Lüneburg, am Samstag den 20.12.2025

Die alte Mauer plagt das Reißen

von Carlo Eggeling am 19.09.2025


Als die Stadt wuchs, entledigte sie sich im 19. Jahrhundert ihrer Tore, Wälle und Mauern. Nur wenige Reste ließen die alten Lüneburger stehen, das mächtigste Stück am Liebesgrund. 340 Meter lang. Dort bröselt es mächtig. Im Park ist das für Laien mühelos zu erkennen. Dramatisch schaut es auch auf der anderen Seite aus: Hinter der Bardowicker Mauer hat sich Mauerwerk gelöst. Es schreit nach Bauarbeiten. Seit Jahren. Bereits 2018 war das klar, da gab es Untersuchungen durch die Stadt und die Aussage: "Es wird Millionen kosten." Jetzt haben Arbeiter Gerüste aufgestellt, Sanierungen sollen beginnen.

Was vermutlich die wenigsten wissen, die vom Capitol in Richtung Graalwall oder andersherum flanieren, sie spazieren eigentlich über zwei Mauern. Frieder Küpker betreut das Projekt bei der Stadt und blättert im Geschichtsbuch. Die erste Mauer um die Stadt wurde im 14. Jahrhundert errichtet, um Feinde aufzuhalten. Später errichteten die Vorfahren einen zweiten, einen äußeren Ring. Dazwischen verlief eine Art Gasse, durch die Wachen patrouillieren konnten, vielleicht liefen dort auch Hunde. Doch die Herausforderungen änderten sich, Angreifer verfügten nicht nur über Pfeil und Bogen und Musketen, sondern über Geschosse. Die Verteidiger ihrerseits über Kanonen. Man brauchte eine andere Statik, andere Flächen, um den Rückstoß beziehungsweise Einschläge aufzufangen. Also verfüllten die alten Lüneburger die Gasse und machten einen großen Wall aus dem Bauwerk.

Hinter den Fronten verbirgt sich ein trutziges Innenleben, das an einigen Stellen zutage tritt. Hinter einer Schale aus gemauerten Ziegelsteinen liegen sogenannte Lesesteine, also Feldsteine, die von Äckern gelesen und dann mit Gipsmörtel verbunden wurden. Das soll eine Schicht von rund eineinhalb Metern ausmachen. Später setzten die alten Lüneburger Stützen gegen die Mauer, um ihr besseren Halt zu geben.

Zur Stadt hin sehen wir diese Mauer, deren Ursprünge bis um das Jahr 1400 zurückreichen. Deren "Schale" wurde über die Jahrhunderte erneuert, eben weil auch damals schon Wind und Wetter den Steinen zusetzten. Sie ist unterschiedlich gut erhalten und soll nach diesen zeitlichen Vorgaben saniert und restauriert werden. Dabei geht es selbstverständlich auch um Sicherheit: Steine und Brocken könnten sich lösen, auf Passanten und Autos fallen. Sanierungen aus den 1970er-Jahren taten dem Gemäuer nicht gut. Der damals eingesetzte Zementmörtel passt nicht mit alten Materialien zusammen, das Ganze quillt auf. Sinnvoller wäre es gewesen, es wie die Alten zu machen, die verwendeten Gips vom Kalkberg.

Nach umfangreichen Analysen, Vorbereitungen laufen seit mehreren Jahren, sei man zu dem Schluss gekommen, in bestimmten großen Feldern alte Ziegel zu entnehmen und durch handgeformte neue Steine zu ersetzen, sagt der städtische Bauingenieur Küpker. Dabei müsse man sich bei der Anmutung für einen historischen Vorgänger entscheiden, der könnte beispielsweise aus dem 17. Jahrhundert stammen.

An anderen Stellen sind schwarze Steine zu sehen und damit eine Art Vorgänger. Hier wolle man möglichst viel erhalten, da die Bereiche nur wenige Quadratmeter ausmachten. Das genaue Vorgehen werde während der Arbeiten abgestimmt und entwickelt, erklärt Küpker. Zudem sollen Fachleute "Nadeln" setzen, das meint, Kern und Mauerwerk werden, schlicht gesagt, miteinander "verschraubt", um für Standfestigkeit zu sorgen.

Die neuen an alte Vorbilder erinnernden Steine soll bis zum nächsten Frühjahr gebrannt werden, denn die Menge des Materials stehe noch nicht fest, berichtet Küpker. Einher mit den Arbeiten geht ein Blick auf den Bewuchs. So bleiben die Linden auf dem Wall erhalten, doch viele der Sträucher müssen weichen, weil sie die Substanz angreifen.

In Richtung Liebesgrund stehen Arbeiten an. Dort solle das Idyll à la Caspar David Friedrich erhalten bleiben, also die grünen Refugien für Vögel und Glühwürmchen. Aber das Mauerwerk ist augenscheinlich angegriffen. Die Stadt kalkuliere für den ersten Bauabschnitt mit Kosten von rund 800.000 Euro, die Zuwendungen aus dem Städtebauförderprogramm beliefen sich auf bis zu 90 Prozent. Die Arbeiten sollen sich über die nächsten zwei Jahre hinziehen. Das Vorgehen sei selbstverständlich mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege abgestimmt, sagt Frieder Küpker.

Andere Überreste der Stadtbefestigung kann der Spaziergänger am Kalkberg entdecken, dort, wo einst die Burg stand. Unterhalb wilder Gärten in Richtung Sülzwiesen und an einem Weg am Rande des Berges zum Getränkemarkt. Dazu muss man wissen, dass der Berg, der nicht aus Kalk, sondern aus Gips besteht bis zu sechzehnmal so groß wie heute gewesen sein soll. Er diente als Steinbruch -- und als Lieferant für Baumaterial eben auch der Stadtmauer.

Einen künstlerischen Eindruck, wie die Stadt vor Jahrhunderten aussah, schenkt uns der Heiligenthaler Altar in der Nicolaikirche. Hans Bornemann verlegte Mitte des 15. Jahrhunderts -- typisch für seine Zeit -- eine Biblische Szene an die Ilmenau. Wer darauf blickt, weiß, wie trutzig und stolz Lüneburg sich fühlte.


EINE KLEINE ZEITREISE
Lüneburgs Schutzzonen

+ Um 1250 legt die Stadt Gräben und Wälle mit Holzzäunen an.

+ 1397 erhält Lüneburg das Recht, eine Landwehr anzulegen.Um 1400 folgt ein Ring aus Steinmauern. Hinter der Bardowicker Mauer entstehen Türme an einer Mauergasse. Hier liegen der Wollenweberzwinger und der Goldschmiedezwinger.

+ Um 1550 wird der äußere Mauerzug, an dem Rundtürme stehen, mit einem gedeckten Gang mit der Stadt verbunden.

+ Um 1650 wird die Bastei zur mächtigeren Bastion ausgebaut, von dort aus kann man von nun an mit Kanonen auf Gegner schießen.

+ Im 18. Jahrhundert beginnt Lüneburg, die Befestigungen zu schleifen. Gegen die Bardowicker Mauer setzen Arbeiter Pfeiler als Stützen.

+ Im 19. Jahrhundert wird die Lindenallee auf dem Wall zum Promenieren angelegt.

+ Zwischen den 1960er und 70er Jahren werden Teile der Mauer verblendet. Carlo Eggeling

© Fotos: Hajo Boldt, Stadt Lüneburg, ca


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