Lüneburg, am Freitag den 09.05.2025

VIDEO: Ein bisschen Ruhe und Frieden- Liegt Lüneburg richtig mit dem kleinsten Zimmer der Welt

von Hajo Boldt am 04.04.2024


Vorweg gesagt, das kleinste Zimmer liegt versteckt und im Verborgenen, ist fast unsichtbar und sicherlich nur wenige wissen überhaupt von seiner Existenz. Als ein „Nichts“ für Immobilien-Makler wäre es (noch) mietfrei zu bekommen, aber eben nur, wenn es nicht schon wieder bewohnt wird. Zur Zeit scheint es aber gerade wieder frei zu sein und das ist jetzt auch ganz offensichtlich seit mindestens einer Woche der Fall. Der letzte Bewohner hat den Würfel wieder verlassen. Lagen vor diesem Zimmer vor Kurzem noch ein paar herausgeworfene oder herausgefallene helle Turnschuhe und ein dunkelblaues, weiß und mit Blättern gepunktetes Kopfkissen samt Schlafsack vor der Tür, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, so sind diese Sachen schon seit dem letzten Ostermarsch spurlos verschwunden. Vielleicht war daran auch der regenreiche Karfreitag Schuld, dass es am Ende dafür keine Verwendung und Rückkehr mehr gab. Eigentlich unvorstellbar, das Zimmer hat keine Fenster, keinen Strom- oder Wasseranschluss und natürlich auch keine Heizung, an ein WC garnicht zu denken. Dennoch könnte man es als festen Wohnsitz bezeichnen, denn es gehört zum 2005 ins Leben gerufenen Backstein-Projekt, das auch schon mal etwas am zerbröseln war und das nicht nur aus Kostengründen. Bei dem landesweiten Wettbewerb „Ab in die Mitte“, der originelle Ideen zur Innenstadtgestaltung prämierte, belegten die Lüneburger mit diesem Kunstobjekt optimistisch unter Leitung von Architekt Hartmut Tromberend und Ute Rieckmann geführt und ins Leben gerufen einen der vorderen Plätze. Schweizer Künstler der Agentur „teamform“ hatten den Quader entworfen, Schüler der Berufsbildenden Schulen setzten damals das Konzept technisch um. Zu den übrig gebliebenen anderen zwei „Stadtmarken“ gehörten am Marienplatz vor der Ratsbücherei die Backsteinstühle, die als Sammelpunkt bei Stadtführungen und für Foto-Shootings gerne genutzt werden. Sie sind ein Kommunikationspunkt, so wie es sich das der Hamburger Designer Peter Maly dafür gedacht hatte. Das Silo des international berühmten New Yorker Künstlers Karim Rashid dagegen steht heute vom ursprünglichen Standort Schrangenplatz versetzt vor dem Bürgeramt eher im Schatten. Hier im Park also ein Würfel, bestehend aus 1035 quadratischen, orangefarbigen Backsteinen im Format 11,4 mal 11,4 Zentimetern, einzigartig zu je 15 Steinen im Quadrat und in 6 Flächen aufgeteilt mit einer Seitenlänge von 1,93 Metern zusammengemauert, jetzt dachseitig schon von selbst umweltfreundlich grün bemoost. Das ungewöhnliche am Lüneburger Würfel ist jedoch, daß er schräg wie beim Werfen oder im Fallen aufgestellt ist, architektonisch eben ein Kubushaus bildet. Sein bodenständiger Abstand beträgt an der geringsten Stellung nur etwa 18, im anderen mittleren Bereich Kniehöhe mit 60 und maximal Hüfthöhe mit 85 Zentimetern an der größten, dem Boden zugewandten Seite. Doch seine Stellung und Geometrie sind vielleicht nur am Rande wichtig. Viel interessanter ist eigentlich, dass der Würfel wiederum aus quadratischen Backsteinen besteht und von Stahlträgern getragen und gehalten wird. Nach gut zehn Jahren bröckelten jedoch an der oberen Nordwestseite schon Steine ab, ein Stahlstrang rankte schräg in den Himmel. Der Quader war mehrseitig beschmiert worden und sah nicht nur für Architekt Tromberend trostlos aus. Das Projekt wurde daher von der Stadt restauriert, gesäubert und eben nicht gekippt. Wer einmal Zeit findet, sich hinkniet und die Grundfläche des Würfels von unten genauer betrachtet, wird feststellen, dass diese zumindest gerade jetzt eine Öffnung hat. In die kann man in tiefster Gangart hineinkriechen. Nur die wenigsten dürften das selbst schon ausprobiert haben, allein die Umsetzung der Idee dazu ist mutig, kostet Kraft und ist sehr bewundernswert. Gelangt man also durch diese Öffnung, die durch eine jetzt etwas herabhängende Hartfaserplatte türartig verschlossen war , aber auch wieder geöffnet werden konnte, ins Innere, sollte man etwas turnerisch geübt wieder vorsichtig sich aufrichtend vorgehen. Der Blick fällt jetzt viel besser zuerst auf die dicke, bequem anzumutende, eingequetschte Schaumstoffmatte, Kopfende in Nord-, Fußende in Südrichtung. Das Innenmaß 1,7 Meter mal 1,7 Meter oder nur insgesamt 2,9 Quadrat Meter groß. Bitte nicht gleich den Kopf stoßen an Dingen, die sonst noch so vorhanden sind. Der Kubus ist wirklich nur für kleine Leute gedacht. Daher auch die gleichzeitige Nutzung als Wohn-,Schlaf- und Esszimmer, auf der Bettdecke findet sich dazu eine zurückgelassene Verpackung zu Trinkzwecken, egal, ob voll oder leer. Zur Erinnerung an einen armen Dichter und Poeten ist ein orangefarbener und rückseitiger Reflex-Schirm dekorativ an die Wand gequetscht, vielleicht Kälte und Tropfwasser abweisend oder aber auch gerade dafür auffangend. An den den Würfel zusammenhaltenden inneren Verstrebungen hängt ein Anorak am Ärmel auffallend eine Mondsichel in leuchtend weiß. Kleiderschrankartig dienen diese aus Eisen angefertigten Teile auch zum Aufhängen weiterer, zurück gelassener Bekleidungsstücke. Die Decke spiegelnd und reflektierend hell oder auch dunkel, je nachdem was dieser gerade gegenüber steht oder liegt. Ebenfalls oben ist an der Decke die ablesbare Zahl „125“ zu sehen. Diese könnte zusammen mit einer Krone einem bestimmten erreichbaren Level zugeschrieben werden. Vielleicht gehört sie auch zu einer Engel-Botschaft, um optimistisch und positiv zu bleiben, was die Veränderungen im Leben angeht, wie sie gerade erwogen und/oder erlebt werden. Etwas privater steht da auch handgeschrieben: René 4 ever. I ❤️ (love) you darling. Mit den Buchstaben „CEB“ vielleicht auch Erwartungen und Erinnerungen an die Entwicklungsbank des Europarates, die älteste internationale Finanzinstitution seit 1956 in Europa. Oder aber auch eine Notiz für und an die christliche Erwachsenenbildung, eine pädagogische Fort- und Weiterbildung. Platzangst sollte man hier drinnen nicht kennen. Angesagt wäre eher Lust auf Abenteuer, Mut und Ausdauer. Der Ausblick aus einem Fenster fehlt vollständig, Licht wäre eher angesagt. Und man weiß ja nie, wer da alles so auf einen zukommen kann. Es könnte zum Beispiel ein entdeckungsfreudiger Hund sein, der einen zum Beißen gern hat und nicht gleich zurückgepfiffen wird. Wieder herausgekrabbelt draußen noch angemerkt an der Ostseite ein nicht sofort lesbarer Schriftzug aus 8 Buchstaben, phantasievoll gedeutet und verschnörkelt übersetzt als „Frieden“. Zum Schluss noch der Hinweis für diejenigen, die sich in Lüneburg nicht so genau auskennen. Das Zimmer liegt sehr zentral im innerstädtischen Sandviertel, befindet sich in meist ruhiger Lage. Autos haben hier keine Chance. Zum Sitzen bieten sich vier Parkbänke in freier Natur an. Zwei Zusatz-Zeichen wurden zeitnah mit aufgestellt: das eine steht für eine Sammelstelle, das andere für das Verbot, Tauben zu füttern. Der Kubus befindet sich neben einem „Rondo“ für Spaziergänger und Radfahrer. Die Oberschule am Wasserturm, das frühere Johanneum, ist als Lernort in Sichtweite, die katholische Kirche in der Friedensstraße ebenfalls. Außerdem sollten drei „Friedenseichen“ – gepflanzt 1871 und symbolisch für das Reich- ein gemeinsames Laubdach bilden. Als Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft heißt der Park an der Friedenstraße seit 1985 nach Lüneburgs französischer Partnerstadt „Clamart-Park“. Der in Bewegung anmutende, aufgestellte Würfel mit seinem Zimmer hat die Koordinaten 53.24592, 10.41179 und ist mit seinen 8 Ecken und 12 Kanten ein spezieller Quader, steht im hinteren, rechten Teil der Anlagen. Wohl eingerichtet zum Nachdenken und Vergessen, ein Platzhalter im Spiel von Krieg und Frieden für eine bessere Welt… Doch dafür und zur Sichtbarmachung ist dieser Würfel noch nicht ganz gefallen. Und vielleicht setzen sie sich mal an seine Seite, sammeln positive Energien und denken dabei auch an die kleinen Leute, die hier keiner sieht. Text/Fotos/Video: Hajo Boldt

© Fotos: Hajo Boldt


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