Bestellte Wahrheiten?
von Carlo Eggeling am 26.07.2025
Meine Woche
Sommertheater
Es ist immer schön, wenn sich Parteien auf ihre Leserbriefschreiber verlassen können. Die gibt es für die SPD, die CDU, die FDP, die Grünen und andere. Altes Spiel. Eigentlich wissen Redakteure mit gewisser lokaler Verbundenheit, wen sie wo zuordnen können -- lassen den Brief weg oder geben, wenn es gut läuft, einen Hinweis auf den Hintergrund des Verfassers, um Lesern zu erklären, wer da trommelt.
Würde sich vor allem anbieten, wenn sich einer zur Wort meldet, der anderen Parteien "Sommertheater" und eine "vorzeitige Eröffnung des Wahlkampfes" vorwirft. Der, der neulich zur gelinde gesagt belämmerten Haushaltslage der grün regierten Stadt ein Forum in der Zeitung erhielt, war bis vor fünf Jahren Ortsvereinsvorsitzender der Grünen, dazu ist er Chef der Lüneburger Wohnungsgenossenschaft.
Er wirft der SPD und anderen Parteien vor, den Bau des Libeskind-Baus unterstützt zu haben. Er nennt allerdings nur die Stadt. Zur Wahrheit gehört, Stadt und Kreis haben sieben Millionen gegeben, um den Saal zu nutzen. Liegt allerdings geschätzt 15 Jahre zurück und war -- politisch betrachtet -- ein teures Statement der Region zur Uni. Heute besucht die Oberbürgermeisterin gern mit Stadtkonferenzen als Gast in den bezuschussten Saal.
Die SPD wolle 100 Millionen Euro für Kauf und Sanierung der maroden Vonovia-Wohnungen in Kaltenmoor locker machen. Glücklicherweise verhindert, schreibt der Mann. Leider steht weder in seinem Brief noch in einer redaktionellen Ergänzung, dass die Ursprungsidee von Claudia Kalisch stammt, im April 2023 im Rat verkündet. Für die Zeitung ein „Paukenschlag“. Hat sie damals ohne Zahlen ins Grüne spekuliert? Hat der Chef der Wohnungsgenossenschaft sie nicht oder, was undenkbar ist, schlecht beraten? Niemand beantwortet übrigens die Frage, wer die Wohnungen denn kaufen soll mit ihrem Renovierungsstau. Der nächste Investor, der Kasse machen will, und sofort bei kleinen Mietern mit der Sanierung startet? Denkt jemand an die Menschen, die dort leben? Übernimmt die Wohnungsgenossenschaft den komplex aus sozialer Verantwortung?
Noch ein Punkt ist das Wohngebiet am Wienebüttler Weg. Da würden nur Einfamilienhäuser entstehen, keine Kaufinteressenten, lese ich. Plant die Wohnungsgenossenschaft Mietblocks? Selbstverständlich mit einem Anteil von 30 Prozent sozialem Wohnungsbau, den der Rat mal beschlossen hat, aber im Moment irgendwie aus dem Blick verloren hat?
Man muss natürlich ergänzen, dass zum selben Thema ein Leserbrief veröffentlicht wurde, der die Oberbürgermeisterin kräftig kritisiert. Darunter steht auch nicht, dass der Schreiber einst im Landkreis für die CDU als Landratskandidat angetreten ist.
Vorgezogener Wahlkampf, Sommertheater. An dem Leserbriefschreiber mitschreiben im Sinne von Brechts epischem Theater? Bleiben wir heiter und offen, wie beim "guten Mensch von Sezuan":
„Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss.
Vorschwebte uns: die goldene Legende.
Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende.
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Das Theater hat mehr zu bieten. Ende vergangenen Jahres kündigte FDP-Ratsherr Frank Soldan an, er wolle Akteneinsicht nehmen in das Verfahren um die Berufung der Kulturamtsleiterin. Die war zuvor umstrittene Bürgermeisterin auf Langeoog. Genau darüber hatten die Verwaltung und Kämmerer Matthias Rink den zuständigen Ausschuss nicht informiert. Sei nicht so wichtig. Dass allein ein Lebenslauf etwas dürftig sein könnte und ein Klick bei Google mehr herausbrachte samt des Verstosses der Kandidatin gegen ein Mitwirkungsverbot, das der Landkreis Wittmund beanstandete sowie ein Abwahlverfahren, sei nicht relevant. Dass sich die Politikerin und die Oberbürgermeisterin aus einem OB-Frauennetzwerk kennen und für ein Foto vertraut vor dem Lüneburger Rathaus stehen, so what? LA hatte umfänglich berichtet, später andere dann auch.
Was wurde draus? Er habe sich alles angesehen, sagt Soldan. Von Vorwürfen finde sich nichts in der Akte: "Und zu dem, was nicht drinsteht, kann ich nichts sagen." Wenn man künftig mehr wolle, sei das Sache des Rates. Nun dürfte die Verwaltung kaum dokumentieren, wo es suboptimal lief. Das liegt nahe. Anderen in der FDP war das klar, sie fragen sich, was die Aktion sollte. Wer Attacke blasen will, müsse schließlich ins Horn pusten. Sonst bleibt nicht einmal heiße Luft.
Die SPD kann das auch. Wieder ging es um eine Stellenbesetzung, dieses Mal beim Sozialdezernat. LA hatte aus vertrauter Runde zitiert. Dort saßen Politiker und Verwaltungsmitarbeiter. Gemein, dass etwas nach außen dringt. Schlicht Alltag in der Politik. Zumal Politiker in ihren Fraktionen geredet haben und auch Verwaltungsmitarbeiter keine zugenähten Münder besitzen.
Die Oberbürgermeisterin war empört, Fraktionsvertreter unterschrieben Ehrenerklärungen, nur die Kollegin der SPD nicht. Das reichte der Oberbürgermeisterin, die SPD-Frau Andrea Schröder-Ehlers zumindest unter Verdacht zu stellen. "Denken Sie darüber nach, Ihr Mandat niederzulegen". Der- oder diejenige habe hier nichts verloren "außer der Ehre". Die Zeitung schrieb wie im Agentenkrimi von "Maulwurf".
Die Sozis schlugen Alarm. Rechtliche Prüfung, Anwalt einschalten, Kommunalaufsicht. Nicht nur die Oberbürgermeisterin wäre im Fokus: ein Rechtsdezernent, der bei diesem Procedere schweigt, eine grüne Ratsvorsitzende, welche die Verwaltungschefin nicht in die Schranken weist und auf den Souverän, den Rat, hinweist. Rein politisch betrachtet ein feuriges Thema.
Nun macht es die Sozialdemokratie wie die FDP, letztlich nichts. Es ist wie im Freibad, wo einer auf den Zehner steigt, Muffe bekommt und runterklettert, Damensprung vom Beckenrand ist noch zu gewagt. Gar nicht cool.
Wahlkampf. Theater? Bitte! Aber mit guten Akteuren und guten Programmen. Sonst bleibt der Komiker Loriot mit seiner Rede über Politik: "Meine Damen und Herren, wir wollen nicht vergessen, draußen im Lande, und damit möchte ich schließen, hier und heute stellen sich die Fragen, und ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, wenn ich sage, letzten Endes, wer wollte das bestreiten. Ich danke Ihnen." Carlo Eggeling
Kommentare
Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.