Eine Messe mit Robert
von Carlo Eggeling am 11.01.2025Meine Woche
Gefühl(t)
Zyniker seien enttäuschte Romantiker, bilanzierte der Dichter Oscar Wilde. Beißenden Spott, der Gefühle und Konventionen missachte, das wird gern dieser Kolumne unterstellt. Nun ja, etwas fürs Herz mag ich eigentlich gern. Damit bin ich nicht alleine. Gestern Abend durfte ich Robert Habeck erleben. Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat der Grünen.
Gefühl kann Habeck, Gefühl ist seine Strategie. Das Kulturforum war rappelvoll, vor der Tür standen gefühlt noch einmal soviel Leute. Es wirkte ein bisschen wie eine Erweckungsmesse. "Robert, Robert, Robert!" riefen sie, als er kam. Messianisch. Immer wieder minutenlanger Beifall. Beeindruckend.
Habeck ist ein kluger Mann, sein Ansatz ist anders. Im Ernst, wenn man Friedrich Merz zuhört, befällt vielen Sodbrennen, bei Olaf Scholz denkt man, so spannend wie seine Aktentasche, bei Alice Weidel halten die meisten selbst Zitronen für süße Früchte.
Dagegen der Grüne mit seinen Küchentischgesprächen, das Haar einen Tick wuschelig, der Pullover erinnert an Gemeinschaftssingen auf evangelischen Kirchentagen, und dann dieser Blick, ein bisschen Schalk. Gut angezogen. Ist bestimmt angesichts vieler Debatten nicht ganz korrekt: Viele Frauen dürfte das ansprechen.
Am Abend nahm die Gemeinde an einem riesigen Küchentisch in Wienebüttel Platz. "Ein Mensch, ein Wort" leuchtete hinter ihm auf einer Leinwand. Im Kern ging es um zwei Dinge, die verschmolzen. Der Klimawandel sei eine Herausforderung für die Welt. Deutschland müsse seine Wirtschaft umbauen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, um weiter im Wohlstand zu leben, dafür müsse die Energiewende Vorbild sein, um international zum Mitmachen zu animieren und um Technik exportieren zu können. Klima, Wirtschaft, soziale Fragen -- das gehört zusammen.
Der zweite Punkt seien autokratische Parteien, Herrscher und Systeme. Die gebe es im Norden, im Süden und Osten Europas und darüber hinaus. Egal, ob es wie in Skandinavien seit zwanzig Jahren Wärmepumpen gebe, ob sie neu in die EU gekommen seien oder zu den Gründern zählen. Populismus schaffe es, Unzufriedenheit zu schüren. Kräftig unterstützt von Kanälen des Internets wie X, Facebook und Co. Rechte Parteien wären in der Regel auf der Seite der Leugner des Klimawandels und hingen fossilen Energien an. Da liegt die Verbindung.
Habeck will Räume für Debatten schaffen und vor allem ein Wir-Gefühl. Klingt fast nach Bob, der Baumeister: Yo, wir schaffen das. Neulich nannte er sich "Bündniskanzler", eben darum gehe es, Bündnisse auf Zeit, Gruppen zusammenbringen. In der Region passt natürlich Gorleben, Widerstand. Junge Linke Hand in Hand mit konservativen Bauern gegen den Atommüll. Mit Erfolg.
Ein schönes Beispiel dafür, dass die Grünen gut mit der CDU zusammengehen könnten, so wie in Habecks Heimat Schleswig-Holstein, wo sie gemeinsam regieren und die AfD bislang eher klein scheint. Eine der wenigen Spitzen ging nach Bayern: Ministerpräsident Söder und die CSU betrieben eine Ausschließeritis, dumm: Entweder breche die CDU ein Wahlversprechen oder aber sie könne keine Mehrheit zum Regieren zusammenbringen.
Applaus immer wieder. Habeck spricht in einer kalten, kriegs- und krisengeschüttelten Welt an, was viele vermissen: Wärme und Nähe. Wenn wir uns alle Mühe geben, bekommen wir das hin. Wieder ein wenig wie beim Kirchentag, etwas fürs Herz. Kaputte Schulen, Straßen und Schienen, geringere Energiekosten, Investitionen in innovative Unternehmen. Die Schuldenbremse sei eine Denkverbotsgrenze. Jubel, Klatschen, Wir-Gefühl. Eine Minute fünfzehn Applaus zum Schlusswort, zufriedene Gesichter.
Kritiker dürften eine Menge Kontrapunkte finden: Habecks Subventionspolitik ging in die Hose: Im schleswig-holsteinischen Heide entsteht keine Batteriefabrik der Firma Northvolt, die ging pleite. Kiel muss mit 300 Millionen Euro Bürgschaft einspringen, der Bund mit derselben Summe. Die Intel-Fabrik in Magdeburg wird erst einmal nix. Medien wie Focus berichten zudem: Schlecht sieht es aus für die Chipfabrik, die in Zusammenarbeit mit dem US-Konzern Wolfspeed und ZF Friedrichshafen im Saarland entstehen sollte. Das grüne Stahlwerk von Arcelor Mittal in Bremen wird aktuell nichts, gleiches gilt für die Gigafactory für Batteriefertigung von Stellantis in Kaiserslautern oder der Erweiterung des SMA-Solarwerks im hessischen Niestetal.
Alles kein Erfolg. Na und? Man kann ja scheitern. Wie beim Heizungsgesetz. Aber der Robert, der das Publikum durchgehend siezt, steht zu Fehlern: Daraus lerne er. Habeck strahlt in dieser Gemeinde mit seinen Zweifeln, seinem nachdenklichen Stil, dessen Sätze schon mal im Irgendwo landen, mit seinem inszenierten Ringen, mit seiner immer wieder betonten fast selbstlosen Verantwortung so menschlich wahrhaftig. Das Wort schmeckt rundgelutscht wie ein Bonbon, hier trifft es: Habeck wirkt in authentisch.
Daher punkter er am Ende sicher nicht nur bei der E-Volvo-affinen Bionade-Bourgoisie, sondern vermutlich ebenfalls bei denen, die statt auf Zynismus auf Romantik setzen. Weil er so ist, spaltet er: Im Netz überschütten ihn viele mit Kübel voll Übel.
Habeck hat recht, wie andere auch: Ein "Weiter so" geht nicht. Eine Bilanz, eine Neuausrichtung wären nötig. Die dürfte Einschnitte bedeuten. Aber wer ist im Wahlkampf so ehrlich?
Noch mal zum Anfang: Wenn man Friedrich Merz zuhört, befällt vielen Sodbrennen, bei Olaf Scholz denkt man, so spannend wie seine Aktentasche, bei Alice Weidel halten die meisten selbst Zitronen für süße Früchte. Habeck hat nicht die schlechtesten Chancen. Carlo Eggeling
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