Lüneburg, am Mittwoch den 11.09.2024

Farbenfroher Geburtstag in der Altstadt

von Carlo Eggeling am 03.09.2024



Am Wochenende lädt der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt ein zur Alten Handwerkerstraße. Samstag und Sonntag lebt die Zeit der Renaissance um das Jahr 1500 wieder auf. Handwerker zeigen alte Techniken, die Stadtwache patrouilliert, an Ständen bieten Händler Süßes und deftiges an.

Es ist ein besonderes Jahr, der ALA feiert seinen 50. Geburtstag. 1974 gründeten Curt Pomp und Freunde den Verein. Grund genug, Bilanz zu ziehen. Das macht der Verein mit einem Buch: Ein halbes Jahrhundert begleitet er Stadtgeschichte, hat manchen Abriss alter Häuser verhindert, den Alten Kran gerettet, das Salzmuseum mitgegründet -- um nur ein paar Beispiele zu nennen. Eine Bürgerinitiative im Wortsinn und im besten Sinne.

Wir blättern ein Kapitel aus dem 100-Seiten-Werk "Ohne uns wär alles weg" auf, ein Stück Lüneburger Geschichte:
Was heute ein Idyll ist, ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für die Bewohner eine Katastrophe. Zwar sind im Vergleich zu Hamburg oder Lübeck relativ wenig Bomben auf die Stadt gefallen, doch zum Zerreißen furchtbar beuteln Senkungen die mittelalterlichen Häuser. Dazu kommen Enge und üble hygienische Zustände: 1946/47 leben laut einer Erhebung für einen Generalbebauungsplan von 57 000 Einwohnern 33 000 mit einer Klärgrube oder einem Abortkübel. Wohnraum ist durch den Zuzug von Flüchtlingen knapp, überdies haben die Alliierten Häuser und Wohnungen beschlagnahmt. Menschen hausen in Kellern, auf Dielen und Dachböden. Senkungsschäden sind in der Altstadt Alltag, Bilder zeigen etwa an Vierorten, wie Handwerker mit gewaltigen Balkenkonstruktionen Gebäude abstützen -- Einsturzgefahr. Schließlich müssen sie weichen.

Die Linie im Rathaus: Abriss, neue Konzeption der Stadt. Für kleines Geld sollten Eigentümer gerade in der Westlichen Altstadt ihre Häuser hergeben. Viele wollten das nicht, die sogenannten Senkungsgeschädigten zeigten in Richtung Saline: Jahrhunderte des Salzabbaus seien Ursache dafür, dass es abwärts gehe. Stadt und Saline weigern sich, finanziell einzutreten. Dem damaligen Oberstadtdirektor Werner Bockelmann wird der Satz zugeschrieben: "Es ist höhere Gewalt, dafür kann das Stadtsäckel nicht bluten." 1953 schließen sich Bürger zusammen in der "Interessengemeinschaft der Senkungsgeschädigten zu Lüneburg".

Doch ihre Hoffnung, angemessene Entschädigungszahlungen zu erhalten, erfüllt sich nicht; Land, Stadt und Saline weigern sich aufgrund der Rechtslage. Für die gewaltigen Bewegungen im Untergrund können sie nicht haftbar gemacht werden. Der Bereich Viertorten fällt der Abrissbirne zum Opfer -- zu massiv ist die Gefahr, durch herabstürzende Steine verletzt zu werden. Auch an der Salzbrückerstraße fallen Gebäude. Manche Häuser kauft die Stadt für wenig Geld zum "Einheitswert".

Gleichzeitig wollen Verwaltung und Politik die Bewohner der Altstadt zum Umzug bewegen. Neue Häuser entstehen, zum Beispiel an der Wedekindstraße durch die gemeinnützige Lüneburger Wohnungsbaugesellschaft. Bei einem Richtschmaus im April 1954 feiert man "den ersten Abschnitt des Baus von Ersatzwohnungen für die Mieter in den zu räumenden Häusern wegen des Verfalls". Allerdings sind die Mieten so hoch, dass manche sie nicht bezahlen können, es geht zurück in Altbauten.

Der Kampf zieht sich, es wird doch nicht alles abgerissen, dazu entstehen neue Viertel wie der Kreideberg und Kaltenmoor. Als die Saline 1980 schließt, stellt sich heraus, dass das ständige Abpumpen der Sole für die Senkungen zumindest mitverantwortlich war -- denn die lassen nach, der Betrieb nicht mehr läuft. 1974 löst sich die Interessengemeinschaft auf.

Es ist das Jahr, in dem sich der ALA gründet. Die Stimmung dreht sich. Das hat mit Curt Pomp zu tun, der Ende der 1960er Jahre anfängt, ein Haus an der Unteren Ohlinger Straße zu sanieren. Auch andere finden, man könne nicht ständig mittelalterliche Häuser abreißen. 1972 gründet sich eine Bürgerinitiative, daraus wird am 1. Februar 1974 der ALA "mit dem Ziel, weitere Zerstörungen zu verhindern und Alt-Lüneburg als städtebauliches Gesamtkunstwerk zu erhalten und zu revitalisieren. Initiator war Curt Pomp".

Der ALA denkt groß und handelt im Kleinen. So legt er 1977 das Konzept zur "Erhaltung und Regenerierung der historischen Stadtstruktur. Führung des mittleren Ringes West" vor, das sich mit Verkehrsplanung, Begrünung und natürlich Wohnraum beschäftigt -- immer vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Charakters Lüneburgs. Das Konzept reagiert damit auf eine Fortschreibung des Generalverkehrsplans von 1975.

Parallel sammeln Mitglieder Material: Sie retten aus Abbruchhäusern Türen, Fenster, Beschläge, Treppen, Steine, um sie in anderen Gebäuden wieder einzubauen -- das ist bis heute so: Im Speicher am Iflock lagern kleine Augenweiden. Mitglieder kaufen damals für wenig Geld angebliche Bruchbuden. Unter angehängten Decken, hinter Verschalungen finden sie bemalte Decken, Eichengebälk, andere Raumzuschnitte. Sie stellen fest, dass ihre Häuser oft älter sind als gedacht, dass die Ursprünge ihrer Bauten in die Spätgotik und Renaissance zurückreichen.

In Zusammenarbeit mit Firmen, die sich auf Restaurierungen spezialisieren, geht der ALA vor. Die Linie kombiniert der Verein mit politischen Forderungen. Mit Erfolg. Im Dezember 1976 lädt das Rathaus Pomp als einen von vier Sachverständigen ein, einen Platz im Stadtbildpflegeausschuss einzunehmen. Nachdem sich dieses Gremium 1996 auflöst, erhält der ALA einen Stuhl im Ausschuss für Bauen und Stadtentwicklung. Ein Rückschritt, denn statt Stimmrecht besitzt er hier nur beratende Funktion.

Im Herbst 1977 wird die Westliche Altstadt zum Sanierungsgebiet erklärt. Geld aus öffentlichen Töpfen fließt von 1980 an. Es hakt und ruckelt, ein neues Planungsbüro. Als der Rat 1986 ohne Gegenstimme ein Neuordnungskonzept für die Westliche Altstadt beschließt, ist der ALA mit an Bord. Es geht voran, wie gewünscht ziehen wieder mehr Menschen ins Quartier.

Im Buch Stadtentwicklung und Denkmalpflege schreibt Autorin Carolin Stoeppel: "Die für die Sanierung der Westlichen Altstadt aufgewendeten finanziellen Mittel werden auf insgesamt 45 Millionen Mark öffentliche Sanierungs- und Strukturhilfemittel plus 200 Millionen Mark Investitionen privater und öffentlicher Bauherren geschätzt."

Zu sehen ist das bei einem Spaziergang durch das Viertel überall. Das liegt auch an Pomp und seinen Mitstreitern. War dort ein Haus zu verkaufen, versucht Pomp, Bekannte zu überzeugen, das Gebäude zu erwerben und ihm alte Schönheit zurückzugeben. Dazu kommt Protest und Widerstand: So retten -- ein erster Erfolg -- sie Ende der 1970er Jahre ein uraltes Kaufmanns-Ensemble an der Salzbrückerstraße.

Selbstverständlich geht es um Geld. Alte Handwerkerstraße und Christmarkt, die seit Anfang der 1980er Jahre Abertausende Besucher ziehen, sind Einnahmequellen. Die Spenden werden zu Spenden: Der Verein gibt Geld dazu, damit hier eine Decke, da eine Decke restauriert werden kann. Große Projekte finden sich im Hafen, finanzielle Spritzen, um den Alten Kran herzurichten, damit Ewer und Prahm gebaut werden konnten.

Der Verein wandelt sich. Jüngere rücken nach. Wenn Politik und Verwaltung gern betonen, wie sehr sie den ALA schätzen, vergessen sie ab und an, die Expertise einzuholen. Die Anliegen sind geblieben, die Schönheit der Stadt erhalten, Lüneburg soll lebens- und liebeswert sein. Aber kein Museum.

Das Buch ist auf dem Fest im Angebot. Es kostet 19,80 Euro, für Vereinsmitglieder 15 Euro. Carlo Eggeling

© Fotos: ALA/ca


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