Das Überraschungspaket: Angefressene Balken, Archäologie und Pläne, die nicht passen
von Carlo Eggeling am 22.09.2023Wer ein altes Haus saniert, weiß vorher, dass mehr auf ihn zukommen wird als gedacht. Das erleben jetzt auch die Verantwortlichen der Industrie- und Handelskammer mit ihrem Haus am Sand. "Vier bis sieben Monate" hängen sie hinterher, berichten Hauptgeschäftsführer Michael Zeinert und Annika Wilkening, verantwortlich für Strategie und Kommunikation. Bekanntlich will die IHK ihr Gebäude um- und ausbauen. Ende 2025 sollte alles fertig sein, kaum zu halten, so die vorläufige Bilanz, realistisch sei der Verlauf des Jahres 2026. Die Verzögerung hat mehrere Ursachen. Die haben Folgen.
Wie berichtet, hatte die Kammer den Nachbarn zugesagt, mit Abbrucharbeiten, die mit Staub und Dreck verbunden sind, kurz nach dem Jahreswechsel zu beginnen, also in der kalten Jahreszeit, nachdem das Weihnachtsgeschäft im Handel gelaufen ist und die Freiluft-Saison der Gastronomie an Heiligengeist- und Grapengießerstraße noch nicht begonnen hat. Das dürfte Makulatur sein. Bliebe es bei der Zusage, müsste die IHK ein Jahr dranhängen.
Zeinert sagt: "Wir haben das intern diskutiert, aber wir können nicht fünf Monate lang nichts tun." Nun sollen "größere Beeinträchtigungen vermieden werden, aber wir können nicht sagen, dass beispielsweise im gesamten Jahr 2024 kein Gerüst stehen wird". Der Chef weist darauf hin, dass die Kammer auf Rücksicht setze: Die beauftragten Firmen hätten bis jetzt sehr darauf geachtet, Schutt und ausgemustertes Material in den frühen Morgenstunden abzufahren, um Abläufe nicht zu stören.
Bei einem Gang durch das Gebäude erklären Zeinert und seine Kollegin Wilkening, auf was sie beim "Sondierungsrückbau" gestoßen sind. Klar war von Anfang an: Fachleute schauen hinter Putz und Verkleidungen, um den Zustand zu analysieren. Es gibt mehrere Probleme:
+ Alte Pläne und der Zustand des Haus passen nicht, Säulen und Balken liegen quasi planerisch nicht richtig. 80 Prozent der Balken seien betroffen.
+ Balkenköpfe sind von Schwamm und Holzwurm befallen, müssen aufwendig ausgetauscht werden. Dafür bedarf es besonderer Handwerker, wann die zur Verfügung stehen, sei offen.
+ Es gab hinter den Verkleidungen Schadstoffe, die erwartbar gefunden und weitgehend ausgebaut wurden.
+ Hinter Putz und Co. fanden sich beispielsweise zugemauerte Fenster, die nun wieder geöffnet werden sollen -- in Abstimmung mit der Denkmalpflege.
+ Die Häuser stammen aus verschiedenen Epochen. Der älteste zum Sand liegende Teil ist zum 1548 datiert, ein Eckbau um 1912, dazu eine Erweiterung aus den 1970er Jahren. All das muss miteinander verbunden werden.
+ Dazu kommen an der Grapengießerstraße noch archäologische Grabungen, die Monate dauern können. (mehr im Anhang am Ende)
Die Planer gehen davon aus, dass sie das linke Gebäude, in dem einst Familie Zelle Fisch verkaufte, nicht sanieren brauchen, das sei um das Jahr 2000 hergerichtet worden.
Nicht aufgegangen ist der Plan, auf einen Generalunternehmer zu setzen, der mit Festpreisen arbeitet. "Das macht angesichts der Entwicklung keiner mehr", bedauert Zeinert. Nun soll ein Baumanagement eingesetzt werden, aus Reihen der Vollversammlung war zu hören, dass möglicherweise das eingesetzte Architektenbüro die Aufgabe übernimmt.
Das Projekt ist mit 25 Millionen Euro kalkuliert. Ob die Summe gehalten werden kann, sei offen, sagen die beiden IHK-Vertreter. Realistisch betrachtet wohl eher nicht, die Frage dürfte eher sein: Was kommt on top? Noch etwas schlägt zu Buche: Die rund 100 Mitarbeiter sind in den leerstehenden Uni-Komplex Volgershall umgezogen, Jahresmiete eine halbe Million Euro. Bleiben sie länger, muss die Kammer länger zahlen. Bleiben könne man jedenfalls, sagt Zeinert.
Was auch immer die weiteren Untersuchungen und Planungen ergeben werden, klar ist allen Beteiligten, auf die Innenstadt kommt eine Großbaustelle zu und das für Jahre. Ohne Auswirkungen wird es nicht gehen, gerade die Gastronomie an der Heiligengeiststraße dürfte das spüren. Wer setzt sich gern auf ein Bier und einen Salat neben neben Bauarbeiten? Die Skepsis der Nachbarn ist seit Bekanntgabe der Pläne greifbar.
Doch wenn die IHK endgültig aus der Innenstadt gezogen wäre, hätte den Komplex ein Investor übernommen. "Der würde auch bauen, so kann man das Gebäude nicht nutzen", sagt Zeinert. Zwei Dinge sprechen für die IHK: Die Kammer dürfte Aspekte des Denkmalschutzes und der Nachhaltigkeit stark beachten. Wenn jetzt alles auf modernen Stand gebracht werde, betont Zeinert, "hält das für Jahrzehnte". Gut sei zudem, das man jetzt die Schäden an den Balken entdeckt habe, nicht auszudenken, wenn irgendwann Konstruktionen nachgegeben hätten -- und dann wäre die Kammer überraschend zur Baustelle geworden.
* Es geht tief in die Geschichte *
Das sogenannte Engbers-Haus an der Grapengießerstraße 41, das Modehaus ist umgezogen, wollen die Planer abreißen, um Platz zu schaffen für neue Räume. Hier geht es um die Archäologie. Stadtarchäologe Tobias Schoo will dort in die Tiefe gehen. Er erwartet dort besondere Funde zur Siedlungsgeschichte.
"Was wir machen werden, ist auch für mich in diesem Umfang neu", sagt der Wissenschaftler. Noch während das Haus steht, werden relativ kleine Quadrate ausgehoben, um im Boden zu schauen, was dort schlummert. "Wir müssen auf die Statik der umliegenden Häuser achten." Also buddeln, sichern, wieder schließen, um die Stabilität zu wahren. Dass er etwas finden wir, da ist sich Schoo recht sicher: Es gab mehrere Bohrungen, deren Kerne haben Fachleute ausgewertet, zwar ohne Sensation, aber doch so, dass die Tiefenanalyse lohnt.
Schoo sieht den Zusammenhang: Am Ostpreußischen Landesmuseum fanden seine Kollegen bei Recherchen vor dem Bau der baltischen Abteilung vor ein paar Monaten zum Beispiel Spuren von Rädern, die belegen, dass der Straßenverlauf einst anders gewesen sein muss. Die Datierungen legt er auf das 12. und 13. Jahrhundert.
Der Altertumsforscher setzt dieses Ergebnis mit den Grabungen vor Jahrzehnten an der Kalandstraße in Verbindung, dort verlief einst die Stadtmauer. Sie reichen bis neute Jahrhundert zurück. Die Tiefenschau an der Grapengießerstraße könnte so eine Verbindung herstellen: "Wir nähern uns den ältesten Siedlungekernen der Stadt." Carlo Eggeling
Die Fotos zeigen Pläne sowie das Innere des IHK-Gebäudes und Michael Zeinert.
Kommentare
Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.