Eine politische Woche
von Carlo Eggeling am 03.03.2024Meine Woche
Wenn man will, dreht sich was
Das Wort Einwohnendenfragen kennt der Duden nicht, auf der Tagesordnung des Lüneburger Rates taucht es regelmäßig auf. Das Wörterbuch notiert "einwohnen" als schwaches Verb, das meint "sich an eine Wohnung anpassen, sich in einer neuen Wohnung eingewöhnen". Wahrscheinlich ist diese Bedeutung gemeint. Denn es gibt Fragesteller, die sich immer wieder muschelig nach vorne stellen. "Ich-bin-Jasper" ist einer davon. Er komme von der Seebrücke, die setzt sich für das Schicksal von Flüchtlingen ein, die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen.
Ein hehres Anliegen. Allerdings erklärt Jasper nicht zum ersten Mal die Weltlage, das Schicksal der Flüchtlinge, fordert Positionen von Ratsparteien ein. Jasper ist nicht alleine. Es gibt einen, der was zu Windkraftanlagen erklärt, wieder sollen Ratsparteien Stellung beziehen, den hatten wir auch schon mal. Ebenso wie die gern auftretenden Klima-Rad-Nachhaltigkeits-Prediger, in ihren Manifesten so anregend daherkommen wie ein Glas Leitungswasser. Glücklicherweise taucht der Corona-Skeptiker mit seiner Suada der Belanglosigkeit nicht mehr auf. Mehr als eine Stunde dauerte am Donnerstag falsch verstandene Bürgerbeteiligung.
Das nächste Kaugummi liefert die Verwaltung. Explodierende Neben- und Heizkosten vor allem in Kaltenmoor. Bis zum letzten Spiegelstrich, welche Beratungsangebote es gibt, dass der Großvermieter Vonovia nicht zum direkten Gespräch erscheint, dann der Auftritt des Avacon-Managers, der genauso strukturlos wie beim vergangenen Mal die Erklärung liefert, dass der Ukraine-Krieg und steigende Gaspreise zusammenhängen. Wow, das ist brandneu, hat noch nie jemand gehört. Und nimmt die Avacon aus der Verantwortung.
Alles eine Reaktion auf den Auftritt von Alt-OB Ulrich Mädge, der vor vier Wochen Attacke gegen die Stadtspitze ritt, allerdings fundiert, und die eigentliche Frage stellte: Warum fordert die Avacon höhere Preise pro Kilowattstunde als andere Anbieter? Diese Antwort kam nicht, weder Politik noch die Verwaltung fragte nach. Genauso wenig war zu hören, welche konkrete Position die Oberbürgermeisterin im Aufsichtsrat des Unternehmens einnimmt. Lüneburg ist dort vertreten, weil die Stadt ein Aktienpaket besitzt -- so wie auch andere Städte. Die müssten doch eine Haltung entwickeln. Welche?
Marianne Esders von der Linken fordert eine Änderung der Geschäftsordnung des Rates, weil es nicht angehen kann, dass politische Anträge kaum noch diskutiert werden. Am Donnerstag schafften es nur zwei Themen. Dazu die gerne genutzte Übung, Themen wieder in Ausschüsse zurückzuverweisen. Hohe Drehbewegung auf der Stelle. Obendrein begeistern vor allem Ratherren, die Karl Valentin als Vorbild haben: "Es ist zwar schon alles gesagt, aber nicht von jedem."
Das Ganze ist schnell zu straffen. Bürgerfragestunde: zwei einleitende Sätze, dann die Frage. Fraktionen antworten schriftlich. Gute Vorbereitung von Themen in Ausschüssen; Mut, Entscheidungen zu treffen, keine Dauerschleifen zwischen Rat und Ausschüssen. Kurse, die Rats-Plaudertaschen Wilhelm Busch nahebringen: Sag es klar und angenehm, was erstens, zweitens, drittens käm.
Interessant ist mal wieder Amelinghausen. Die ehemalige Samtgemeindebürgermeisterin, die inzwischen nach Lüneburg gewechselt ist, und andere im Rat meinten, ihr Vorgänger Helmut Völker habe bei den Finanzen getrickst. Das stellte sich als falsch heraus. Von Entschuldigungen angesichts der Unterstellungen ist mir nichts bekannt. Nun wird dem inzwischen verstorbenen Völker, der sich drei Jahrzehnte im Rathaus für seine Gemeinde einsetzte, posthum die Ehrenmedaille der Samtgemeinde verliehen, die höchste Auszeichnung Amelinghausens.
Ein Auszug aus der Rede von Samtgemeindebürgermeister Christoph Palesch, der beschreibt, wie ein Mann beschädigt wurde: Völker galt als "Totengräber der Samtgemeinde Amelinghausen. Von Unregelmäßigkeiten bei den Finanzen war die Rede, von einem Blindflug und zeitweise sogar von fehlenden 100.000 Euro. Wer 30 Jahre lang alles für die Sache gibt und auf manches verzichtet, dem kann es nicht gut gegangen sein, wenn er hörte, wie über ihn und sein Wirken gesprochen wird. Heute und nach vielen nachgeholten Jahresabschlüssen wissen wir, dass es so nicht war. Es fehlten keine 100.000 Euro, und vergleicht man die Zahlen, die vom damaligen Kämmerer schon 2017 vorgelegt wurden mit denen, die am Ende auf den Jahresabschlüssen zu sehen waren, ergaben sich nur leichte Differenzen. Die Berichterstattung war sich dennoch, so schien es, recht sicher, wer Schuld an einer angeblichen Finanzmisere war."
Der Rat habe im vergangenen November beschlossen, Völker zu ehren. Palesch: "Es gab darüber im Rat keine Diskussion. Das scheint aufgrund der Geschichte zunächst verwunderlich, doch meine Wahrnehmung war, dass der Samtgemeinderat damit auch Wiedergutmachung betreiben wollte und wenn meine Wahrnehmung mich nicht täuscht, dann bin ich dankbar, dass der aktuelle Samtgemeinderat dazu in der Lage ist."
Er muss es gar nicht sagen, der alte Rat und seine Vorgängerin . . . Na ja. Mal sehen, wer nun aus alter Zeit anerkennende Reden hält oder noch meint, sich zu entschuldigen. Manchmal dreht sich ja was. Carlo Eggeling
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