Die Grünen machen es richtig, die anderen dösen
von Carlo Eggeling am 11.11.2023Meine Woche
Schläfrig
Die Sozialdemokratie scheint sich gern verprügeln zu lassen. Vielleicht weil man sich historisch auf der guten Seite fühlt. Im Rat bekamen die Sozis einen übergebraten, als es um das Theater ging. Das wollen alle erhalten bis auf die AfD. Also verabschiedete man parteiübergreifend eine Erklärung, die eine ausreichende Finanzierung wünscht. Die Grüne Corinna Maria Dartenne grätschte wider den Teamgeist dazwischen: In Hannover hätten die Roten zusammen mit den Schwarzen regiert und damals versäumt, sich für ausreichende Zuschüsse einzusetzen, die auch Tarifsteigerungen abfangen. Bekanntlich hängt der Bühne ein Seil mit einem Brocken um den Hals -- ein Millionendefizit droht ihr die Luft abzuschnüren.
Frau Dartenne setzte nach: Zwar hätten wir nun eine rot-grüne Landesregierung, doch der Kulturminister sei ein Sozialdemokrat, ob die Lüneburger ihn mal angerufen hätten, um Bares zu fordern? Mimimimi bei SPD-Mann Jens-Peter Schultz. Bloß naheliegende Fragen fielen den SPD-Leuten nicht ein: Wie heißt nochmal der Finanzminister in Hannover? Welches Parteibuch besitzt er? Falls es die Genossen vergessen haben: Gerald Heere, ein Grüner. Ist es nicht so, dass die Grüne Fraktion im Landtag von Detlef Schulz-Hendel angeführt wird, der aus Amelinghausen kommt und Theaterliebhaber sein soll? Hat der so gar keinen Einfluss, um die Wünsche der grünen Abgeordneten zu bündeln und Schatzmeister Heere nahezubringen? Immerhin haben sechs kommunale Theater im Land mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen. Wie schläfrig ist man bei Sozial-, Christ- und Freidemokraten?
Auch neulich klingelte der Wecker nicht bei Sozis, CDU und FDP, die genug Stimmen für ein Contra summieren. Sie ließen sich abspeisen, als es um die Öffnungszeiten der Sparkassenfilialen ging. Weniger Zeit, das finden viele Ältere nicht gut. Was für ein bürgernahes Thema. Die Oberbürgermeisterin verkündete, die Sparkasse sei ein Wirtschaftsunternehmen, da könne man nichts machen. Da wirkt die OBin mäßig im Thema. Träger der Sparkasse sind Stadt und Landkreis, natürlich haben die über den Verwaltungsrat Einfluss auf die Geschäftsführung. Kann man mal vergessen. Die grüne Ratsvorsitzende arbeitet übrigens für die Sparkasse, die hätte bestimmt Bescheid gewusst.
Gleiches Spiel bei der vergeigten Wahl zum Seniorenbeirat. Sozialdezernent Florian Forster, ein EDV-Fachmann, erzählte jetzt sehr lang über EDV-Probleme, eigentlich könne er nichts dafür, obwohl er verantwortlich ist. Die Grünen sagen, toll, dass er so transparent damit umgehe. Die Oberbürgermeisterin erklärt, das "Missgeschick" habe ihr Parteifreund "gewissenhaft" aufgearbeitet, der Umgang mit dem Fehler sei ein "Lehrstück". Ein Lehrstück des Scheiterns? Nein, der Aufarbeitung. Ein bisschen Gegrummel.
Schön, dass es so harmonisch zugeht. Es sei lediglich "ärgerlich", dass die Wahl ausgefallen sei, war zu hören. Dass die 78 Delegierten bis heute nicht von der Verwaltung angeschrieben wurden, unhöflich bis peinlich? Kleinlich. Angesichts eines 50-Millionen-Defizits im Haushalt geht es gar nicht anders, als ein paar Euro beim Porto sparen. Zumal man bei der Delegiertenwahl 20 000 Euro ausgegeben hat für rund 20 000 Briefe an Senioren über 60 Jahre. Vor kurzem war sich der Dezernent im Sozialausschuss sicher, das Geld bekomme die Stadt über eine Versicherung zurück. Jetzt hieß es, das prüfe man gerade. Vielleicht ist die Kohle "lehrstückhaft" perdu. Aber blicken wir auf das Gute, die Briefwahl wird wiederholt. Kann nur besser werden.
Bitte keinen Streit, wir denken an das schöne Bibelwort "Suchet der Stadt Bestes". Deshalb ist es auch gut, wenn die Ratsvorsitzende gern eingreift, falls ein gewählter Vertreter der Bürger einen Zwischenruf wagt. Das sei nicht gewollt. Im Bundestag werden Zwischenrufe protokolliert, sind Salz in der Suppe. Aber die Lüneburger Saline hat ihren Betrieb lange eingestellt, da braucht es kaum Salz in der Diskussion.
Immerhin wagte die SPD anzumerken, dass die Grünen keinen Parteifreund als Ortsvorsteher in Häcklingen nominieren können. Die hatten in der Vergangenheit kurioserweise gleich zwei, was es, so ich weiß, bislang in Lüneburg nicht gab. Die beiden gaben das Ehrenamt ab. Also hilft der CDU-Mann Wolfgang Güth aus. Sehr anerkennenswert, nett und bestimmt im Vergleich zum vorherigen Duo effizienter, denn es hatte den Ruf nicht sonderlich agil zu agieren. Aber das Thema dürfte doch sein, dass man mit reichlich mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen in Häcklingen niemand in den eigenen Reihen findet, der für die Anliegen der Wähler vor Ort da ist.
Die Erklärung mag darin liegen, die uns Kalina Magdzinska lieferte. Sie setzte sich für Bürgerräte ein. War übrigens ursprünglich eine Initiative der SPD. Die Grüne findet, dass der Rat die Bevölkerung nicht repräsentativ abbilde, etwa Menschen, die zugewandert sind, seien kaum vertreten. Nun könnten die, wie es einige tun, sich selber in Parteien engagieren. Sicher auch bei den Grünen.
Egal. Nach einem bestimmten Schlüssel sollen für einen Testlauf Menschen wie du und ich ausgewählt werden, alle sollen nichts mit Politik zu tun haben. Unabhängigkeit. Nun heißt es in der Vorlage: "Da zur Teilnahme am Bürger:innenrat kein Vorwissen zum Thema erwartet wird, erhalten die Bürger:innen Inputs von Expert:innen zum bearbeitenden Thema. Bei der Auswahl der Expert:innen ist es entscheidend, dass verschiedene Perspektiven als Inputs eingebracht werden." Wer wählt Experten und Themen aus? Der Zufallsgenerator? Ach ja, kostet für zwei Testläufe 50 000 Euro. Minus im Etat 50 Millionen? Und für fürs Porto bei Senioren, die ein Viertel der Lüneburger Bevölkerung stellen, reicht es nicht? Nicht mal ein Fuffi für die nicht informierten Kandidaten?
Um auf Häcklingen zurückzukommen, da könnten sich Sozial-, Christ- und Freidemokraten fragen, ob es bei den Stadt-Grünen zwar viele Ideen, aber augenscheinlich wenige gibt, die direkt bei profanen Dingen des Alltags in einem Stadtteil anpacken wollen. Vielleicht sollte die Öko-Partei das nächste Mal mehr darauf achten, wenn sie ihre Fraktion zusammenstellt. Bei der vergangenen Kommunalwahl kam es zu einem großen Kehraus bürgernaher Politiker, um dafür ein uni-nahes Klientel zu ziehen.
Es gab ja mal Zeiten, da ging's strittiger im Rat zu. Feuer gegen den Oberbürgermeister, nachhaken in der Verwaltung. War spannender, hat mehr erreicht. Damals waren die Grünen in der Opposition, für die Schlauen, ich weiß, die gibt es im Rat nicht. Der Angriff lohnte sich, nach der Wahl lagen die Grünen vorn, sie stellen die Oberbürgermeisterin.
Die Grünen scheinen vieles richtig gemacht zu haben. Jetzt nutzen sie SPD- und CDU-Schläfrigkeit und deren Konsenssehnsucht. Könnte man mal drüber nachdenken bei Christ-, Sozial- und Freidemokraten. Nur falls man regieren möchte. Carlo Eggeling
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