte zeigt, wie es im Burlala damals aussah. Horst und Mary Frahm starteten mit einem Restaurant, später kam das Nachtlokal dazu. Als Taverne Royal kennen es ältere Lüneburger.
Horst Frahm bei einem Urlaub, das Bild seiner verstorbenen Frau Mary steht eingerahmt im Wohnzimmer.
Das Nachtleben umrahmt Horst Frahm rechts und links. Tänzerinnen kamen über eine Agentur nach Lüneburg, doch Frahm ging auch selber auf die Suche.
Der Eibenhof in Boltersen lockte Gäste. Zur Einweihung brachten Gäste Bäume mit. Das Personal posierte für die Zeitung.
Delfter Kacheln haben Frahm in all seinen Lokalen begleitet. Der Antiquitäten-Experte hat die Zier aus Holland in einem Zimmer seines Hauses anbringen lassen.
Der Text ist bereits in zwei Quadrat-Heften erschienen.
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