Besonders und mittendrin
von Carlo Eggeling am 12.10.2024Arbeitsplätze für Menschen mit Unterstützungsbedarf, Wohngruppen, Freizeitangebote, ein Unternehmen als Partner für Firmen in der Region: die Lebenshilfe. Jetzt feiern Trägerverein und gemeinnützige GmbH zwei Geburtstage
Jahresumsatz 60 Millionen Euro, rund 1000 hauptamtliche Beschäftigte, einige davon in Teilzeit, 875 Menschen mit Handcaps arbeiten in sieben Werkstatt-Niederlassungen, dazu 120 in externen Unternehmen, 41 Standorte gibt es in den Kreisen Lüneburg und Harburg, 875 Kunden -- ein mittelständisches Unternehmen, das zu den großen Arbeitgebern der Region zählt Doch eins der besonderen Art: die Lebenshilfe. Die feiert gleich zwei Geburtstage, der Trägerverein seinen 60., die gemeinnützige GmbH ihren 50.
Was als Elterninitiative begann, veränderte letztlich die Gesellschaft, heute ist Anderssein viel normaler als vor Jahrzehnten. Geburtstag, da gehören ein Blick zurück und einer nach vorn dazu. Wer 1964 eine Tochter oder einen Sohn mit Behinderung hatte, erfuhr nicht viel Unterstützung. Eltern taten sich zusammen und gründeten den Verein "Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind", 1964 in Lüneburg, drei Jahre später im Landkreis Harburg.
Das Logo zeigt ein Kind, in dessen Rücken greift eine beschützende Hand. Die heutige Vereinsvorsitzende, Dagmar Pitters, blickt auf die Entwicklung der letzten 60 Jahre: „Nach 1945 war der Schutz von Menschen mit Behinderung ein wichtiges Anliegen ihrer Angehörigen und erstes Ziel, aus dem Zeitkampf mehr als verständlich. Durch all die entstandenen Förderungsmaßnahmen geht es heute zwar weiterhin um den Schutz und die Fürsorge für schwerstmehrfach beeinträchtigte Menschen, heute geht es aber für alle Menschen der Lebenshilfe vor allem um Teilhabe und Gleichberechtigung in der Gesellschaft, nach dem Motto ‚Nichts übe uns ohne uns‘“.
Dafür hat der Verein viel getan. Schon 1966 bietet er erste Arbeitsplätze an, 1969 entstehen am Kalkberg in einem ehemaligen Kinderheim ein heilpädagogischer Kindergarten und eine "beschützende Werkstatt". Selbstbewusst geht es weiter, Eltern gründen 1974 eine gemeinnützige GmbH. Im Gewerbegebiet Lüner Rennbahn und Vrestorfer Heide, das Lüneburg damals auflegt, baut die Gesellschaft Hallen und Werkstätten, die 280 Arbeitsplätze bieten.
In den folgenden Jahren kommen Wohnangebote dazu; mitten in der Stadt übernimmt die Lebenshilfe das Lokal Sandkrug, dort bedienen Menschen mit Behinderung die Gäste. Ein Stück Normalität. Das allerdings nicht alle gut finden. Gastronomen sehen eine Konkurrenz, weil die Lebenshilfe für ihre Angebote Fördermittel erhält. Doch die Situation entspannt sich, es wird ein Miteinander.
Von 1982 an arbeiten Lüneburg und Winsen enger zusammen, der Verein Lebenshilfe Landkreis Harburg e.V. tritt als Mitgesellschafter der gemeinnützigen GmbH in den Verbund ein. Gleichwohl bestehen die Vereine eigenständig weiter, das soll sich aktuell ändern. Künftig finden sich rund 370 Mitglieder unter einem Dach zusammen.
Wichtig ist Vereinsvorsitzender Dagmar Pitters, Geschäftsführerin Inge Seiler-Päpper und ihrer Kollegin Katja Zobel, sie zeichnet unter anderem für die Werkstätten verantwortlich, dass als Träger des Unternehmens weiterhin der Verein steht. Im Aufsichtsrat sitzen Eltern und Vertreter verschiedener Organisationen. Zudem bestehen in der Lebenshilfe Gremien, in denen sich Menschen mit Behinderung selbst vertreten, wie den Werkstattrat, die Frauenbeauftragte und die Bewohnervertretung. Auch im Vereinsleben sind sie gleichgestellte Mitglieder.
Die Lebenshilfe bietet Menschen mit Behinderungen unterschiedliche Arbeitsmöglichkeiten, je nach Art der Beeinträchtigung. In der Tischlerei in Winsen unterstützt ein sogenanntes CNC-Bearbeitungszentrum die Kollegen und Kolleginnen bei ihren Handgriffen. Andere bewältigen einfache Tätigkeiten wie in Bänder in Etiketten ziehen und diese sortieren. 120 Frauen und Männer arbeiten außerhalb der Werkstätten in der, wenn man so will, normalen Arbeitswelt: in Bäckereien, im Garten- und Landschaftsbau, als Aufsicht im Museum Alle eint: Sie gehen zur Arbeit wie andere in ihrer Familie auch, das macht selbstbewusst, zufrieden und zeigt eben ein Stück Normalität.
Natürlich bleiben Herausforderungen. Menschen, die größere Einschränkungen besitzen, brauchen entsprechend mehr Unterstützung. Das kostet Geld, weil es dafür Personal braucht. Da wünschen sie sich bei der Lebenshilfe mehr Zuschüsse vom Land.
Es gibt ein weiteres Feld, die Schulbegleitung. Dagmar Pitters: „Wir haben viel entwickelt, führend in vielen Bereichen, passt sich immer wieder den erforderlichen gesellschaftlichen Bedingungen an. Durch den Wunsch der Eltern ist die Schulassistenz entstanden.“ Die Aufzählung, wo die Lebenshilfe überall unterwegs ist, ist so umfangreich und vielfältig, dass man gar nicht alles nennen kann. Familienentlastung und Freizeitangebote. Kindertagesstätten für Mädchen und Jungen mit und ohne Behinderung. Wohngruppen mittendrin wie die Bunte Hanse im Hanseviertel, die auf gute Nachbarschaft setzt.
Wie es weitergeht? Da steht vieles an. Menschen mit Behinderung werden älter, es muss mehr Angebote samt Tagesstruktur für Senioren geben. Arbeiten und Wohnen brauchen weiter Unterstützung, es braucht dafür Beistand aus der Politik, um neue Wege zu finanzieren. Natürlich gilt weiterhin, dafür zu werben, dass Anderssein eben normal ist. Die Geburtstage bedeuten auch eine Verpflichtung weiterzumachen -- es bleibt viel zu tun.
50 Jahre, 50 Stunden Tanz
Marathon im Wasserturm – die Party zum Geburtstag
Wie feiert man einen Geburtstag? Mit Tanz. Das macht die Lebenshilfe -- wie auch sonst: ambitioniert. 50 Jahre, 50 Stunden Tanz. Von Freitag bis Sonntag, 25. bis 27. Oktober, bitten Dutzende Akteure im Wasserturm zum Tanzmarathon. Los geht es am Freitag um 14 Uhr. Dabei sind Tanzstudios, die Musikschule und Vereine. Musik machen DJs wie Martin Schröder, der vor langen Jahren im Contra und nun im Salon Hansen auflegt, dazu beispielsweis DJ Born aus der Bunten Hanse. Formationen wie Magnolia sind ebenso dabei wie die Band vom SOS-Hof Bockum.
Am Sonntag klingt das Fest aus von 11 bis 15 Uhr mit dem Schlager-Schoppen von DJ Zett. Am Samstag läuft der Tanzmarathon parallel zur Nacht der Musik, in verschiedenen Lokalen spielen Bands. Anders als dort brauchen Gäste im Wasserturm keinen Eintritt zu zahlen.
Die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg in Zahlen
27 Monate dauert ein Durchlauf im Berufsbildungsbereich. Hier werden meist junge Menschen mit Behinderung auf das Berufsleben vorbereitet.
35 Euro – das ist der Jahres-Mitgliedsbeitrag im Lebenshilfe Lüneburg e.V. Menschen mit Behinderung zahlen einen ermäßigten Beitrag von 12 Euro. Der Mitgliedsbeitrag für den Lebenshilfe Landkreis Harburg e. V. beträgt 40 Euro im Jahr für Eltern und fördernde Mitglieder sowie 6 Euro jährlich für Menschen mit Behinderung.
41 Standorte hat die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg insgesamt.
257 Kinder werden durch die Mobile Frühförderung in der vertrauten häuslichen Umgebung gefördert.
283 Kinder mit und ohne Behinderung lernen und spielen in den Kindertageseinrichtungen.
256 Mitglieder hat der Verein Lebenshilfe Lüneburg. Der Harburger Lebenshilfe-Verein hat derzeit 110 Mitglieder.
512 Menschen nutzen die verschiedenen Wohnangebote.
484 Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden von den Mobilen Assistenzdiensten 2024 begleitet, davon über 260 in der Schulassistenz.
875 Menschen mit Handicap arbeiten an 7 Werkstatt-Standorten, davon 120 auf ausgelagerten Arbeitsplätzen.
958 hauptamtliche Mitarbeiter arbeiten für die Lebenshilfe Lüneburg-Harburg gemeinnützige GmbH (das entspricht etwa 655 vollen Stellen). Damit ist das Unternehmen einer der größten Arbeitgeber der Region.
1.600 Fahrzeuge waren in 2023 in der Lebenshilfe-Kfz-Werkstatt zur Wartung, Reparatur und Pflege.
2.411 Menschen nutzen die Einrichtungen und Dienste der Lebenshilfe in beiden Landkreisen.
33.391 m² Nutzfläche haben die 41 Standorte.
1.041.680 Artikel-Kärtchen wurden 2023 für die
Bekleidungsindustrie bestückt.
92 eigene Lebenshilfe-Fahrzeuge sowie 82 extern beauftragte Fahrdienstleister und zwei Busse der KVG sind im Einsatz, um täglich Kinder und Erwachsene mit Behinderung zu befördern.
59.873.137 Euro Gesamtumsatz hat die gemeinnützige GmbH 2023 erwirtschaftet. Dieser Umsatz setzt sich aus staatlichen Vergütungen (Eingliederungshilfe), Produktionsumsätzen, Spenden und anderen Erträgen zusammen.
2.100 Essen werden täglich in den beiden Küchen in Lüneburg und Tostedt gekocht.
95.000 Kilo Wäsche wurden 2023 bei „Lebella“ in Tostedt gewaschen – für mehr als 500 Kundinnen und Kunden.
Kommentare
Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.