Die Wiederholung der Wiederholung
von Carlo Eggeling am 04.01.2025Meine Woche
Betroffen. Routiniert
Die Schlagzahl ist hoch. Attentate. Tote. Verletzte. Dann erleben wir viel Betroffenheit, routiniertes Mitgefühl. Schließlich wird's politisch. Irgendwer trägt eine Mitverantwortung. Natürlich die anderen. Erwartbar. Nach ein paar Wochen vergessen. Oder wissen Sie noch, wo der mörderische Irrsinn in den vergangenen Jahren zuschlug und wer die Täter waren?
Halten wir uns an den berühmten Satz der Nachhaltigkeit. Global erschüttert sein, ins Lokale blicken. Die Lüneburger Polizei betreut ein gutes Dutzend Dauerkunden, Menschen, die alkohol- oder drogenkrank sind, psychisch Auffällige. Die Beamten leisten neben Strafverfolgung und Gefahrenabwehr Sozialarbeit, weil sie sich kümmern. Lösen können sie die Probleme nicht. Es ist zumeist nicht genug, es langt weder für einen Haftbefehl noch für eine Einweisung in die Psychiatrie. Die Delikte reichen nicht oder aber derjenige stellt keine Gefahr mehr für sich und andere dar — kleiner Schubs, draußen. Alles beginnt von vorne.
Wer traumatisiert ist, kann in Barum, Berlin oder Beirut geboren sein. Doch eins kann man wohl sagen, wer aus einem Kriegsland stammt, wer auf der Flucht Schreckliches erlebte, gerade mal überlebte, dürfte mehr Schaden an der Seele nehmen als andere. Einige dürften nach Torturen zudem ein anderes Verhältnis zu Gewalt besitzen, als die meisten, die hier in Frieden und Wohlstand leben.
Nach dem Attentat von Magdeburg werden Verantwortliche gesucht. Da mag ein Streifenwagen als Riegel für eine Rettungsgasse gefehlt haben, an anderer Stelle wurden Warnungen nicht ernst genommen, Behörden tauschten Daten nicht aus.
Alles schlimm. Es ist wie: Ewig grüßt das Murmeltier. Vor beinahe zwei Jahren erstach Ibrahim A. in einem Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein zwei junge Leute, verletzte mehrere Menschen, er wurde wegen Mordes verurteilt. Auffällig war der Mann wieder und wieder. All das reichte nicht, um ihn, schlicht gesagt, wegzusperren.
Die Wiederholung der Wiederholung. Es gab so viele Anschläge. Bei den Zeugen Jehovas in Hamburg 2023, in Mannheim und Solingen im vergangenen Jahr. Es sind nur drei Beispiele von vielen. In der Regel hatten Behörden mit den Tätern zu tun. Es reichte nicht. Der Fehler scheint im System zu liegen. Ämter sichern sich ab, dokumentieren, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung alles richtig gemacht haben.
Damit kehren wir zurück nach Lüneburg. Lüneburg ist überall. Die Rechtslage lässt oftmals gar nicht zu, jemanden in irgendeine Form von Verwahrung oder Behandlung zu nehmen. Datenschutz und veraltete Technik verhindern den Austausch der Bürokratie. Auf der eine Seite die Sorge vor einem Staat, der zu viel Wissen über seine Bürger sammelt und das missbraucht, auf der anderen Seite greifbare Gefahren.
Und nun? Es wird weitere Terroristen und Verwirrte geben, die morden. Wie wollen wir uns schützen? Ich bin über Weihnachtsmärkte in Lüneburg, auf der Reeperbahn und in Straßburg gegangen. Proppenvoll. Wenn da einer ein Messer zückt oder eine von diesen Silvester-Kugelbomben zündet -- wie will man das verhindern?
Wiederholung der Wiederholung. Wer erinnert das Oktoberfest-Attentat von München? Ein Rechtsextremist tötete 1980 mit einer Bombe 13 Menschen. Das Morden ging weiter, religiös, politisch begründet. Jedes Mal Wahnsinn.
Wie wollen wir leben? Keine Feste mehr? Wie viel Kontrolle geht, wie viel Kontrolle will die Gesellschaft? Absichern? In Lüneburg und andernorts legen Verwaltungen gern Betonquader rund um Festorte. Neulich habe ich ein Interview gesehen. Ein Experte hielt das Bauklötzchen-Platzieren für ziemlichen Unsinn: Wenn einer mit einem Laster auf so einen Klotz zurase, könne der Aufprall den großen Legostein in eine Menge schleudern. Einfache Physik.
Schärfere Gesetze entschärfen Probleme nicht. Strafen reichen, die schrecken Irrationalität nicht. Mehr Sozialarbeit, mehr therapeutische Angebote, mehr Konsequenzen, mehr Austausch unter Ämtern und Hilfsorganisationen könnten ein Ansatz sein. Konjunktiv. Könnten. Es ist keine Entschuldigung für die Täter, die kann es nicht geben. Aber ein Ansatz, dass es weniger Opfer geben könnte.
Etwas Heiteres zum Schluss, ist ja Wochenende. Die "Umgestaltung Marienplatz" geht weiter. Zukunftsstadt 2030, Bürgerbeteiligung, Klima-Camps, seit Jahren heißt es "Unser Platz soll schöner werden". Für diese Saison kündigt die Verwaltung die nächste Drehung des Brummkreisels an: "Das Verfahren zur (Teil-)Einziehung des Marienplatzes als öffentlichen Parkplatz startet. Parallel nimmt eine interfraktionelle Arbeitsgruppe die Arbeit auf, um auf Grundlage der vorliegenden Gestaltungsvarianten und der Ergebnisse aus vorherigen Beteiligungen einen Vorschlag für die Umgestaltung zu erarbeiten."
Mal sehen, welche Langeweile uns demnächst zum Lächeln bringt. Gute Zeit. Carlo Eggeling
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