Lüneburg, am Donnerstag den 08.05.2025

Der Mann kann einschenken

von Carlo Eggeling am 10.11.2022


Lüneburger Gesichter (36)
In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor/ Der Beitrag ist auch im aktuellen Quadrat-Heft zu lesen

Jan Konetzki ist Sommelier. In London schenkt der Sohn einer Lüneburger Bäckerfamilie schon mal den Stones ein Glas Wein ein. Über eine Karriere mit Umwegen

Was David und Victoria Beckham in ihrem Weinkeller liegen haben, verrät Sommelier Jan Konetzki nicht. Diskretion gehört zum Geschäft des Weinexperten. Allerdings ist es natürlich werbewirksam – für beide Seiten –, dass ein bisschen Offenheit erlaubt ist. „Ich habe die beiden 2010 im Claridge‘s in London kennengelernt“, sagt der ehemalige Lüneburger und fügt mit Understatement hinzu: „Beim Einkauf hören sie auf meinen Rat.“

Gleich mehrere Berühmtheiten: Das Fünf-Sterne-Hotel gehört zu den prominentesten Herbergen der Welt, zum Weihnachtsbaumschmücken kamen schon mal die Designer Dolce & Gabbana und Karl Lagerfeld vorbei. Dann der Fußballer, der unter anderem für Manchester United und Real Madrid spielte und Kapitän der britischen Nationalelf war und mit seiner Frau, dem Ex-Spice-Girl Victoria, gern im Restaurant tafelte. Und es kommt noch ein Promi hinzu: Das Restaurant im Claridge‘s hat Gordon Ramsay betrieben, ein Drei-Sterne-Koch und im Vereinigten Königreich verehrt.

Puhh, ganz schön beeindruckend. Jan Konetzki ist in London zu Hause, er besucht seine Familie für ein paar Tage. Gespräch an einem warmen ersten Herbsttag auf der Terrasse des Capitols. Ein großzügig geschnittener schwarzer Mantel, ein bisschen Poncho, die Hose scheint aus wilden Blumen zu bestehen, auf dem Cap steht Vine. Konetzki trinkt einen „Filterkaffee“.

Eine kleine Lebensgeschichte. Die beginnt an der Ilmenau. Hauptschule in Kaltenmoor. Prägend war der gerade verstorbene Konrektor Heiko Dierks: „Mein Mentor. Er wollte es gutmachen und hatte einen klaren Ton, wenn es nicht lief.“ Jan legte den Realschulabschluss ab, wollte Schneider werden, doch eine Rot-Grün-Sehschwäche ließ das Ganze einen Wunsch bleiben. „Ich habe immer gern gebacken und gekocht“, sagt er. Die Konetzkis sind eine eingesessene Bäckerfamilie: „Ich habe ein Jahr bei meinen Eltern gelernt, die Ausbildung dann in Glinde bei Hamburg beendet.“ Er lacht: „Ich war jung, schwul, hatte grüne Haare.“

Raus aus der Provinz. Es geht nach New Jersey: „Es war eine deutsch-jüdische Bäckerei. Ich bin auf einem Touristenvisum hin und habe schwarz gearbeitet, hatte ein Zimmer mit zwei Mexikanern.“ Schwul sein ist kein Problem, im Gegenteil: „Wir hatten eine tolle Gemeinschaft.“ Es geht weiter. Miami, Kreta, Mykonos, Hamburg Dort betreibt ein Freund eine Cocktailbar. Statt Bäcker wird er Kellner, Barmann, Betriebsleiter; nebenbei Bacardi-Werbeveranstaltungen. „Neben meinem Lohn hatte ich jeden Tag 100, 120 Euro Trinkgeld nebenher.“ Gastronomie, das ist es. Eine Lehre im FünfSterne-Hotel Louis C. Jacob an der Elbchaussee. Dort nimmt ihn Sommelier Hendrik Thoma unter seine Fittiche: „Einer der zwei bekanntesten in Deutschland.“ Nach der Ausbildung darf er ein halbes Jahr als Stellvertreter des Hoteldirektors arbeiten.

Der vermittelt ihn nach England. „Zu Gordon Ramsey, einer der bekanntesten Köche der Welt mit drei Sternen“, erzählt Konetzki. „Er hat die ganzen Kochshows erfunden, die jetzt abgewandelt auch in Deutschland laufen.“ Er belegt Kurse, kommt ins Claridge‘s. Die Namen seiner Gäste weltberühmt: Whoopie Goldberg, Bono, Bruce Springsteen, die Stones, Daniel Craig. Er wird Head Sommelier. Fünf Tage die Woche von morgens um zehn bis nachts um eins.

„Gastro ist geil“, sagt Konetzki und lacht wieder. „Du lernst Menschen kennen und musst sie lesen. Essen und Wein verbinden. Da hast du das Paar, das lange gespart hat, um sich so einen Abend zu leisten zu können. Wer wohlhabend ist, möchte vielleicht als Gastgeber gelobt werden für die Wahl des Weins.“

Inszenierung. Ramsey kann sehr wütend werden und brüllen. Ramsey kann sehr nett sein. „Er hat mir einen Anzug aus der Savile Row geschenkt.“ Maßanzüge von Schneidern, irre teuer und edel. „Gordon hatte eine Weinkarte wie eine Bibel, 1000 Positionen von 30 bis 20.000 Pfund. Die besten Weine der Welt. Ich durfte die Karte neu gestalten. Ein anderes Design.“

Nebenbei gründet er mit Freunden eine Firma mit einer Wein-App für Supermärkte: „Ich bin morgens um 5.30 Uhr von Gatwick nach Berlin geflogen. Am ersten Tag hatten wir 20.000 Downloads.“ Nach zwei Jahren hören sie auf, es läuft nicht so wie gewünscht. Zeit für einen Wandel.

Er verlässt Ramsey 2016. „Ich hatte schon ein bisschen Angst, Ansehen zu verlieren“, sagt er. Zwei Monate geht es nach Asien, dazu Yoga und Gesprächstherapie. Es wird ruhiger. Das Leben schwingt gleichmäßiger. Er bleibt Berater bei Ramsey, arbeitet mit anderen Firmen zusammen, wird Markenbotschafter für Weingüter im Bordeaux, arbeitet als Sommelier für das Four Season in London. Man muss es kaum sagen: eine Topadresse.

Konetzki reist, probiert, berät. Er ist bei Youtube zu sehen, nimmt in Shows bei Kollegen Platz, um darüber zu sprechen, ob der Tropfen fruchtig, nussig, sanft oder, wenn er von der Küste kommt, salzig-frisch schmeckt. Geschmack könne jeder schulen, sagt er. Probieren, die Schale des Apfels kosten, das Fruchtfleisch, das Kerngehäuse, aber auch mal das Metall eines Löffels.

Zunge schonen? Nee, eher nicht. Es gibt auch mal einen Döner und Gin Tonic. Zwei Tage die Woche ist Alkohol tabu. Bei Proben nippt er an 80 bis 120 Weinen -- und spuckt sie wieder aus. „Das ist mehr ein Polaroid als ein Gemälde“, beschreibt er seine Arbeit. Es muss nicht immer teuer sein: „Handarbeit schmeckt man, anders als bei Industrieweinen. Schon ab zehn Euro die Flasche kann es etwas sein.“

Offen für Neues, Ungewohntes. Neben Österreich, seien die Kanaren interessant. Zu Hause hat er Weine, die zehn, zwanzig Euro die Flasche kosten. Ihm ist wichtig, sich nicht so wichtig zu nehmen. „Als Sommelier bist du ein glorifizierter Kellner“, sagt er und grinst. „Mein Kapital ist, dass ich gerne und gut quatsche.“ Wieder Understatement. Denn selbstverständlich hat er eine Menge Wissen und einen sehr feinen Geschmack.

Und natürlich ist er ehrgeizig, selbst wenn er zum Ausgleich töpfert und überlegt, Kurse anzubieten. Und natürlich ist er auch Geschäftsmann, der weiß, wie Marketing in eigener Sache funktioniert.

Der Kaffee ist ausgetrunken. Es war eine heitere Stunde. Ohne einen Tropfen Wein und trotzdem ein bisschen tipsy, um ein englisches Wort zu nehmen. Er „quatscht“ gut. Kann man sich vorstellen, dass die Beckhams seine Empfehlungen probieren. Es macht Spaß zuzuhören. Eigentlich sollte er einen Weinabend in Lüneburg anbieten. Das wäre mal was.

Fotos: Frank Burkhard / ca

© Fotos: Frank Burkhard / ca


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