Erinnern und vergessen
von Carlo Eggeling am 19.04.2025Meine Woche
Film ab
Da hat Lüneburg glatt einen Tag vergessen, obwohl es des Kriegsendes groß gedenken will: den 18. April 1945. Gestern vor 80 Jahren marschierten die Engländer in Lüneburg ein, damit war der Zweite Weltkrieg an der Ilmenau zu Ende. Keine Feier, kein Erinnern, keine so beliebte Demo mit Händchenhalten und Handyleuchten auf dem Markt. Kein Satz dazu im neuesten Lang-Selfie, der von der Pressestelle der Stadt gedrehten Werbebotschaft der Oberbürgermeisterin. Wäre gerade angesichts der Diskussion um die Nazi-Bezüge zur Hindenburgstraße und deren Umbenennung angemessen gewesen.
Lüneburg hatte vor acht Jahrzehnten Glück, die Stadt blieb offen, keine Verteidigung um jeden Preis. Auch dass die Tausendjährige nur zwei Bombenangriffe erlebte, ist eine glückliche Fügung, so leben wir mit der Baugeschichte weiter, die uns heute froh machen kann. Man hätte zudem an den ersten Prozess um das Morden in einem Konzentrationslager denken können, Monate nach Kriegsende, von September bis November 1945, standen Täter um Kommandant Josef Kramer aus dem KZ Bergen Belsen in der lange abgerissenen MTV-Halle vor einem britischen Militärtribunal.
Wir werden später davon lesen und hören. Bestimmt. Dann salbungsvoll auch auf dem Markt. Mit Demo.
Zwei Tage gehören zu den liebsten in meinem Jahr, dann gucken wir mit Freunden an christlichen Feiertagen unchristliche Filme. „Das Leben des Brain“ war toll und Billy Wilders 1961 in Berlin gedrehte Ost-West-Komödie „1, 2, 3“ mit Lilo Pulver und Mario Adorf. Gestern gab es Stanley Kubricks "Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben" von 1964. Ein durchgeknallter US-General namens Jack D. Ripper, Jack the Ripper lässt grüßen, zettelt einen Atomkrieg mit der Sowjetunion an.
Könnte man heute schwerlich drehen bei den vielen vermeintlichen Moralisten, doch damals durfte es bitterböse sein. Der Aufrüstungsirrsinn, der im Film im Weltuntergang mündet -- ziemlich realistisch angesichts der damals bestehenden Machtblöcke in West und Ost. Und nicht weit weg von uns heute, wo zwei Irre in Washington und Moskau sitzen, die Krieg scheinbar wie eine Runde Mensch-ärgere-Dich-nicht begreifen. Ziemlich seltsam. Dr. Seltsam kam übrigens aus Deutschland: "Mein Führer!"
Vielleicht war das unser Gedenken an den 18. April 1945.
Eine Ergänzung in Sachen Poller an der Neuen Sülze, der soll schon in Höhe Parkhaus gesetzt werden, teilte die Stadt mit, nicht erst Auf der Altstadt. Gut, dann kein Drive-Inn beim grünen Stadtrat und Anno-1990-Wirt, auch die Verwaltungsspitze, die sich dort heimisch fühlt, kommt an Kopfsteinpflastergerumpel vorbei. Lustig dürfte künftig der Poller-Wendeverkehr an der Oberen Schrangenstraße werden: Die Fahrkünste der Chauffeure von Reisebussen und Lkw versprechen eine neue Touri-Attraktion.
Anregend fand ich am Montag das Ringen der lokalen SPD, ob die Mitglieder dem Koalitionsvertrag mit der CDU zustimmen. Rund 70 Genossen waren in den Kunstsaal im Lünepark gekommen. Es gab, man glaubt es kaum, Diskussionen. Politik als Streit um die besten Ideen. Erstaunlich allerdings, dass nur eine Vertreterin der Stadtratsfraktion gekommen war. Das zeigt das große Engagement der Stadt-Sozis.
Die Genossen im Kreis legen jetzt vor. Achim Gründel aus Radbruch zieht die Arena in die Arena des Kreistages. Er nutzt die schärfste Waffe: Paragraph 56 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz. Die Verwaltung muss wahrheitsgemäß bis ins Detail Auskunft zum Thema Brandschutz geben. Der liegt bei der Halle bekanntlich im Argen.
Die zuständige Kreisrätin musste den Bereich Sicherheit bereits abgeben. Landrat Jens Böther hat spät, aber immerhin die Notbremse gezogen. Mal sehen wie es für die Kreisrätin weitergeht, die schon bei dem Streit um die Schutzhütte in Amelinghausen nicht gerade glücklich agierte, auch da hatte Böther sehr spät eingegriffen.
Ob sich die Sozialdemokraten im Rat ein Beispiel nehmen? Der Streit um die Besetzung der Stelle der Sozialdezernentin böte sich an. Nicht weil sie die Falsche ist, sondern weil das Agieren der Oberbürgermeisterin mit ihrer Intransparenz zum einen der Kandidatin schadete, und zum anderen weil das Vorgehen der OB eine Menge Fragen aufwirft, ob beispielsweise die nötigen Gremien eingeschaltet waren, ob ihr Auftritt im Rat und ihr Verdacht gegen eine SPD-Frau rechtlich haltbar ist, ob die Ratsvorsitzende und der sonst auf jeden Paragraphen pochende Rechtsdezernent in diesem Fall nicht hätten eingreifen müssen.
Es geht hier nicht um schlechte Laune, es dreht sich um grundsätzliche Fragen des Selbstverständnisses des Rates und seiner Funktion, seiner Rolle. Die Oberbürgermeisterin ist demnach vor allem ausführendes Organ. Thron ist lange vorbei. Kann man mal wie einen Gedenktag vergessen. Noch einen historischen Blick: Den Herzog hatten die Lüneburger -- einfach zusammengefasst -- 1371 aus der Stadt geworfen, in dem sie die Burg auf den Kalkberg zerstörten, er musste seinen Sitz in Celle nehmen. Selbstbewusste, stolze Bürger.
Ostern. Jesu hat das Leid der Welt auf sich genommen. Es war ein Kreuz vor 2000 Jahren, nach Karfreitag folgt die Hoffnung, die Auferstehung. Die ist zumindest ein Versprechen, das hebt die Stimmung. Ansonsten bleibt der Existenzialist Jean Paul Sartre: "Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber dies ist unsere Zeit." Machen wir etwas daraus. Carlo Eggeling
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