Ein guter Polizist
von Carlo Eggeling am 15.11.2024In lockerer Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor + Lüneburger Gesichter (69)
Ein guter Polizist
Als er den Job übernahm, hat die Polizei die Trinkerszene am Sand schon mal handfest aufgefordert zu gehen. Besoffen, laut, manchmal aggressiv bis zur Schlägerei. Daran erinnert sich Christof Vietgen gut. Gebracht habe es nicht viel, es sei ein soziales Problem, sagt der Mann mit den fünf silbernen Sternen auf den Schulterstücken. Seine Chefs gaben ihm Rückendeckung, als er 2010 die Leitung der Wache übernahm und vorschlug, die Stadt einzubinden und auf Sozialarbeiter zu setzen. Es gab Erfolge: weniger Betrunkene, die auf dem Pflaster lagen, eine überschaubare Gruppe. Es lief nicht perfekt, das geht auch gar nicht. Das Bild hat sich erneut gewandelt: Es seien mehr geworden. "Die Gesellschaft hat sich verändert." Sein Ansatz nicht: "Wohnraum ist, knapper, zu wenig Therapieplätze." Mehr Sozialarbeit werde es nicht perfekt machen, könne aber lindern. Und selbstverständlich greife die Polizei ein, wenn es nötig ist.
Ob die Stadt die Herausforderung über Hilfe und Ansprechpartner angeht, erlebt Vietgen zumindest dienstlich nicht mehr. Mit &5 Jahren geht der Erste Polizeihauptkommissar Ende des Monats in Pension. Eigentlich können Polizisten mit 62 Koppel und Uniform an den Nagel hängen, der Lüneburger hat seine Dienstzeit dreimal verlängert. Nun ist Schluss, mehr ist nicht drin, auch wenn Vietgen anzumerken ist, er würde gern noch länger bleiben.
Mit 16 hat er bei der Polizei angefangen, nach 48 Jahren geht er vermutlich als dienstältester Ordnungshüter in Niedersachsen. Er war immer auf der Straße, Streifenbeamter, erst stellvertretener, schließlich Schichtleiter, schließlich Chef der Wache. "Es macht Spaß, und wenn ich nochmal geboren würde, würde ich wieder zur Polizei gehen", sagt er. Er ist kein Sozialromantiker, auch wenn er ein weites Herz und vor allem einen weiten Blick besitzt. Wer ihn über die Jahre erlebt hat, weiß, dass er zupackt etwa als vor langen Jahre ein Horde Neonazis eine Polizeikette an der Scharnhorststraße durchbrechen wollten: Vietgen brachte "Störer" zu Boden.
Eigentlich lebt er nach der Devise erfahrener Polizisten, die mächtigste Waffe ist das Wort. Mit Geduld erklärt er die Rechtslage, wenn er als Hundertschaftsführer beispielsweise zwischen Demonstranten steht. Das Recht, seine Meinung zu vertreten, gilt auch für die, die Demokratie nicht sonderlich schätzen. Polizei ist eben nicht politisch in der Sache, sondern steht für den Rechtsstaat ein: "Das Gesetz ist die Klaviatur, auf der ich spiele."
Auch wenn die Polizei im Jahr zu 22 000 Einsätzen und 6000 Unfällen gerufen wird, ist er sich mit seinem Chef Oliver Suckow einig: "Lüneburg ist sicher." Es gebe Gewaltdelikte, Diebstahl, die ganze Palette des Polizeialltags. Doch die Wahrnehmung habe sich verändert durch die vermeintlich sozialen Medien, die eine große Aufgeregtheit, aber wenig Sachkenntnis verbreiten. Zudem nehme das Verständnis ab, eine eigene Verantwortung zu haben und Kleinigkeiten zu regeln: "Da wird öfter die Polizei gerufen."
Seine Kollegen würden auch öfter beschimpft, die einen finden Polizei rassistisch, andere, dass die Polizei nicht ausreichend gegen Menschen vorgeht, die zugewandert sind. Vietgen zollt den jungen Beamten Respekt, die seien besser ausgebildet und blieben in vielen Situationen sehr ruhig und besonnen -- setzen sich aber durch wenn es nötig ist. Trotzdem: Seien sie vor eineinhalb Jahrzehnten mit einem Streifenwagen zu einer Schlägerei gefahren, weil die Schutzleute mehr Respekt erlebten, mischten sich heute Zaungäste ein: "Kollegen müssen Kollegen absichern." Also großer Aufmarsch.
Es möge falsche Reaktionen seiner Mitarbeiter geben, doch wenn er die Aufnahmen der Bodycams auswerte, verhielten sich die Beamten zumeist korrekt. Dabei helfe auch ein anderes Verständnis. Es werde mehr hinterfragt und diskutiert, ein selbstkritischer Umgang untereinander. Aber eben diese Haltung führe auch dazu, dass Einsätze besser liefen.
Kein Korpsgeist, ein gutes Miteinander: "Wir sind ein Team, wir müssen uns aufeinander verlassen können." Denn die Gefahr ist immer da, aus alltäglichen Situationen können lebensgefährliche werden. Er selber habe eine sehr fleißigen Schutzengel besessen.
Nun verabschiedet sich Christof, einer der beliebtesten Chefs Auf der Hude. "Eine große Lücke bleibt", heißt es auf der Wache. Nicht nur fachlich, vor allem menschlich, denn er hat sich auch als Gewerkschafter, Personalrat und Freund engagiert. Am Hinterausgang, da wo sie zu den Streifenwagen laufen, haben die Beamten einen Stein mit einem Stern verlegt, Hollywood lässt grüßen. Ein bisschen Witz, na klar, aber eben eine große Ehre und ein Dankeschön.
Vietgen möchte sich um seine Enkel kümmern, mit dem Wohnmobil losfahren, sein Ehrenamt, natürlich etwas Soziales, ausfüllen. Christof nicht mehr auf der Straße, da fehlt etwas in Lüneburg. Einer von denen, die der Stadt gut tun. Carlo Eggeling
Die Fotos zeigen Christof Vietgen und Polizeidirektor Oliver Suckow (l.).
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