Ehrenbürger Hindenburg — immernoch
von Carlo Eggeling am 25.09.2024Der Name Sonja Barthel taucht nicht einmal im Schreiben des Bürgervereins auf, "ein Name, den sich kaum jemand merken kann, der
sich lediglich als Straßenname in einem Neubaugebiet eignet", heißt es in einer Stellungnahme zu den Plänen, die Hindenburgstraße umzubenennen. Wenn man sich schon vom Namen des ehemaligen Reichspräsidenten verabschieden wolle, möge man zur ursprünglichen Bezeichnung Gartenstraße zurückkehren. Befremdlich sei zudem, dass man Hindenburg seine Ehrenbürgerwürde noch nicht aberkannt habe. Der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt sei ebenfalls der Auffassung, wenn eine Umbennnung, dann Gartenstraße. Von dort gibt es einen Widerspruch.
Hintergrund ist eine Ratsentscheidung aus dem vergangenen Jahr, den Namen Hindenburgstraße zu streichen. Nun soll es am Dienstag, 5. November, 18 Uhr eine Informationsveranstaltung in der Ritterakademie geben, die sich vor allem an Anwohnener und Geschäftsleute der Straße richtet.
Die Vorsitzenden des ALA, Inga Whiton und Reiner Netwall, vertreten die Linie, dass der Name Hindenburgstraße bleiben könne samt einer Erklärung, die es bereits gibt. Wenn eine Umbenennung, dann Gartenstraße. Generell sei das Ganze aber kein Thema für den ALA, es handle sich um eine politische Frage. Ihre Anmerkung: Vereinsmitglieder haben die im Mai 2022 verstorbene Sonja Barthel gekannt, für die ALA-Leute stelle sich die Frage, ob Sonja Barthel überhaupt gewollt hätte, dass eine Straße nach ihr benannt wird. Das sei ähnlich wie bei Curt Pomp, ALA-Gründer und "Retter der Altstadt", der wollte so eine Ehrung nicht.
Dazu ein Hintergrund:
Es hat zwar sechs lange Jahrzehnte gedauert vom Zusammenbruch vom Kriegsende und dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus 1945, im Februar 2007 entzog der Rat der Stadt dem ehemaligen Gauleiter Otto Telschow die Ehrenbürgerwürde. Bei Paul von Hindenburg haben die politischen Parteien das bis heute nicht getan. Wer auf die Internetseite der Stadt klickt, liest, dass die Stadt den ehemaligen Reichspräsidenten 1918 ehrte: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg für seine Verdienste im 1. Weltkrieg "als Sieger von Tannenberg". Bei Tannenberg in Ostpreußen, heute ist es Polen, schlug die deutsche Armee im August 1914 russische Truppen. Allerdings verlor Deutschland den Krieg 1918.
Hindenburg ist gelinde gesagt umstritten. Er ernannte Adolf Hitler 1933 zum Reichskanzler. Hitler und seine Anhänger begruben die Weimarer Republik und damit die Demokratie, sie sind für millionenfachen Mord an Juden und anderen Gruppen sowie für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Hindenburg war 1925 zum Reichspräsidenten gewählt worden. Hindenburg war mehrfach in Lüneburg, seine Tochter und deren Familie lebte zeitweilig an der Ilmenau.
Seit Jahrzehnten versuchen Gruppen die Hindenburgstraße umzubenennen, es ist ein Wellenthema. Mal wichtig, mal vergessen. Gerade wird es wieder diskutiert. Ein Vorschlag: Die Hindenburgstraße soll künftig Sonja-Barthel-Straße heißen. Ursprünglich nannten Bürger den Straßenzug Gartenstraße. Das hatte historische Gründe: Die alten Lüneburger versorgten sich aus ihren Gärten vor der Stadtmauer mit Obst und Gemüse. Eine Erinnerung daran ist noch heute in Straßennamen zu finden: Westädts Garten.
Sonja Barthel ist vor gut zwei Jahren gestorben im Alter von 105. Sie stammte aus einer jüdische Familie, ihre Verwandten wurden während des Nationalsozialismus verfolgt. Sie selber schaffte es, den Konzentrationslagern zu entgehen. Sie kam nach Lüneburg, studierte an der Pädagogischen Hochschule in Lüneburg, gründete dort mit anderen Studenten aus der damaligen DDR den hiesigen SDS, den Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Sie unterrichtete in Ochtmissen und Lüne und als Sonderschullehrerin. Mit 53 studiert sie erneut in Hannover, übernimmt dann die erste Sprachheilklasse in Lüneburg.
Von 1964 bis 75 sitzt Sonja Barthel für die SPD im Rat. Aus der Partei tritt sie aus, weil sie nicht damit einverstanden ist, dass die Sozialdemokraten 1999 Bundeswehreinsätzen im Ausland zustimmen. Mitte der 80er-Jahre gehört sie zu den Gründern der Geschichtswerkstatt, die Mitglieder arbeiten die NS-Geschichte in Lüneburg auf. Sie bezog stets Position gegen den rechtsextreme Haltungen und Demonstrationen.
Bei zwei anderen Umbenennungen von Straßen hat die Politik einen Rückzug gemacht: Teile der Erbstorfer Landstraße wurden nicht Hartmut Krome gewidmet, dem Unternehmer, der das weltweit tätige Unternehmen Werum mitaufbaute und sich als Mäzen engagierte.
Auch der Düvelsbrooker Weg vertrug keinen anderen Namen. Hier ging es um Hermann Reinmuth. Der Jurist, am Düvelsbrooker Weg zu Hause, arbeitete für die Bezirksregierung in Lüneburg und weigerte sich, einen Eid auf Adolf Hitler zu leisten, engagierte sich in kritischen Gruppen, kam nach einem Urteil des berüchtigten Volksgerichtshofes ins Zuchthaus, seine Doktorwürde wurde ihm aberkannt, er starb unter ungeklärten Umständen im KZ Sachsenhausen. Eine furchtbare Geschichte, vergessen, bis die nimmermüde VVN sie vom Staub befreite und erzählte.
Anwohner fänden es nicht schön, wenn sich ihre Adresse ändern würde, war die Begründung, warum es nichts wurde. In einer Vorlage der Verwaltung hieß es im vergangenen Jahr: "Für die Umbenennung der Erbstorfer Landstraße sind 86 Personen, für den Düvelsbrooker Weg 12 Personen angeschrieben worden. Darauf haben sich zur Erbstorfer Landstraße 29 Personen und zum Düvelsbrooker Weg 8 Personen zurückgemeldet. Die Auswertung der Rückmeldung hat für beide Straßenumbenennungen ergeben, dass die Betroffenen (Anwohner:innen, Eigentümer:innen und Gewerbetreibende) die Straßenumbenennung negativ beurteilten und sich dafür aussprachen, an stelle einer Umbenennung, neue Straßen aus einem Neubaugebiet nach Hartmut Krome und Hermann Reinmuth zu benennen. Die Betroffenen begründeten ihre Ablehnung zu der Straßenumbenennung u.a. mit dem für sie sehr hohen Aufwand, um allen erforderlichen Institutionen die Adressänderung mitzuteilen. Ein weiteres, viel genanntes Argument war, dass es sich sowohl bei der Erbstorfer Landstraße als auch beim Düvelsbrooker Weg um richtungsweisenden Straßennamen handele."
Acht Bürger reichen, um einem aufrechten Mann, der im Konzentrationslager beseitigt wurde, keine Straße zu widmen am letzten Zipfel, der in die Ilmenauwiesen ragt.
An der Hindenburgstraße ist sicher alles anders. Das wird die Versammlung an 5. November zeigen. Carlo Eggeling
Die Bilder zeigen Paul von Hindenburg bei einem Besuch der Lüner Kloster 1928 (Sammlung HaJo Boldt/VVN) und im Kreis seiner Familie 1917 am Lüner Weg. (Bundesarchiv/VVN)
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