Lüneburg, am Freitag den 09.05.2025

Erwartbares Blubbern

von Carlo Eggeling am 11.05.2024


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Die Politikblase blubbert erwartungsgemäß: schärfere Strafen für die Täter, mehr Schutz nachdem in Dresden ein Sozialdemokrat krankenhausreif geschlagen wurde, als er Wahlplakate aufhängte, dazu Grüne bedrängt wurden und auch andere Parteigänger nicht sicher vor Attacken sind. Alles widerlich. Aber was nun?

Wenn jemand "eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt", droht ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, nutzt die Angreiferin dabei eine Waffe oder ein Werkzeug, geht sie dabei hinterlistig vor oder hat gar Komplizen, können so gar zehn Jahre Gefängnis herauskommen. Steht so in den Paragraphen 223 und 224 des Strafgesetzbuches. Zehn Jahre.

In Dresden waren es Ermittlungen zufolge mutmaßlich vier Täter die einen SPD-Mann verprügelten: Gebrochene Gesichtsknochen, hinterlistig und Komplizen würde ich hier subsumieren. Da wäre strafrechtlich eine empfindliche Strafe möglich. Selbst wenn das Jugendrecht gilt, auch das ermöglicht Sanktionen.

Wer nun Verschärfungen möchte, in welchem Maß? Zehn Jahre erscheint eine ganze Menge. Soll für Attacken auf Politiker und Sympathisanten ein anderes Strafmaß gelten? Welches? Warum? Vor dem Gesetz sind alle gleich, ein Grundsatz in der Demokratie. Über das Strafmaß entscheiden Gerichte.

Mehr Schutz lautet eine andere Forderung. Wie soll das gehen? Für jeden Plakate-Kleber einen Schutzmann abstellen? Übrigens sind 35 Parteien zur Abstimmung am 9. Juni zugelassen. Polizeigewerkschaften klagen seit Ewigkeiten über zu wenig Personal. Scheint irgendwie nicht so erfolgversprechend. Die taz beschrieb es gestern bestens in einer Karikatur: Ein Dutzend behelmte Polizisten hinter Schilden mit dem Schlachtruf: "So bald das SPD-Plakat baumelt, alles geschlossen vorrücken zum nächsten Laternenpfahl!"

Dass Idioten Politiker schlagen, dass Wirrköpfe Bürgermeister und ihre Familien bedrohen, dass wie in Berlin eine Senatorin attackiert wird, dass sich eine geifernde Menge, wie es Kanzlerin Angela Merkel passiert ist, hinstellt, Gemeinheiten brüllt und losstürmen will -- widerlich.

Kommt jetzt der Ruf nach mehr Präventionsprogrammen? Ich lese alle naselang von Schulen, die sich gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit engagieren, von vielen Projekten an Universitäten, die Toleranz fördern sollen.

Scheint von begrenztem Erfolg, wenn die Nachrichten zeigen, wie palästinabegeisterte Studenten auf jüdische Kommilitonen losgehen. Der aktuellen Studie „Jugend in Deutschland 2024“ zufolge liegt die AfD bei den unter 30-Jährigen in der Wählergunst vorn. 22 Prozent der Befragten würden ihr derzeit bei einer Bundestagswahl ihre Stimme geben.

Der Berliner Tagesspiegel schreibt: „Unsere Studie dokumentiert eine tiefsitzende mentale Verunsicherung mit Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen“, sagt Simon Schnetzer, Herausgeber der Studie. 11 Prozent der Befragten sagen, sie seien aktuell wegen psychischer Störungen in Behandlung." Was aufs Gemüt schlägt, benennt die Untersuchung: Sorge vor Inflation (65 Prozent), das Thema Krieg in Europa und Nahost (60 Prozent), teurer oder knapper Wohnraum (54 Prozent), die Spaltung der Gesellschaft und der Klimawandel (jeweils 49 Prozent). Allen Anti-Rassismus-Schulen zum Trotz: "Besonders stark zugenommen hat die Sorge vor einer Zunahme von Flüchtlingsströmen. Im Vorjahr bejahten die Frage danach noch 25 Prozent der jungen Menschen. In diesem Jahr sind es 41 Prozent."

Ich würde sagen, die Stimmung ist schlecht, was gut läuft, fällt hinten runter. In der Biografie des verstorbenen Wolfgang Schäuble, er war ein halbes Jahrhundert Bundestagsabgeordneter, mehrmals Minister, einer der Architekten der Deutschen Einheit und Bundestagspräsident, schreibt in seinen Memoiren über das Ende der Kanzlerschaft Helmut Schmidts (SPD) Anfang der 1980er Jahre: "Gesamtgesellschaftlich hatte sich der Pessimismus immer stärker verbreitet", „die Leute hatten den Glauben verloren, dass es aufwärts gehen könnte." Und weiter: Dazu komme der gesellschaftliche Dauerprotest dieser Jahre. Er erinnert an Petra Kelly, damals friedensbewegter Star der jungen Grünen, die meinten, Frieden schaffen ohne Waffen. Bei deren Mahnungen habe man "vernünftigerweise gleich mitheulen müssen, weil die Welt so traurig war". So geht es mir heute auch, angesichts aller Dramen, bei einer Regierung, die sich permanent selbst zerlegt und ihre Erfolge nicht verkaufen kann oder will.

Als 1982 Helmut Kohl Schmidt als Kanzler ablöste, sprach der Christdemokrat von einer "geistig-moralischen Wende". Das nervte sehr, weil Kohl so bräsig-behäbig wirkte. Daher noch einmal Schäuble: "Wir wollten wieder mehr Zuversicht vermitteln. Nicht jammern und verzagen, sondern Menschen wieder Vertrauen in die Zukunft geben." Das wäre mal ein Plan.

Kommen wir zum Lustigen. So gar nicht hingehauen hat ein Einfall am Mittwoch in Soltau. Ein 27-Jähriger verließ im Outlet-Center ein Schuhgeschäft mit deutlich mehr als seinen eigenen Tretern ohne zu bezahlen. Flucht in einem Linienbus, notiert der Polizeibericht. Ok, die alarmierte Staatsmacht warf einen Blick auf den Fahrplan. Nächste Station Handschellen.

Begrenzt hoffnungsfroh stimmt die Mitteilung von Autobahngegnern, die von Wolfsburg nach Lüneburg radeln. Tobi Rosswog mit der kompetenten Berufsbezeichnung "Verkehrswendeaktivist" teilt uns mit, dass es -- unbestreitbar -- mehr Bus und Bahn brauche. Er hat eine Idee, wie das gehen soll: "VW muss in Zukunft Straßenbahnen bauen und damit zur Verkehrswende beitragen – nur so wird der Konzern zukunftsfähig. Es gilt die soziale und ökologische Frage zusammen zu denken und danach zu handeln, um Mobilität für alle zu gestalten." Ich weiß nicht, ob das angesichts steigender Zulassungszahlen für Autos und ewig langen Diskussionen um den Neu- und Ausbau von Schienennetzen die allerbeste Idee ist. Und ob die Welt weltweit auf die Tram setzt?

Bleiben wir heiter mit dem Schauspieler Peter Ustinov: "Ein Optimist ist jemand, der genau weiß, wie traurig die Welt sein kann, während ein Pessimist täglich neu zu dieser Erkenntnis gelangt." Entspanntes Wochenende. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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