Lüneburg, am Mittwoch den 30.04.2025

Ein Museum für einen Philosophen — 300 Jahren Kant

von Carlo Eggeling am 16.04.2024


Wie eine Gedankenwelt Form annimmt
++ Einer der großen Denker der Aufklärung bekommt ein neues Zuhause. Der Philosoph Immanuel Kant zieht ins Ostpreußische Landesmuseum ein. Vor 300 Jahren wurde er in Königsberg geboren. Am Donnerstag beginnt eine Sonderausstellung ++ 

Die Geschichte ist ziemlich verkopft. Wie schafft man aus einem Philosophiegebäude, also aus Ideen, etwas zum Anfassen? Die Geschichte ist ziemlich verkopft. Wie schafft man aus einem Philosophiegebäude, also aus Ideen, etwas zum Anfassen? Dr. Joachim Mähnert "hofft sehr", dass seine Kollegen und er das hinbekommen. Gebaut wird schon, fertig werden soll alles im kommenden Jahr zwischen Heiligengeist- und Ritterstraße. Noch ein Baustein für und neben dem Ostpreußische Landesmuseum, ein gewaltiger auf 500 Quadratmetern Fläche. Auch der Mann um den es geht, ist gewaltig: Immanuel Kant.

Den Namen hat (hoffentlich) jeder einmal in der Schule gehört. Sein Wirken, sein Denken gehört zu den Grundlagen des Selbstverständnisses der Bundesrepublik: Der erste Satz des Grundgesetzes entstammt letztlich der Gedankenwelt eines der maßgeblichsten Denkers der Aufklärung: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Zusammengefasst: Der Mensch hat immer einen Wert. Auch wenn er krank ist, wenn er nicht arbeiten kann. In Geld lässt er sich aber nicht bemessen. Wenn etwas immer einen Wert hat, sagt man: Es hat eine Würde.

Jeder Mensch ist deshalb wertvoll, weil er ein Mensch ist. Darum sagt Kant: "Alles hat einen Wert, der Mensch aber hat eine Würde." All das ist gut beschrieben auf den Internetseiten der Bundeszentrale für politische Bildung. Wenn die Würde unantastbar ist, gilt dies für jeden Menschen. Egal, welche Hautfarbe er besitzt, welcher Religion er anhängt oder wenn er nicht glaubt, welches Geschlecht er empfindet, ob er mit körperlichen Einschränkungen leben muss.

In unseren Zeiten, in denen manche die Werte der Aufklärung zur Seite schieben wollen, ist der Denker aus Königsberg rasend aktuell und modern. Er kam 1724 dort zur Welt und starb dort kurz vor seinem 80. Geburtstag 1804.

Selbstverständlich fußt Kants Denken auf anderen Denkern wie Rousseau oder Descartes, er beeinflusste seinerseits beispielsweise Hegel, dessen Gedanken sich wiederum bei Karl Marx wiederfinden. Nun erhält die Demokratie, erhält Kant eine Bühne in Lüneburg. Eigentlich sollte alles längst fertig sein, nämlich zum 300. Geburtstag Kants am 22. April; doch es dauert länger.

Museumschef Mähnert geht davon aus, dass der acht Millionen Euro teure Neubau und damit auch die Ausstellung Mitte 2025 fertig wird. Sein Haus bietet ein Fundament für das Gedankengebäude. Eben weil es einen Wandel durchlebt hat. Einst umstritten wegen seiner Verbindungen in gelinde gesagt äußerst konservative Kreise, hat es sich längst zu einer Brücke nach Osteuropa entwickelt.

"Es gibt kein Philosophie-Museum als Vorbild, wo ich mal gucken kann", sagt Mähnert. Doch eben das mache es spannend. Mit dem Philosophen Tim Kunze und einem "großen Netzwerk" entwerfe man die Ausstellung. Immer wieder ist Mähnert im Gespräch die Begeisterung anzuhören. Kant sei ein "Fundament des Aufbruchs und der Vernunft, ein Fortschritt".

Ostpreußen, Königsberg und Kant gehörten zusammen, erzählt Mähnert. Der Philosoph habe den Landstrich nie verlassen, die Stadt lediglich für ein paar Jahre. Doch das Königsberg Kants existiert nicht mehr. "Im Zweiten Weltkrieg wurde viel zerstört, nach dem Krieg entstand eine völlig neue Stadt ohne Wurzeln in die Vergangenheit." Anhand von Karten und Zeichnungen lassen Spezialisten die Stadt mittels virtual reality auferstehen, 6500 Gebäude, 400 Plätze, 21 000 Bäume.

Besucher des Museums können quasi mit Kant durch sein Königsberg des 18. Jahrhunderts bummeln -- und seine Zeit ein bisschen verstehen: "Wir wollen in der 3-D-Welt auch Kants Gedankenwelt wieder auferstehen lassen." Dabei sollen Exponate helfen. Davon besitze man weltweit die größte Sammlung, betont Mähnert. Unter anderem weil man neben eigenen Stücken 2016 eine Kant-Sammlung aus Duisburg übernommen habe.

Am Ende soll eine "Philosophie-Skulptur" entstehen, die Sinnliches und Rationales verbinde, wie das Denken Kants. Das klingt ein wenig wolkig, soll aber ganz praktisch ausfallen. Zu sehen ist beispielsweise bereits jetzt in der Dauerausstellung eine Diskussion über die Jagd: Wie blickt eine Tierschützerin von Peta darauf, wie ein Jäger? Es ist das, was moderne Museen verfolgen: Geschichte, Gedanken, große Kunst zum Erleben und Begreifen -- im Wortsinne: wo es möglich ist. Das schafft neben großen Häusern wie in Berlin und Hamburg etwa das Hanse-Museum in Lübeck oder das Museum der Pfalz in Speyer mit seinen Sonderausstellungen.

Mähnert fasst es so zusammen: "Das Museum soll an Dinge heranführen, dass es unsere Gäste animiert wiederzukommen, es soll ein Ort der Freude sein." Im Sinne Kants muss man sagen: unabhängig vom sozialen Stand. Carlo Eggeling

Info-Box:
Das Ostpreußische Landesmuseum besitzt weitere Abteilungen, das hängt mit seiner Geschichte zusammen, so gibt es einen Schwerpunkt zur Jagd und eine deutschbaltische Abteilung. Das Brauerei-Museum, das an die Geschichte der inzwischen aufgelösten Kronen-Brauerei erinnert und an historischer Stelle steht, gehört ebenfalls dazu.

25 000 bis 30 000 Besucher kommen jährlich an die Heiligengeiststraße, 40 Prozent von ihnen aus mehr als 100 Kilometer Entfernung, darüber hinaus viele internationale Gäste. Sieben Wissenschaftler arbeiten dort, dazu weitere Kräfte wie Restauratoren, alles in allem rund 20 Kollegen und Kolleginnen. 60 Ehrenamtliche zählen ebenfalls zum Team. Das Haus wird als Landesmuseum vom Bund und Land maßgeblich finanziert.

Weitere Informationen: www.ostpreussisches-landesmuseum.de
Der Text ist im aktuellen Quadrat-Heft erschienen.

© Fotos: ca / Museum


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