Lüneburg, am Mittwoch den 24.04.2024

Ein Mann, der Brücken schlug

von Carlo Eggeling am 27.05.2023


Es war typisch für Manfred Nahrstedt: Bei seiner Verabschiedung als Landrat Ende 2019 erwähnte er seinen Fahrer Holger Detels, mit ihm habe er über Gott und die Welt gesprochen: "Nach anstrengenden Terminen war das eine Zeit zum Ausatmen und Entspannen." An die zu denken, die nicht im Rampenlicht stehen, war dem Sozialdemokraten ein Anliegen, er war eng bei den Menschen. Nicht abgehoben, interessiert. 13 Jahre regierte er Auf dem Michaeliskloster. Im Amt geschätzt, auch umstritten und angefeindet. Jetzt ist Manfred Nahrstedt im Alter von 74 Jahren gestorben.



Von Ende 2006 bis Herbst 2019 stand Nahrstedt an der Spitze des Landkreises. Er hat viel bewegt, doch einiges lief weniger gut. Der Bau der Arena liegt wie ein Schatten auf seiner Amtszeit. Die Kosten explodierten, liegen inzwischen wohl bei rund 30 Millionen Euro. Es gab Pläne, die Arena privat bauen und betreiben zu lassen. "Die Verträge lagen unterschriftsreif auf dem Tisch", sagt einer, der dabei war. "Es hätte deutlich weniger gekostet, wäre schneller fertig geworden." Doch dann seien Bedenken aus der Politik und der Verwaltung sehr laut geworden. Alles sei anders gekommen: "Nahrstedt hat am Ende die Schuld bekommen." Denn die Verwaltung war überfordert mit einem Vorhaben, das komplettes Neuland war.



Das schätzte der Landrat ähnlich ein. In einem Gespräch zum Abschied aus dem Kreishaus sagte er der LZ: "Mein Fehler war, nicht genügend dafür gekämpft zu haben, die Arena als PPP-Projekt weiterzuführen." PPP meint eine öffentlich-private Partnerschaft. Allerdings war es sich sicher: Steht die Arena, laufen Konzerte, Veranstaltungen und Volleyballspiele, spielen Pleiten, Pech und Pannen kaum noch eine Rolle. Nahrstedt scheint Recht zu behalten, die Bürger nutzen die Halle, ein paar Kritiker sind geblieben.



Es war -- zumindest aus ihrer Sicht -- eine gute Zeit für die Sozialdemokraten. Im Lüneburger Rathaus herrschte der ewige Ulrich Mädge, im Kreis Nahrstedt. Stadt und Land Hand in Hand. Man konnte allerdings öfter mal den Eindruck gewinnen, dass Mädge ein bisschen mehr herrschte. "Wenn die beiden zusammen aus einer Kur wieder kamen, wurde es teuer für den Landkreis", sagt einer, der damals einen guten Einblick in die Finanzen hatte.



Mädge kennt die Geschichte selbstverständlich und empfindet anders: "Wir haben uns gut ergänzt, hatten Auseinandersetzungen, aber wir haben vieles gemeinsam verhandelt, zum Beispiel beim Krankenhaus." Während Mädge sehr barsch sein kann, war Nahrstedt zugewandt und ausgleichend. "Moderierend, nennt es der Alt-OB: "Er war christlich geprägt, das war zu spüren."

Manfred Nahrstedt, Jahrgang 1948, wurde in Ochtmersleben bei Magdeburg geboren. Umzug, Volksschule in Bielefeld, Lehre zum Industriekaufmann in einer chemischen Fabrik, während des Zivildienstes lässt er sich zum Krankenpflegehelfer ausbilden. Schließlich Erzieher im Kinder- und Jugendbereich im christlichen Zentrum Bethel, Sozialpädagogik-Studium, Landesjugendamt in Lüneburg.



Politisch fühlt er sich in der SPD aufgehoben, mehr als ein halbes Jahrhundert ist er Mitglied. In Oldendorf/Luhe zu Hause, von 1990 bis 2006 engagiert er sich im Gemeinde- und im Samtgemeinderat Amelinghausen sowie im Kreistag, von 2001 bis 2006 als Fraktionsvorsitzender seiner Partei, von 2003 bis 2006 vertritt er die Region im Landtag, am 1. November 2006 wird er zum Landrat gewählt, 2014 wählen ihn mehr als 50 Prozent der Menschen zwischen Rehrhof und Reeßeln im ersten Wahlgang erneut in sein Amt. Eigentlich für sieben Jahre, doch er beendet die Amtszeit zwei Jahre früher im Oktober 2019.



Der Christdemokrat Jens Kaidas, ehemals Bürgermeister in Hohnstorf, Landtagsabgeordneter und Widersacher im Kreistag, sagt: "Politisch haben wir uns oft gezofft. Aber wir sind später bei einem Bier ins Gespräch gekommen und haben Lösungen gefunden. In unser Zeit in Hannover haben wir uns gut verstanden. Er hat die menschliche Seite der Politik vertreten. Sein Tod ist ein Verlust für mich und für uns alle."



Andrea Schröder-Ehlers, Unterbezirksvorsitzende der SPD, war zwar eine Parteifreundin, doch zeitweilig war es eher eine angespannte Freundschaft. Anerkennend bilanziert sie: "Er war auch bei schwierigen Themen weitsichtig und hartnäckig. Er hat sich klar positioniert, bei der Arena und bei der Elbbrücke."



Nahrstedt war trotz Gegenwind einer, der den Brückenschlag über die Elbe vertreten hat. Das lag daran, dass ihm die Verbindung ins Amt Neuhaus ein großes Anliegen war. Er überwand die natürliche Grenze auf seine Weise: Er unterstützte beispielsweise das Musikfestival Mecklenburg-Vorpommern, so gab es Konzerte in Bleckede, Neuhaus und Konau. Carsten Junge, Geschäftsführer der Sparkassenstiftung, erinnert sich: "Gemeinsam mit Jens Böther, damals Bürgermeister in Bleckede, hat er sich dafür eingesetzt."

Kultur lag Nahrstedt am Herzen. Gemeinsam mit Mädge und dem damaligen Sparkassenchef Reinhold Mai setzte er sich für die Gründung der Stiftung und dem Ausbau der Kulturbäckerei ein. Junge: "Ohne ihn würde es hier heute nicht so aussehen. Er hat uns positiv, aber kritisch begleitet. Das war gut so."



Die Verbundenheit über Parteigrenzen hinweg lobt eben auch Jens Böther, Nahrstedts Nachfolger als Landrat: "Der Tod von Manfred Nahrstedt macht mich sehr betroffen. Für die sehr kollegiale Zusammenarbeit mit ihm als Landrat bin ich ihm sehr dankbar, aber auch und vor allem bei der Übergabe 2019. Er war ein hervorragender Politiker und toller Mensch. Ich hätte ihm von Herzen mehr Zeit im Ruhestand, mit Familien und Freunden gewünscht."



Bei seinen Mitarbeitern war Nahrstedt beliebt. Aus dem Kollegenkreis heißt es: "Ein offener, zugewanderter und sehr humorvoller Mensch, lebensklug noch dazu. Sehr geerdet und fest verankert in einem starken Familien- und Freundeskreis außerhalb der Politik." So ging er -- meistens -- auch mit Journalisten um, freundlich, verbindlich, überschaubar eitel. Eitel gehört in der Politik immer dazu.

Was hat er bewirkt? Dieses Resümee zieht der Landkreis in einer Pressemitteilung: "Zukunftsvertrag für den Schuldenabbau, Schulsanierungen, Jahrhundert-Hochwasser an der Elbe: In seinen 13 Jahren im Amt hat Manfred Nahrstedt als Landrat viel bewegt im Landkreis Lüneburg – vor allem mit Gesprächsbereitschaft und Handeln auf Augenhöhe. Streitthemen ging er dabei nicht aus dem Weg und scheute sich nicht, unangenehme Fragen anzusprechen – ob in der Verwaltung oder in der Politik. Für sein Gegenüber fand Manfred Nahrstedt dabei stets ein offenes Ohr, hörte zu, bündelte Interessen und erreichte so breite Mehrheiten im Kreistag. In seiner Amtszeit tilgte der Landkreis mithilfe des Zukunftsvertrages rund 105 Millionen Euro Kassenkredite. Gleichzeitig investierte die Verwaltung Millionenbeträge in die Sanierung der kreiseigenen Schulen, schuf so die Voraussetzungen für den Ganztagsbetrieb und sorgte für ein gutes Lernumfeld der rund 26.000 Schülerinnen und Schüler im Landkreis. Bildung und Kultur, Arbeit und Wirtschaft für die Menschen im gesamten Landkreis Lüneburg sowie die Förderung des Ehrenamtes waren Manfred Nahrstedt wichtig – ebenso wie eine enge und gute Zusammenarbeit mit der Hansestadt Lüneburg."

Als er sich von Amt und Politik verabschiedete, dazu hatte er sich nach vielen Gesprächen mit Familie und Freunden entschlossen, wollte er den nächsten Abschnitt ohne Aufregung angehen: "Ich weiß, dass es der letzte sein wird, und den möchte ich gesund mit meiner Frau und meiner Familie genießen", sagte Nahrstedt damals der LZ. Er wolle "nichts machen, außer Tomaten züchten und sehen, wie es ist, ohne den Terminstress der vergangenen Jahre zu leben". Gesundheitlich angegriffen waren es keine einfachen Jahre für Nahrstedt und seine Familie, nun war die Krankheit stärker als er. Er hinterlässt seine Frau Elena und einen Sohn mit Familie.

Neben Familie, Freunden und Wegbegleitern will auch Nahrstedts Fahrer Holger Detels zur Trauerfeier kommen, der, den er bei seinem Abschied nannte. Detels, zwölf Jahre Nahrstedts Chauffeur, sagt: "Wir kamen bestens miteinander aus. Er war immer offen und freundlich. Meine Kinder durften ihn besuchen und zu Weihnachten hatte er ein kleines Geschenk für sie. Die Kinder haben gesagt, da müssen wir uns revanchieren. Sie haben ihm einen Gutschein geschenkt und dann seinen Privatwagen sauber gemacht. Wir haben uns zu Geburtstagen angerufen. Es war eine gute Zeit mit ihm."

Nun ist Manfred Nahrstedt gegangen. Viele vermissen ihn. Und manches wird bleiben, so wie der kleine Bürgergarten an der Kreisverwaltung, es wachsen alte Apfelsorten und eine Blumenwiese hinter dem sanierten Zinskorngebäude. Ein Teil der Schöpfung, wie er es nannte. Das war auch seine Schöpfung Carlo Eggeling

© Fotos: Landkreis / Andreas Tamme


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