Lüneburg, am Sonntag den 04.05.2025

Der Zweite Weltkrieg endete in Lüneburg — was vor 80 Jahren geschah

von Carlo Eggeling am 02.05.2025


In einem Zelt auf dem Timeloberg bei Wendisch Evern endet der Zweite Weltkrieg am 4. Mai 1945. Der britische Feldmarschall Bernard Law Montgomery und der deutsche Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg unterzeichnen auf Höhe 79
die Kapitulationsurkunde. Heute irgendein Fleckchen Erde, damals ein Schauplatz, auf den die Welt blickte. Die Deutschen hatten den Krieg verloren, das angeblich Tausendjährige Reich Hitlers lag nach zwölf Jahren in Schutt und Asche, der Krieg und der Terror der Nazis hatten Millionen Tote gefordert.

Nun also diese Anhöhe. Die Inszenierung ist karg, aber durchdacht. Die Einrichtung des Zeltes war ganz schlicht: "Eine Tischplatte auf Böcken mit einer wollenen Armeedecke, darauf ein Tintenfass und ein gewöhnlicher Federhalter, wie man sie in jeder Kantine für zwei Pence kaufen konnte. Auf dem Tisch standen zwei Mikrophone des englischen Rundfunks", beschreibt Montgomery die Kulisse in seinen Erinnerungen.

Vor ihm sitzt eine Delegation der sogenannten Reichsregierung. Hitler hat sich ein paar Tage zuvor im Führerbunker in Berlin das Leben genommen. Nun übernimmt Großadmiral Karl Dönitz das Ruder. Der sitzt erst in Plön, dann in Mürwik bei Flensburg und will zunächst „den Kampf gegen die Bolschewisten" fortführen, also das kommunistische Russland. Doch obwohl er als bedingungsloser Anhänger Hitlers gilt, erkennt er offenbar, dass die Wehrmacht keine Chance mehr hat. Sein Ziel, so beschreiben es Historiker, ist es, dass die deutschen Soldaten im Osten zurückweichen und sich dann anglo-amerikanischen Truppen ergeben können. Möglichst nicht der als gnadenlos geltenden Roten Armee.

Die Briten sind am 18. April in Lüneburg einmarschiert. Kampflos, die Stadt hatte sich ergeben. Die englische Führung hat Quartier bezogen auf Hof Knacke in Oedeme, in der Handwerkskammer und der „Möllering-Villa“ in Häcklingen. Der ehemalige LZ-Chefredakteur Helmut Pless und eine Ausstellung im Salzmuseum im Jahr 1995 haben das Geschehen nachgezeichnet. Auch der Historiker Rainer Sabelleck hat einiges zusammengetragen.

Welche Rolle die inzwischen abgerissene Villa, benannt nach dem ehemaligen Chef der Kronen-Brauerei, Alexander Möllering, spielte, ist umstritten. Doch einiges ist klar. Das Museum hat sich das Portal der Villa und Laternen gesichert, um so an den historischen Ort zu erinnern, eingebaut in eine Ausstellung.

Dönitz entsendet am 3. Mai von Friedeburg nach Häcklingen. Der Offizier soll einen Teilfrieden aushandeln, der von Ems bis Elbe sowie nach Schleswig-Holstein reicht. Auch soll Montgomery die deutschen Armeen, die sich aus dem Raum zwischen Rostock und Berlin zurückziehen, in Empfang nehmen.

Die deutschen Unterhändler werden auf ihrem Weg von Tieffliegern beschossen, bekommen bei Hamburg Durchlass von den Feinden gewährt. Doch was von Friedeburg und seine Begleiter vorschlagen, lehnt der Brite ab.

Die „Germans“ sollen da die Waffen strecken, wo sie stehen. Die Vorgabe der Engländer: Die deutschen Truppen in Holland, Friesland, inklusive der küstennahen Nordseeinseln und Helgoland, Schleswig-Holstein und Dänemark müssen sich bedingungslos ergeben. Wenn deutsche Landser aufsteckten, würden sie hinter den britischen Linien aufgenommen. Willige die Dönitz-Regierung nicht ein, gingen die Kämpfe weiter, samt Bombardements. Da ist nichts zu verhandeln, und von Friedeburg ist nicht autorisiert, so eine Vorgabe zu unterzeichnen. Also fährt er zurück nach Flensburg. Die Reichsregierung muss „Montys“ Diktat abnicken, sie schickt von Friedeburg wieder nach Lüneburg.

Montgomery hat sich eine Bühne gesucht, den Timeloberg. Später wird er den Hügel bedeutungsschwanger Victory Hill nennen, Berg des Sieges. Dort im Zelt unterschreiben die Offiziere ihre Dokumente.

Christian Lamschus, ehemals Chef des Salzmuseums, schreibt im Begleittext der damaligen Ausstellung: „Die von Dönitz praktizierte Methode der verzögerten beziehungsweise stufenweisen Kapitulation verlängerte den Krieg und die mit ihm verbundenen Leiden um mehrere Tage, war aber, blickt man auf die Zielsetzung, letztlich erfolgreich. Von den zirka 3,34 Millionen deutschen Soldaten, die an der Ostfront standen, gelang es etwa 1,85 Millionen, sich zu anglo-amerikanischen Linien durchzuschlagen."

Trotzdem bedeutet dies nicht unbedingt eine humanere Behandlung: „Hunderttausende starben amerikanischen Lagern an den Folgen von Unterernährung, Krankheit, Kälte und allgemeiner Entkräftung. Rund 1,5 Millionen gerieten in russische Gefangenschaft; nur wenige kehrten zurück."

Die Götterdämmerung, besser Teufeldämmerung, findet noch zwei andere Schauplätze, am 7. Mai in Reims und in Berlin-Karlshorst, dort werden die Russen einbezogen. Die Gesamtkapitulation an allen Fronten tritt am 9. Mai 0.01 Uhr in Kraft. Der Krieg ist zwar vorbei, das Elend nicht. Hunger, Zerstörung und das Wiederbeleben der Wirtschaft begleiten die Völker Europas.

In Lüneburg reicht das Ergebnis von Reims. Am 8. Mai tritt der britische Befehlshaber Oberst Stansfeld gegen 16 Uhr mit Begleitern, einer ist Bürgermeister Karl Olvermann, auf den Balkon des Rathauses, um die Kapitulation zu verlesen. Doch was wirklich geschah, ist umstritten. Während die einige Quellen behaupten, der Markt sei voll von Menschen gewesen, sagen andere, gerade paar Figuren hätten sich dem Platz verloren. Schließlich sei das Kriegsende für die Lüneburger ein alter Hut gewesen -- die Engländer hatten die Stadt bereits vier Wochen zuvor eingenommen.

Pless schildert: „Die Stansfeld-Proklamation am 8. Mai 1945 war durch einen Reporter auf Tonband mitgeschnitten worden." Von dort gelangte sie ins Deutsche Rundfunkarchiv. „Dort suchte man 1974 anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Rundfunks für historische Aufnahmen zwei Langspielplatten. Unter den 110 Minuten ...ist die Botschaft aus Lüneburg zu hören."

Dafür, dass auf dem Markt kein Gedränge herrschte, finden sich Hinweise im Katalog der Ausstellung des Salzmuseums. Zeitzeugen berichten dort, dass nur wenige am Luna-Brunnen standen beziehungsweise, dass sie die Kapitulation kaum interessierte.

Es gibt weitere Momente, die Lüneburg dieser Tage einen Platz in den Geschichtsbüchern bescheren. Am 15. April 1945 haben die Briten das Konzentrationslager Bergen-Belsen befreit, mehr als Hunderttausend Menschen sind dort umgekommen, sie sterben durch Krankheiten, Hunger, Qual. Mord. Am 17. September 1945 beginnt der erste Kriegsverbrecherprozess Deutschlands in der lange abgerissenen MTV-Halle an der Lindenstraße. Er endet nach einem Monat mit acht Todesurteilen gegen SS-Bewacher und drei Aufseherinnen.

Einer der gefürchtetsten Männer des Dritten Reichs nimmt sich an der Ilmenau das Leben: Heinrich Himmler, Reichsführer SS, Gestapo-Chef, Reichsinnenminister, Befehlshaber des Ersatzheeres, Oberaufseher aller Konzentrationslager, war geflüchtet. Doch seine Maskierung ohne den gewohnten Bart, dafür mit Augenklappe und "als Feldwebel der geheimen Feldpolizei“ fiel bei einer Kontrolle auf. Er wird in ein Büro an der Uelzener Straße gebracht. Dort gelingt es ihm, eine Zyankalikapsel zu zerbeißen. Er stirbt. Wohin seine Leiche gebracht wird, verschweigen die Briten. Eindeutig geklärt ist es bis heute nicht.

Ein Schwenk zurück auf den Timeloberg. Dort lässt Montgomery nach der Kapitulation eine Gedenktafel anbringen. Pless berichtet: „Gemeindedirektor Karl Basse, gerade aus Kriegsgefangenschaft nach Wendisch Evern heimgekehrt, wurde am 9. September 1945 durch schriftlichen Befehl des britischen Kommandanten von Lüneburg, Major Harper, verpflichtet: ,Von heute 10 Uhr an sind Sie persönlich haftbar für Sicherheit und Bewachung der Gedenktafel'. Fünf entlassene Landser, bezeichnenderweise vier Heimatvertriebene und ein schwer Kriegsbeschädigter, haben jahrelang für 89 Pfennig Stundenlohn noch Wache auf dem Timeloberg geschoben."

Trotzdem wird die Gedenktafel gestohlen, allerdings erst nach zehn Jahren. Stadtchronist HaJo Boldt hat sich auf die Spur begeben, einiges herausbekommen. Sogenannte nationale Kreise aus dem Raum Uelzen sollen nach seinen Recherchen die Bronzetafel geklaut und im Stadtwald der Nachtbarstadt verbuddelt haben. Doch inzwischen ruhe das zenterschwere Stück Geschichte nicht mehr dort. Möglicherweise ist die Tafel bei einem Schrotthändler gelandet. Boldt forscht weiter.

Handwerker bringen damals ein Duplikat an. 1958 kehrt "Monty" noch einmal zurück in die Heide. Er nimmt den Gedenkstein mit auf den britischen Übungsplatz Sandhurst. 50 Jahre nach Kriegsende, also 1995, kommt ein neuer Stein, ein Findling. Darauf findet sich eine simple Botschaft und eine große Hoffnung: Nie wieder Krieg. Carlo Eggeling



Veranstaltungen

Im Museum ist vom 3. Mai bis zum 2. November die Ausstellung Surrender 45 zu sehen. Sie greift die Kapitulation am Timeloberg auf. Chronist HaJo Boldt hat Dutzende internationale Zeitungen gesammelt, die damals über die Szenen in Lüneburg berichtet haben. Museumschefin Heike Düselder und Kurator Ulfert Tschirner haben die Ausstellung konzipiert. Sie haben Filmmaterial und Fotos aus jenen Tagen zusammengetragen. Ihre „Geschichte“ gruppiert sich um das aus Originalmaterial nachgebaute Portal der Möllering-Villa.



Am Samstagabend, 3. Mai, ist von 20 Uhr an auf dem Markt ein kleines Festival mit Musik und Tanz zu erleben. Gegen 21.30 Uhr startet eine Licht- und Multimedia-Inszenierung unter dem Motto „80 Jahre Frieden bei uns“. Verantwortlich zeichnet der Illuminator Wolfgang Graemer.



Am 8. Mai veranstaltet ein Bündnis verschiedener Organisationen mit maßgeblicher Beteiligung der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) von 15 Uhr an ein Fest auf dem Markt, Motto: Wir feiern 80 Jahre Befreiung vom Faschismus. Mit dabei sind unter anderem das Theater, Den Man Tau und Samba das Salinas.

© Fotos: ca


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