Am Schanzenweg senkt es sich kaum — aber bleibt es so?
von Carlo Eggeling am 30.09.2025Die Baugenehmigung ist erteilt, doch die Baufreigabe noch nicht. Dafür müsse der Investor ein umfangreiches Gutachten zur Statik vorlegen, bei dem es auch um die Bodenbeschaffenheit gehe -- Stadtbaurätin Heike Gundermann umriss die Lage des Verfahrens zum umstrittenen Bauprojekt am Schanzenweg. Dort will das Frankfurter Unternehmen Immowerk mehr als 100 Wohnungen errichten, Nachbarn haben Sorgen, denn das Z-förmige Areal zwischen Vor dem Neuen Tore, Dörnberg-, Lauensteinstraße und Schanzenweg liegt im Senkungsgebiet. Der Ochtmisser Kirchsteig mit seinen auf Kipp stehenden Häuser ist keine hundert Meter entfernt. Am Montagnachmittag diskutierte der Bauausschuss das Thema, auch die Anwohner kamen zu Wort.
Klar scheint, mit dem mit dem Innenbereich des Gewerbehofes Vor dem Neuen Tore dürften die Bauarbeiten beginnen, es ist ein Bauen im Bestand. Wie es mit den anderen Plänen weitergeht, muss noch geklärt werden.
Dass der Ausschuss das sich mit den Fragen der Bürger beschäftigte, liegt sicher mit am Protest der Anwohner, die eine BI ins Leben riefen, online-Petitionen starteten und sich an Lüneburg aktuell wandten. Denn Bürgerversammlungen waren bisher nicht geplant, lediglich die SPD hatte zu einer Veranstaltung eingeladen -- nicht aber die Stadt. So räumte die Stadtbaurätin ein, die Kommunikation sei nicht ideal gelaufen.
Gespräche zwischen Stadt und Investor laufen seit 2020, Ende 2022 berichtete die LZ einmal, der Bauausschuss wurde im Januar 2023 im nicht öffentlichen Teil ins Bild gesetzt, ohne dass jemand Bedarf sah, Nachbarn wie sonst üblich bei Projekten dieser Größe, zu einem Informationsabend einzuladen. Im Februar 2023 erließ die Verwaltung einen Bauvorbescheid, es gingen fünf Widersprüche im Bauamt ein, dann lud das Baudezernat zu einer Versammlung ein, zu der Thorsten Trapp gebeten wurde, er berät das Rathaus seit zwei Jahrzehnten als Geologe. Schließlich die Baugenehmigung.
Im Vergleich zu ersten Plänen fällt das jetzige Konzept kleiner aus. Es hat eine geringere Traufhöhe als etwa Häuser an der benachbarten Dörnbergstraße und Mönchsgarten. Das ergibt sich aus Ansichten, die Architektin Annette Axthelm, in Lüneburg bekannt durch den Bau mit dem Kupferhelm neben dem Viskulenhof, stellte ihr Konzept vor. Es geht um zwei Komplexe, Gebäude in Richtung Schanzenweg sollen in Backstein eingekleidet sein, sie erinnern an verschachtelte Kästen, vier Etagen hoch, obere Geschosse verspringen nach hinten, die freien Flächen sollen als Terrassen und Balkone genutzt werden.
Gebäude des ehemaligen Gewerbehofes Krautwald, der vom Neuen Tore zu erreichen ist, sollen im Bestand erhalten bleiben und umgebaut werden. Der Asphalthof werde weiter genutzt, aber begrünt. "Loft-Einheiten mit Galerien" sollen entstehen, der Geschosswohnungsbau werde angepasst.
Der Neubaukomplex soll neben Penthouses kleinere Wohnungen erhalten, waren sie mit 80 Quadratmeter geplant, sollen siei im Schnitt nur halb so groß werden. Sie seien sonst schlicht nicht zu verkaufen, da sich die wirtschaftliche Lage geändert habe, sagt Immowerk-Chef Kim Niklas Andersson. Gut denkbar sei auch, das man sie vermiete, für "warm unter 1000 Euro pro Monat". Unschwer zu errechnen, ein Preis von um die 20 Euro pro Quadratmeter ist kein sozialer Wohnungsbau.
Der sei dort für ihn nicht möglich, sagte Andersson. Die Kosten seien zu gewaltig, man verzichte auf Fördermittel. Seine Marge, also das, was übrig bleibt, liege bei vielleicht zehn Prozent. Ein Null-Energie-Haus solle es werden, ein Car-Sharing-Angebot sei denkbar. Und vor allem ein Generalmieter, der den gesamten Komplex übernehme.
Nachbarn finden, die Neubauten passen sich nicht ein in das Viertel, das in Richtung Lauensteinstraße aus Gebäuden mit einem Obergeschoss geprägt ist. Architektin Axthelm konterte. Man befinde sich in einem Paragraph 34-Gebiet. Das bedeutet, es gibt keinen Bebauungsplan. Daraus folgt wiederum, Bauherrn können sich an den höchsten Gebäuden in der Nähe orientieren -- als mehrgeschossig wie an der Dörnbergstraße.
Alt-OB Ulrich Mädge, der für den Seniorenbeirat im Ausschuss sitzt, sagte, man hätte einen begrenzten B-Plan beschließen können, der hätte die Höhen verhindern können. Der Fraktionschef der Grünen reagierte wie oft, Ulrich Blanck versuchte, Mädge die Verantwortung zuzuschieben. Mädge sei schließlich 2020 Bürgermeister gewesen. Ungewohnt eindeutig wies Stadtbaurätin Heike Gundermann den Einwand zurück: Erste Gespräche habe es erst im Laufe von 2022 gegeben, alle Fraktionen wüssten seit Anfang 2023 davon, ohne dass sie sich gegen das Vorhaben geregt hätten. Mädge hat das Rathaus Ende 2021 verlassen, seit dem leitet Blancks grüne Parteifreundin Claudia Kalisch die Verwaltung. Baufachleute sagen: Die Möglichkeit, einen „sektoralen B-Plan“ zu erlassen, gebe es übrigens erst seit 2021.
Wichtigstes Thema war der Untergrund, Geologe Trapp verwies auf jahrzehntelange Messreihen, kurz: Die ergeben, das betroffene Gebiet senkt sich anders als am Ochtmisser Kirchsteig kaum. Seit Mitte vergangenen Jahrhunderts gebe die Erde nur um Millimeter nach, seit den 2010er Jahren im Schnitt um einen Millimeter pro Jahr. Zum Vergleich: Am Ochtmisser Kirchsteig wurden am Extrempunkt Werte von mehr als 30 Zentimeter pro Jahr erreicht, aktuell seien es rund zwölf.
Was oben nachgibt, hat mit einem porösen Gestein in großer Tiefe von mehr 80 bis 120 Meter zu tun. Schmelzender Schnee und Regen versickern, dazu kommt Grundwasser -- das nehme im Untergrund Material mit, irgendwann sacke es oben. Einfach übersetzt: Was unten passiert, hat Auswirkungen nach oben, was oben passiert kaum einen Einfluss nach unten. All das hat hat mit Lüneburgs salziger Geschichte zu tun, der immer noch aufsteigende Salzstock und seine Kappe aus Gips reagieren. Am Ochtmisser Kirchsteig und an der Frommestraße gebe es Hinweise aus Anomalien im Salzstock.
Gleichwohl regt Trapp an, ein Netzwerk von Messpunkten auf das betroffene Grundstück zu legen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang sich der Boden bewegt. Das sei wichtig für die Anwohner, aber auch für den Bauherrn, der wahrscheinlich darauf verweisen könne, dass es kaum eine Bewegung gebe: "Im Schanzenweg haben wir keine Anhaltspunkte, dass es zu Lösungen in der Tiefe kommt." Gleichwohl stellte Trapp klar: „Kein Geologe, der bei klarem Verstand ist, würde ausschließen, dass in der Tiefe etwas passieren kann."
Die Stadt empfiehlt dem Investor ein Beweissicherungsverfahren, das mögliche Schäden an den Gebäuden der Anwohner dokumentiert. Der will das umsetzen. Mit möglichen Partnerfirmen will er zudem die Haftungsfrage klären, die Unternehmen schlössen entsprechende Versicherungen ab.
Wie es weitergeht, ist unter anderem eine juristische Frage. Gegen den Bauvorbescheid hatte ein Paar aus der Nachbarschaft geklagt, das Verwaltungsgericht will sein Urteil in den kommenden Tagen verkünden. Gegen die Baugenehmigung dürfte es Klagen geben -- denn selbst wenn im Ausschuss einige Fragen geklärt wurden, bleiben die Betroffenen skeptisch und fürchten, dass ihre Häuser Schaden nehmen könnten. Carlo Eggeling
Die Pläne und der Vortrag von Thorsten Trapp ist im Ratsinformationssystem der Stadt einzusehen.
Buergerinfo.stadt.lueneburg.de/public/to010?SILFDNR=7579&refresh=false
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