Lüneburg, am Donnerstag den 09.05.2024

Das Rock‘n‘Roll-Gefühl — als Buch

von Carlo Eggeling am 12.04.2023


Das "Outlaw-Image" des Rockmusikers hat André Pottek genossen. Im Lebensmittelgeschäft seines Dorfes habe man ihn nicht bedient. "Lange Haare, Cowboystiefel, zerschlissene Jeans, das war zu viel", erinnert sich der Schlagzeuger. Als seine Band, die Bad Pilots, bekannter wurde, in der Zeitung stand im Fernsehen lief, wurde es anders: "Einige Leute haben mich dann freundlich begrüßt, obwohl ich noch so aussah wie früher." Rock 'n' Roll als Lebensgefühl, Rock 'n' Roll als Protest gegen Spießigkeit. Das war in den 90ern. Doch das Gefühl, dass Musik mehr ist als ein paar Songs, pulsierte schon vorher.

Dirk Zuther hat eine Hommage an die Generationen von Musikern geschrieben, die zwischen 1960 und 2000 die Lüneburger Szene prägten. Zuther, Wissenschaftler, Musiker und Betreiber eines eigenen Studios war mittenmang in langen, wilden Jahren. So prägt das Buch "Das hat alle gepackt" auch biografische Züge: "Man wollte Musik und Kultur machen, auf der Bühne stehen und so leben. Das wollte ich selber auch."



Im Idealfall lebte die Band zusammen. Ein Beispiel sei Anfang der 1970er Jahre die Lancaster Leading Band gewesen, aus der später Madison League hervorging. Wilde WG in Barnstedt.

Zuthy, der 1980 zum Studium nach Lüneburg kam beschreibt die alte Hochschule und die Stadt als Eldorado. "Hier wurde die Didaktik der populären Musik entwickelt", erinnert er sich. Die alte Pädagogische Hochschule wurde immer wieder zum Konzertsaal, dazu Dozenten die selber muckten. Aus dem Umfeld entstanden Studios, Zuther und dem schon verstorbenen "Tüte" Neumüller gründeten gemeinsam mit Uwe Hopp eins. Hopp verkauft noch heute Instrumente und Technik.



Musiker wie Peter Hoffmann prägten einen professionelleren Sound. Später gehörte Hoffmann mit seinem Studio in Vögelsen zu den Produzenten von Tokio Hotel, die weltweit auf Bühnen standen und zeitweilig zu den angesagtesten Formationen des Landes zählten.



Es gibt so viele, die ein Gefühl ausmachten. Subway etwa, die Ende der 70er bei einer Shakespeare-Inszenierung im damaligen Stadttheater rockten -- statt des Orchesters. Spitzenrock, die erste Lüneburger Frauenband um Nema Heiburg. Clowns & Helden, die es mit Ich liebe Dich in die ZDF-Hitparade schafften. Und und und.



Es gab Festivals in der Nordlandhalle, die Impulse für die Szene waren, Stint- und Stadtfeste, die lokale Bands glänzen ließen. Kneipen wie Illert an der Schröderstraße, den Star Palast, das Blow up. Erinnerungen. Eine letzte ist Uli Schröder mit dem Café Klatsch am Springintgut, das kurze Zeit Caleidospkop hieß. Der letzte Laden, in dem regelmäßig Bands spielen. Und der wahrscheinlich nicht mehr ewig bestehen bleibt.

Wenn man die 150 Seiten durchblättert, auf denen Dirk Zuther Musiker zu Wort kommen lässt, werden Zeiten wach, in denen Nächte lang, Träume groß waren, in denen Liebe und Trennungen lagen. Begleitet von Musik. So viel Gefühl. So viel Lebensgeschichte.

Zuthy hat ein anderes Buch geschrieben als der 2019 verstorbene LZ-Redakteur Rainer Schubert. Der hatte 1990 ein Rock Lexikon veröffentlicht, 2017 erschien es überarbeitet als Der Lüneburg Sound. Zuthy hat es genutzt -- und Rainer von dessen Kollegen Hans-Martin Koch loben lassen.



Hans-Martin ist auch so ein Ewiger, der seit vier Jahrzehnten das Lüneburger Kulturleben beschreibt. Unterstützung gab es von LZ-Mitverleger Christian von Stern beim Druck und von Carsten Junge und der Sparkassen-Stiftung bei der Finanzierung. Auch die beiden lange freundliche und und engagierte Begleiter des bunten Lebens in Lüneburg, das sich gerade wandelt und wieder neu erfindet.

Zuthy ist 67. Musik lässt ihn nicht los. In seinem Studio spielen Bands immer noch etwas ein. Musiker bedeutet wohl lebenslang. Als Wissenschaftler sieht er es nüchterner: "Mit dem Buch, dem Material und den Tonaufnahmen landet ein Lebensgefühl im Archiv." Die Sparkassen-Stiftung verwahrt es. Für die anderen ist das Buch eine gute Möglichkeit in jüngere Jahre zurückzureisen.

Dirk Zuther hat noch eine Mail geschickt: "Für den 21.5.23 ist eine Lesung mit musikalischen Überraschungsgästen im One World Reinstorf geplant." Nicht verpassen. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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