Energiewende hautnah
von Carlo Eggeling am 15.07.2023
Meine Woche
Spannend
Die Energiewende kommt an. Komisch, dass sich nicht alle freuen. Im Lüneburger Süden, von wogenden Feldern, sich im Wind wiegenden Wäldern und zirpenden Grillen geprägt, soll auf 25 Hektar Fläche ein Umspannwerk entstehen, dazu Windquirle und Photovoltaik. Mehr geht nicht. Oder doch? Bei einer Bürgerversammlung Anfang der Woche schien es, dass die Energiewende für die meisten gern ein paar Kilometer weiter in Richtung Melbeck konkret werden könnte. Erwartungsgemäß wollen sie in Melbeck allerdings auch kein Fest feiern, sollten die Pläne bei ihnen Realität werden.
Eigentlich waren die Südstaaten bereits raus aus den Entwürfen des Netzbetreibers Tennet, ein Bebauungsplan hätte erfordert, Abstand zu halten -- kein Umspannwerk. Doch diese Vorstufe des B-Plans zerrissen Politik und Verwaltung Anfang des Jahres, eine Woche später fand Tennet: prima Gelände für das Umspannwerk. Das Unternehmen reagierte plietsch, denn der Korridor für Stromautobahnen und Co. ist schmal. Wann liefern weit vorausschauende Politiker und städtische Entwicklungsexperten solche Chancen?
Der Kurswechsel in Sachen B-Plan, den Stadtbaurätin Heike Gundermann im Januar im Bauausschuss empfahl, basiert darauf, dass die Eigentümerin die entscheidende Fläche für zwanzig Jahre landwirtschaftlich verpachtet hat. Gundermann: Es sei unfair, den Bebauungsplan einfach liegen zu lassen und den Anschein zu erwecken, dort könne Bauland entstehen. Aufgepasst, den Satz müssen Sie sich merken! 300 000 Euro Planungskosten könne Lüneburg überdies sparen. Der Grüne Wolf von Nordheim befand, der Boden sei hervorragend für die Landwirtschaft geeignet. Einen Mangel an Bauland vermochte er nicht zu erkennen, wenn man "Rettmer Nord" streiche. Seine Fraktion hatte sich von Anfang an gegen ein Baugebiet ausgesprochen.
Ortsvorsteherin Carmen Bendorf und andere vermissten beim Kontakt mit den Betroffenen Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch. Keine Zeit. Stadtbaurätin Heike Gundermann auch nicht, die zuständige Abteilungsleiterin Kathrin Böhme ebenfalls nicht. Am Ende musste Stadtplaner Mathias Eberhard den Kopf hinhalten. Kompetent, freundlich, aber wo sind Vorgesetzte, deren Job es wäre, sich der Diskussion zu stellen? Herr von Nordheim, ein ehemaliger Kirchenmann und sprachlich mit der Wucht des Alten Testaments unterwegs, fehlte übrigens ebenso wie der Rest der Grünen Ratsfraktion, um die Energiewende, bürgernah vor Ort zu erklären. Ist bestimmt wieder Grünen-Bashing. Ich sage sofort: Entschuldigung.
Nun zu dem Satz Frau Gundermanns, den Sie sich merken sollten: Es sei nicht fair, den Anschein zu erwecken, am Heiligenthaler Weg könne Bauland entstehen. Denn da das Leben immer eine heitere Seite hat, darf die Pointe selbstverfreilich nicht fehlen. Seit Jahren wispern Politik und Verwaltung von ISEK, das steht für Integriertes Stadtentwicklungskonzept. Eberhard wollte zwar nicht direkt erklären, was ISEK für den Süden vorsieht, aber hier könne sich Lüneburg noch entwickeln, entscheiden müsse die Politik. Bauen liegt nahe, nachdem die Oberbürgermeisterin kürzlich erklärt hat, dass Lüneburg mehr als 80 000 Einwohner zählen könne. Da es mit den im Wahlkampf avisierten 1500 bis 2000 charmanten Bleiben unter Dächern bislang nichts geworden ist -- Richtung Heiligenthal bietet sich Wohnen an. Was braucht es dann? Bebauungspläne. Vorausgesetzt, die sind noch machbar neben einem Umspannwerk und Strommasten.
Aber keine Sorge: Weil ein Umspannwerk ein dolles Ding ist, werden die Bürgermeister aus Melbeck und Embsen noch im Rathaus anrufen und Lüneburg den Kram abnehmen wollen. Ganz bestimmt gründen sich dort schon die ersten Bürgerinitiativen: Wir wollen alles an Spannung, was wir kriegen können.
Wäre natürlich eine Idee, mal nachzudenken, warum der Norden jede Menge Strom für den Süden liefern soll. Kann man Strom eventuell dort produzieren, wo er gebraucht wird? Können Betriebe sich da ansiedeln, wo die Energiequellen sitzen?
In der Bäckerstraße steht jetzt eine sogenannte Grüne Oase. Selbst wenn man in der Wüste weiterziehen würde, weil der Kram so aussieht, als habe die Sperrmüllabfuhr ihn vergessen, auf den Liegestühlen dösen gern ältere Herren. Also doch alles richtig gemacht. Wer hat gesagt, dass es auch in schön geht? Nehmen wir, was wir kriegen können. Mehr geht eben nicht.
In diesem Sinne, nehmen Sie Platz und genießen Sie das Wochenende. Carlo Eggeling
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