Ein fallende Welt — Jan Bas Ader in Hamburg
von Carlo Eggeling am 20.05.2025Die Geschichte ist ein Absturz: Der Mann fährt mit einem Rad an einer Amsterdamer Gracht entlang, lenkt zu Seite, stürzt ins Wasser. Ein Film, dann aufgelöst in Dutzende Bilder, um jedem Moment die eingefrorene Bedeutung zu geben. Fallen fasziniert ihn, er lässt sich vom Dach einer Garage purzeln, stürzt vom Ast eines Baumes in einen Fluss. Witzig, durchgeknallt, Kunst.
Die Hamburger Kunsthalle lädt ein zu einem skurrilen Spaziergang mit Bas Jan Ader. Vor 50 Jahren verschwand der Niederländer, wahrscheinlich ist er ertrunken. Teil einer Performance mit tragischem Ausgang. Aders Arbeiten entstehen in der Zeit der 1960er und 70er Jahre. Er selbst definiert sich auf einer Weihnachtspostkarte so: "Ich schaffe ein zurückhaltendes Werk. Im Film bringe ich still alles zum Ausdruck, was mit dem Fallen zu tun hat. Es ist eine große Aufgabe, die viel Denkarbeit erfordert. Es wird ergreifend sein. Das gefällt mir. Ich bin ein niederländischer Meister.“ Selbstironie und ein sehr großes Selbstbewusstsein.
Das Fallen treibt ihn um. Staunen oder lachen bei der 1970 erdachten und nun nachinszenierten Installation „Leicht gefährdete Objekte durch acht Zementsteine bedroht"? Betonblöcke hängen an langen Seilen über Blumen, Eiern, Glühbirnen, einer Geburtstagstorte. Klar, das zeigt, wie fragil die Welt ist, aber im Kopf rauscht die Frage, was hat der genommen?
Ader lässt im Scheinwerferlicht Blumen verwelken unter dem an die Wand geschriebenen Satz „Thoughts unsaid, then forgotten“, in etwa unausgesprochene Gedanken, dann vergessen. Die Blumen leuchten in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau, in der Erklärung ist nachzulesen, dass sich Ader mit seinem Landsmann Piet Mondrian beschäftigt und dessen Vorstellungen von Harmonie auflöst. Ein Stück weiter ein Neon-Lichtspiel in den gleichen Farben. Die Buchstaben ergeben: Piet niet, Piet nicht. Ok, so etwas weiß Kuratorin Brigitte Kölle, die meisten Besucher eher nicht.
Bei aller vermuteten Komik, es gibt ernste Momente, die das Publikum besser versteht, wenn es um die Biografie Bas Jan Aders weiß. Er lässt sich von seiner Frau filmen und fotografieren, weinend, das Gesicht voller Schmerz. Er schreibt dazu „Ich bin zu traurig, um es euch zu sagen“.
Hat er an das Los seiner Familie gedacht? Der Vater, ein calvinistischer Geistlicher, und die Mutter haben zur Zeit der deutschen Nazi-Besatzung der Niederlande mehrere Hunderte Menschen gerettet, die meisten von ihnen Juden, die von den Deutschen in Konzentrationslager und damit in den Tod verschleppt werden sollten. Der Vater wurde verraten und mit anderen Widerständlern in einem Wald hingerichtet. Ader, 1942 geboren, war zwei Jahre alt, sein Bruder Erik wenige Tage auf der Welt.
Die Ausstellung erklärt, zeigt, amüsiert. Bilder des Jugendlichen, des Studenten Ader sind zu sehen. Seine Kamera, mit der er in Amerika samt einer Taschenlampe eigenartige Fotos einer Nacht in Los Angeles festhält: "Auf der Suche nach dem Wunderbaren". Aber was ist das? Das Staunen, das Lachen, das Suchen?
Ader glaubt an sich, Seeleute finden es lebensgefährlich. 1975 möchte der 33-Jährige in zweieinhalb Monaten mit einer umgebauten Guppy, einem knapp vier Meter langen Segelboot, den Atlantik überqueren, Teil seiner Kunst unter dem Titel "In search of the miraculous (songs for north Atlantic)", also Auf der Suche nach dem Wunderbaren (Lieder für den Nordatlantik). Doch es endet, Verzeihung, anders -- Spiel mir das Lied vom Tod. 10 Monate später entdecken spanische Fischer das leere Boot vor der Küste Irlands. Jan Bas Aders Körper wird nie gefunden. Carlo Eggeling
+++ Die Ausstellung läuft bis zum 24. August in der Kunsthalle Hamburg.
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