Der verschwundene Brunnen — Spurensuche am Kalkberg
von Carlo Eggeling am 26.09.2023Man muss schon wissen, was man sucht: Der Schlöbcke-Brunnen am Fuß den Kalkbergs ist nur schwer zu entdecken. Das liegt nicht nur an der Baustelle für die Kita der Lebenshilfe, aufgewühltem Boden und sich türmendem Baumaterial. Um eine gestanzte Formulierung zu nutzen: Die Natur hat sich den künstlichen Quell samt Gedenkstein zurückerobert.
Der Brunnen hat es nicht einfach -- so wie der gesamte Gipshut, der seit neunzig Jahren unter Naturschutz steht. Einerseits Parcours für Flaneure und Refugium vieler Tiere und vom Aussterben bedrohter Pflanzenarten, ist er andererseits auch Abenteuerspielplatz für Kinder aus angrenzenden Viertel sowie Liegewiese und illegaler Campingplatz für Obdachlose. Nicht alle gehen pfleglich mit dem Idyll mitten in der Stadt um.
Der Brunnen leidet immer wieder. Vor zwei Jahren monierte der Vorsitzende des Bürgervereins, Rüdiger Schulz, einen erbärmlichen und vermüllten Zustand. Die Stadt gelobte und verschaffte Linderung. Als ich Schulz neulich traf, beklagte er die Lage erneut. Zu recht, wie ein Ortstermin ergab.
Im Rathaus ist der Zustand bekannt. In der Pressestelle sagt Vera Reinicke: "Das Geländer des Schlöbcke-Brunnens wurde aufgrund des Neubaus der Kindertagesstätte durch die Lebenshilfe zurückgebaut. Die Wasserzuleitung wurde ebenfalls abgestellt. Die Sicht auf den Brunnen ist durch das Baumaterial versperrt. Die Fertigstellung des Neubaus ist für Ende des Jahres geplant. Der Schlöbcke-Brunnen wird im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Außengeländes wieder baulich hergerichtet. Um unter anderem einen Frostschaden zu verhindern, erfolgt die tatsächliche Inbetriebnahme des Brunnens erst wieder im Frühjahr 2024."
Die Wiederauferstehung dauert also noch. Sie entwickelt sich zur Wiederholung der Wiederholung. 2005 hatte die Verwaltung dem Brunnen wegen hoher Kosten für den Unterhalt und permanenten Zerstörungen den Zulauf abgedreht. Im Oktober 2012 wurde er mit Spenden der Sparkassenstiftung, des Bürgervereins und der Purena sowie mithilfe der Stadt reanimiert. Laut Schulz flossen damals rund 30 000 Euro in das Projekt. Davon ist aktuell nichts mehr zu erkennen.
+++ Ein bisschen Hintergrund zum Kalkberg und zu Schlöbcke
Einst Sitz der Burg, später dann Steinbruch, dass sie mit dem Kalkbruch einen Schatz hatten, erkannten die Lüneburger erst spät. 1887 gründete sich um den Oberförster Hermann Busse ein Bürgerverein, der Naherholungsgebiete schaffen wollte: Über die Wege des Bockelsberges an der Ilmenau joggen und flanieren die Lüneburger immer noch gerne.
Ebenfalls im Fokus hatte die Ur-BI den Kalkberg. Der Verschönerungsverein veranstaltete Basare und Sammlungen, aus dem Erlös bekam die Kalkbergkuppe einen bequemen Zugang mit einem Geländer, das noch heute seinen Dienst tut. Bis 1922 wurde Gips abgebaut. Danach war der Weg endlich frei, die Reste zu retten. Eduard Schlöbcke war inzwischen der Mann, der gemeinsam mit anderen um den Gipshut kämpfte. 1928 schrieb er in seinem Kalkberg-Führer herzzerreißend: „Ist es doch, als ob ringsum am Berge heute noch qualvoll sich die Felsen öffnen, stumm vor Schmerz, aber laut und dringlich die Menschen anklagend ob ihrer rücksichtslosen Zerstörungswut.“ Die Bürgerbewegung hatte Erfolg: 1932 erklärten die Behörden den hohlen Zahn zum Naturschutzgebiet.
Ein Schatz braucht Pflege, und einer, der diesen Schatz mitgerettet hat auch. Wäre schön, wenn der Brunnen und sein Held nicht vergessen werden. Carlo Eggeling
Die Bilder zeigen den Brunnen und ein bisschen vom Kalkberg-Idyll.
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