Lüneburg, am Montag den 05.05.2025

Extremes Gejammer

von Carlo Eggeling am 03.05.2025


Meine Woche
Alternative für Deutschland. Anders


Ich habe Stephan Bothe im NDR-Fernsehen gesehen. Der Amelinghausener ist in Niedersachsen innenpolitischer Sprecher der Partei, die das Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch einschätzt. Der Landtagsabgeordnete Bothe sieht das anders: "Ich bin mir sicher, dass unsere Partei nicht rechtsextrem ist, vielmehr stehen wir mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz und sind eine demokratische Kraft in diesem Land." Ob er Björn Höcke zugehört hat, Alexander Gauland, der den Nationalsozialismus als Vogelschiss in der deutschen Geschichte bezeichnet hat?

Was soll immer das Gejammer dieser "in weiten Teilen rechtsextremen Partei", um eine journalistische Formulierung aufzugreifen? Einer von denen bezeichnet sich als "freundliches Gesicht der Nationalsozialismus", andere bleiben auf Skinhead-Niveau und raunen "Ausländer raus", Remigration heißt das etwas vornehmer, andere machen eine "Umvolkung" aus. Das Gegeifer gegen Schwule, obwohl ihre Vorsitzende -- wie sympathisch menschlich -- lesbisch ist und mit einer zugewanderten Frau zusammenlebt. Gleichzeitig finden AfDler Halb- und Voll-Diktatoren wie Orban und Putin maskulin-führer-toll -- was soll da nicht rechtsextrem sein? Wer sein Kreuz bei denen macht, weiß, auf wen er sich einlässt. Halb- und Dreiviertel-Nazis.

Ich sehe die nächsten Lichterketten, das An-den-Händen-halten samt Bekenntnis "Wir sind anders". Das ist schön, vor allem fürs eigene Gefühl. Ändern wird es nichts. Dabei könnten einige sofort handeln -- durch abgrenzen. Das ist beispielsweise zu besichtigen auf einer Lüneburger Internetseite, die behauptet, anders und nicht journalistisch zu sein. Die selbsternannte News-Seite bejubelt die grüne Oberbürgermeisterin und gleichzeitig die AfD. Wie das intellektuell geht, ist eine psychiatrische Frage. Spannender ist, dass sich die Stadt nicht offiziell distanziert, dass Meinungsmacher und Politiker mit der öminösen namentlich schwer zu greifenden Truppe gelinde gesagt zusammenzuarbeiten scheinen. Sie lassen ihre Beiträge teilen und sich beklatschen. Seine Freunde kann man sich aussuchen.

Noch einmal zur angeblich demokratischen AfD. Vor Jahren hat mir ein damals führender Kopf der NPD und Wehrsportorganisationen gesagt, die AfD sei das Beste, was der NPD und anderen Gruppierungen passieren konnte, sie würde deren Denken gesellschaftsfähig machen. Das hat offensichtlich geklappt. Messermänner, Kopftuch-Mädchen und den Rest dieser Unappetitlichkeiten hören wir in Kreis- und Landtagen sowie im Berliner Parlament.

Stephan Bothe, der sich mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz wähnt, kennt bestimmt seinen wikipedia-Eintrag: "Im Jahr 2021 wurde Stephan Bothe vorgeworfen, den rechtsextremen „Flügel“ der AfD wiederbeleben zu wollen. Der AfD-Bundesvorstand beantragte daraufhin ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn; Bothe selbst nannte die Vorwürfe haltlos. Bothe hat an einem AfD-Treffen im Februar teilgenommen, in der ein geheimer Wiederaufbau von Flügelstrukturen an den Kreisverbänden vorbei besprochen worden sein soll. Bothe stellte das aufgenommene Tondokument als Beweismittel in Frage. 2021 wurde die von der Partei verhängte Ämtersperre Bothes aus formalen Gründen wieder aufgehoben. Ein Parteiausschlussverfahren gegen Bothe scheiterte."

Lüneburg beschäftigt sich gerade mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Millionen Tote, Konzentrationslager, zerstörte Städte. Bundespräsident Theoder Heuss sagte kurz nach dem Kriegsende sinngemäß, es gebe keine Kollektivschuld, aber eine Kollektivscham. Das verharmlost zwar, was aber bleibt, ist die Verantwortung, gegen Menschenverachtung und Unfreiheit einzutreten.

Wir nehmen vieles so selbstverständlich hin. Neulich gab es einen Film über den Streik der Werftarbeiter in Schleswig-Holstein, die 1956/57 im längsten Arbeitskampf der Bundesrepublik die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter vom ersten Tag an durchsetzten. Heute steht das wieder infrage. Ober die Pressefreiheit. Einmal hoch zum Hambacher Schloss in der Pfalz, wo 1832 Zehntausende für bürgerliche Rechte demonstrierten -- gegen die Obrigkeit, die sie ins Gefängnis stecken wollte. Ein Blick nach Russland, Ungarn und in die USA zeigt, wie zerbrechlich Freiheit ist. Auch bei uns.

Kommen wir zu heiteren Dingen. Die Oberbürgermeisterin hat einen Coup gelandet. Der polterige Ratsherr und Widersacher Eckhard Pols von der CDU fungiert künftig als Wirtschaftslotse im Rathaus, er will der Wirtschaft dienen, sagt er. Dafür muss er sein Ratsmandat abgeben. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Dem Vernehmen nach hat er seine Partei zwar informiert, aber nicht eingebunden. Da die ansonsten -- bis auf Ausnahmen wie die Verpackungssteuer -- nicht gerade rebellisch in Richtung Verwaltungsspitze wirkt, dürfte es noch harmonischer werden. Glückwunsch ins Rathaus.

Spaßig ist es beim DGB. Der streicht den regionalen Chef, was dieser nebenbei am 1. Mai erwähnt. Das ist ein Macht- und Bedeutungsverlust. Angeblich will die Dachorganisation so schlagkräftiger werden, weil das Personal in der Geschäftsstelle bleibt. Aus den mächtigen Einzelgewerkschaften ist zu hören, man werde genau nach Hannover schauen und darauf achten, die Linie mitzubestimmen. Denn die Fläche werde geschwächt. Schlagkraft und anders organisieren, hört man bei den Gewerkschaften ewig. Wie bei der Kirche, dort schwinden Gläubige und Beitragszahler.

Besonders demokratisch und transparent wirkte es am Festtag der Arbeitnehmer jedenfalls nicht, denn die meisten hörten das erste Mal davon, dass ihr für sechs Landkreise zuständiger Verband zurechtgestutzt wird. Eins muss man dem DGB lassen, die Musik war endlich mal gut.

Gewerkschaften, Kirche, Verwaltung, Politik -- die brauchen wir. Sie machen das Land lebenswerter, wenn sie ihren Job gut machen. Damit das funktioniert, bedarf es Kritik und Respekt. Das macht in einer Demokratie das Fundament aus. Wer Alternativen bietet, gewinnt Wähler, das wäre die richtige Alternative für Deutschland. Herr Bothe und Co. sind es nicht. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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