Lüneburg, am Samstag den 10.05.2025

Die Luftnummer

von Carlo Eggeling am 19.12.2023




Kinder, Jugendliche, Schwangere und "gesundheitlich vorbelastete Menschen" sollten sich nicht dort aufhalten, andere am besten nur ein bis zwei Stunden die Woche. Nachzulesen ist das in der "Nutzerinformation Glockenhaus". Der Grund: gesundheitsgefährdend Schadstoffe in der Luft. Bekannt ist das Problem seit mindestens 2005. Die Konsequenz damals: Mitarbeiter der Stadt, etwa der Ausländerbehörde, mussten ihre Büros räumen. Stadtbaurätin damals wie heute ist Heike Gundermann, die Lage ist der Verwaltung also bekannt. Nach Versuchen hat die Stadt das Gebäude letztlich links liegen lassen, denn es war klar: Es kostet Millionen, wenn man denn überhaupt sanieren kann.

Gleichwohl soll das Experiment Bürgerrat hier beginnen: Ausgewählte Einwohner, so der Plan, entwickeln ein Konzept, wie die Stadtgesellschaft das mittelalterliche Gebäude künftig nutzen könnte. Der Rat hat die neue Mitsprachemöglichkeit kürzlich abgesegnet, die Kosten der Diskussionsrunde veranschlagt die Verwaltung mit 25 000 Euro.



Im Rathaus sagt Sprecherin Ann-Kristin Jenckel: "Eine temporäre Nutzung ist laut Gutachten unbedenklich. Anfang kommenden Jahres wollen wir einen erneuten Versuch starten und gemeinsam mit dem Bremer Umweltinstitut vor Ort ermitteln, welche wirtschaftlich vertretbaren Sanierungsmöglichkeiten es unter Einbezug neuer technischer Möglichkeiten gibt. Diese Möglichkeiten zur Sanierung spielen auch eine Rolle mit Blick auf den ersten Bürger:innen-Rat, bei dem es um künftige Nutzungskonzepte für das Glockenhaus gehen wird."

Die Stadt, die nach eigener Aussage ein Minus von annähernd 50 Millionen Euro allein im Haushaltsentwurf 2024 verknusen muss, dürfte vor einer großen Herausforderung stehen. In der Luft finden sich nach Analyse des bereits genannten Bremer Umweltinstituts aus dem Jahr 2005 Stoffe, die mutmaßlich 1973 verarbeitet wurden: "Lindan, Dichlofluanid und Pentachlorphenol (PCP) sowie künstliche Mineralfasern". Die steckten in Deckenverkleidungen, Heizungen, vor allem aber in den uralten tragenden Balken.

Einschätzung des damaligen Leiters des Bereichs Gebäudewirtschaft, Manfred Koplin, im Jahr 2009: "Würde man die entfernen, zerstörte man das Skelett des Hauses." Überdies spiele der Denkmalschutz eine Rolle. 150 000 Euro stellte die Stadt Lüneburg unmittelbar nach dem Befund des Umweltinstituts für die Sanierung des Glockenhauses in ihren Haushalt ein, prüfte anschließend Methoden, so 2007 die "Schadstoffentlastung durch einen erhöhten Lüftungsaustausch". Koplin: "Das führte nicht zum gewünschten Ziel."


Daniela Laudan, Vorsitzende des Behindertenbeirats, sagt, sie und ihre Mitstreiter würden den zur Verfügung gestellten Raum lediglich einmal im Monat kurz nutzen, möglich sei laut städtischem Merkblatt ein Besuch von ein bis zwei Stunden pro Woche ohne Gefährdung, danach erhole sich der Körper wieder. Die Vorsitzende erklärt: "Wir wissen nicht, ob wir Allergiker in unseren Reihen haben, wir wollen kein Risiko eingehen."

Ein Gutachter aus Bremen sei bereits im Haus gewesen, sagt die Vorsitzende, der habe erklärt, bei einer Untersuchung werde nichts anderes herauskommen als vor Jahren. Es bleibe die Erkenntnis: Die Stoffe seien "ein Nervengift, das unterscheidet nicht zwischen Mensch und Holzbock".

Ältere Vertreter aus der Politik fragen sich: Welches Konzept soll ein Bürgerrat  für 25 000 Euro erarbeiten? Wer will sich dort lange treffen? Und ist das motivierend für Bürger, die sich engagieren? Es wirke wie eine "Beschäftigungstherapie". Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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