Es brennt bei der Feuerwehr — turbulente Wahl in der Mitte
von Carlo Eggeling am 16.09.2023Es brennt bei der Feuerwehr Lüneburg Mitte -- und es wird eines besonderen Löscheinsatzes bedürfen, um den Brand zu löschen, denn der hat sich offenbar tief ins Gebälk gefressen. Auf den ersten Blick ging es am Freitagabend um die Wahl eines stellvertretenden Ortsbrandmeisters, die daneben ging; doch auf den zweiten Blick züngeln Flammen um die Führung. Einige der stimmberechtigten 77 Feuerwehrleute fanden den Auftritt von Ortsbrandmeisterin Meral Fischer gelinde gesagt nicht besonders gelungen. Auf den dritten Blick dreht es sich auch um den Umgang mit dem scheidenden Stadtbrandmeister Thorsten Diesterhöft, der an diesem Abend nicht anwesend war. All das begleitet von einer Stadtspitze um Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch, die sich auf Rechtsfragen zurückzog und nicht beruhigend eingriff.
Der Reihe nach. Ein Stellvertreter Meral Fischers war aus gesundheitlichen Gründen vor Monaten zurückgetreten, am Freitagabend sollte ein Nachfolger bestimmt werden. Normalerweise besprechen die einzelnen Züge, wen sie nominieren wollen, Überraschungen sind eher selten. Dieses Mal trat ein Feuerwehrmann an, der sich sehr engagiert, auch auf Kreisebene, der gar im "Haus" wohnt, also zu denen gehört, die nachts als erste ausrücken.
Nun kommen persönlich nicht alle mit dem Mittdreißiger klar. Schon im Vorfeld hieß es: "Pass' mal auf, das wird spannend." Meral Fischer präsentierte den Kameraden. Und wollte wählen. Doch aus der Runde stand einer auf, etwas provokant: "Ich weiß nicht, wer du bist. Erzähl' mal." Machte der Mann. Abstimmung, die dann der stellvertretende Stadtbrandmeister Volker Gätjens als Wahlleiter übernahm. Fischer: "Zehn Minuten Pause." Schnell war klar, die reichen nicht. Denn zum Auszählen mussten plötzlich Dezernent Markus Moßmann und seine Mitarbeiter hinzukommen, dann die vier Zugführer. Betretende Gesichter. Wieder Diskussionen hinter verschlossener Tür.
Bald eine Stunde verging. Ergebnis: 30 Ja-, 30 Nein-Stimmen, 17 Enthaltungen. Ortsbrandmeisterin Fischer, die in ihrer Rede zuvor auffallend viel Gemeinschaft beschworen hatte, war offensichtlich völlig überrascht. Gätjens verkündete einen zweiten Wahlgang. Meral Fischer setzte an, wollte zu etwas aufrufen. Gätjens fiel ihr ins Wort: "Meral, das geht nicht, das ist Wahlbeeinflussung." Moßmann sekundierte, rief eindringlich "Frau Fischer!" Der fiel es schwer zu schweigen. Zweite Wahl, wieder Hektik, denn das Ergebnis fiel noch katastrophaler aus: statt 30 nur noch 29 Ja-Stimmen, dafür 43mal Nein und fünf Enthaltungen.
Was nun für alle klar schien, war es nicht. Wieder großes Treffen am Vorstandstisch. Dezernent Moßmann holte seine Leute dazu, heftiges Blättern nach Gesetzestexten im Laptop. Auch Michael Bahr sollte kommen. Ein eigenwilliger Vorgang. Bahr, der sich beim THW engagiert und als Gast da war, musste dienstlich werden, was ihm nach Eindruck einiger im Publikum nicht gefiel. Er zog seine Uniformjacke aus, und mutierte zum Leiter des städtischen Rechtsamtes.
Den verblüfften Feuerwehrleuten erklärte Jurist Bahr, der durchgefallene Kandidat könne sein Amt trotzdem ausüben. Die Begründung ist für Laien rechtlich kompliziert: Wenn es keinen Gegenkandidaten gibt, wird der Bewerber nach einem zweiten Wahlgang automatisch ins Amt gehoben, wenn er mindestens eine Stimme erhält. Der Hintergrund liege darin, dass Verwaltung und Feuerwehr funktionieren müssten, dafür bedürfe es Funktionsträgern.
Empörung im Saal. Ein altgedienter Feuerwehrmann, ehemals Zugführer, stand auf, mühsam beherrscht: "Sie wollen uns erzählen, dass der Vorschlag gar nicht abgelehnt werden kann? Worüber stimmen wir hier eigentlich ab?" Im Nachgang war zu hören, dass einige überlegten, bei so einer Entscheidung sofort aus der Wehr auszutreten.
Der durchgefallene Kandidat rettete die Situation, zog seine Bewerbung zurück. Dafür erntete er Anerkennung. Klopfen auf den Tischen. Vielen im Saal war klar, dass es schwer an dem Kameraden knacken dürfte, wie er auf diese Art durchfiel -- trotz seines großen Engagements. Die Feuerwehrspitze habe es an der Fürsorgepflicht für den Mann fehlen lassen. Es sei ein persönlicher Schlag. Er selber sagte später, er wolle sich weiter für die Feuerwehr einsetzen.
Meral Fischer reagierte enttäuscht, will das Thema im Januar erneut auf die Tagesordnung setzen. Auf Nachfrage sagte sie, es sei kein Votum gegen sie und ihren Stellvertreter Sven Breiter gewesen, sondern ein persönliches gegen den Kandidaten, der habe nicht überzeugt.
Das sahen einige im Saal auf Nachfrage anders. Man sei unzufrieden mit der Führung, empfinde das Vorgehen unmöglich. Die Spitze habe den Draht in die Mannschaft verloren. Es habe Warnsignale gegeben, welche die Ortsbrandmeisterin und ihre Kollegen nicht hätten hören wollen. Zudem gab es Kritik daran, wie sie die Oberbürgermeisterin gelobt hatte. Claudia Kalisch hatte die Brandbekämpfer vor Wochen zum Grillen in den Rathausgarten eingeladen. Meral Fischer bedankte sich mit zig Fotos und einer nicht enden wollenden Dankesrede; so etwas habe es zuvor nie gegeben. Tenor bei mehreren Befragten: "Drei Sätze hätten gereicht, ja, war nett, aber das war's auch. Meral hat hier eine Wahlkampfrede gehalten. Für sich."
Damit sind wir beim dritten Aspekt. Wie berichtet, legt Stadtbrandmeister Thorsten Diesterhöft sein Amt zum Jahreswechsel nieder. Es hatte einen Misstrauensantrag der Ortsbrandmeister gegen ihn gegeben, lediglich seine Heimatwehr Häcklingen hatte sich der Stimme enthalten. Der Hintergrund in Kurzform: Die Stadt hat ihn zum Chef der hauptberuflichen Wachbereitschaft gemacht. Er ist also Angestellter des Rathauses, damit könne er nicht mehr für die Ehrenamtlichen sprechen, so die Kritik. Das ist letztlich nur ein halbgreifendes Argument, da er schon zuvor als technischer Mitarbeiter in der Wache auf der Gehaltsliste des Rathauses stand.
Wie auch immer, es soll mehrere Aspiranten auf die Nachfolge als Stadtbrandmeister geben, in der Feuerwehr gilt Meral Fischer als eine Kandidatin. Ihr Auftritt am Freitagabend wurde von einigen als Griff nach dem Amt wahrgenommen. Dazu passt, dass Volker Gätjens eine sehr sachliche Abschiedsrede als stellvertretender Stadtbrandmeister hielt, er gibt sein Amt gemeinsam mit Diesterhöft ab.
Man gehe, "um Ruhe in die Feuerwehr zu bringen, wir wollen den Weg freimachen für ein neues Team", sagte Gätjens, der seit 1996 in der Führung der Wehr aktiv ist. Er lobte, was bewirkt worden sei, eine gute Ausstattung, eine gute Ausbildung. Interessant war, was er nicht lobte: das Miteinander. Darauf angesprochen lächelte er nur: "Fandest du die Rede kritisch?" Widerspruch kam nicht.
Dass die Verwaltungsspitze um die Oberbürgermeisterin nicht versuchte, die Lage zu beruhigen, dass rechtliche Fragen öffentlich debattiert wurden, dass man den durchgefallenen Kameraden so ins Messer laufen ließ -- alles Punkte, die die Feuerwehr noch länger beschäftigen dürften. Gäste aus befreundeten Wehren waren von dem Abend mehr als erstaunt und sagten, diese Funken würden sich über die Grenzen des Landkreises hinaus stieben: "Das geht rum."
Ein ehemaliger Ortsbrandmeister, inzwischen in der Altersabteilung, mit integrativem Wesen empfiehlt, das Ganze intern gut aufzuarbeiten, im Zweifel mit einer Mediation. Denn eins ist klar, die Haupt- und die Ehrenamtlichen müssen weiter zusammenarbeiten bei Feuern, Unfällen und anderen Herausforderungen. Aber durch die Bank weg ist man überzeugt: "Das bekommen wir hin. Da geht es um Menschenleben. Das zählt." Carlo Eggeling
Die Fotos zeigen die Versammlung und Meral Fischer.
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