Festival in Ventschau
von Carlo Eggeling am 21.07.2024Lüneburger Gesichter (63)
In lockerer Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor
Haltung mit Musik
Steffen Thiele handelt: mit Platten und als Kernkraftgegner. Er organisiert das E-Ventschau
Als die Castor-Transporte ins Wendland endeten, hatte die Anti-Atomkraft-Bewegung einen großen Erfolg erzielt. Der Reaktor-Unfall von Fukushima im März 2011 bedeutete den Ausstieg Deutschlands aus der Kernenergie. Für Steffen Thiele war das Thema trotzdem nicht durch: "Die Aufmerksamkeit sank, aber es war ja nicht vorbei." Der Atommüll, der Zehntausende Jahre strahlt, muss irgendwo hin. Weltweit laufen Meiler. Was tun? "Wir wollten dem etwas Positives entgegensetzen." Die Idee für das E-Ventschau entstand, in diesem Jahr läuft das Festival im Dorf hinter Dahlenburg zum zehnten Mal. Ohne Steffen undenkbar.
Künstler kommen auf den Resthof der Familie Thiele, um am Freitag und Samstag, 2. und 3. August, zu rocken, Theater zu spielen, dazu Vorträge zum Thema Atomenergie. Der Landstrich zwischen den Ausläufern der Göhrde und der Elbe bleibt, wenn man so will, im Widerstandsmodus.
"Wir bearbeiten mehrere Baustellen", sagt Steffen. Die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl in der Ukraine 1986 wirkt bis heute fort. Abertausende Arbeiter und Soldaten mussten in verstrahlten Bereichen zupacken, um die Folgen einzudämmen. Am Anfang dienten lediglich Jod-Tabletten als Schutz. Ein tödlicher Witz. Menschen erlitten Strahlenschäden, noch heute leiden Neugeborene an den Auswirkungen der Radioaktivität. Die Lüneburger Stiftung Hof Schlüter lädt seit Jahren Kinder aus der Region ein, hier ihre Ferien zu verbringen. Spenden und Einnahmen aus dem E-Ventschau unterstützen die Arbeit, gleiches gilt für eine Kinderklinik in Fukushima in Japan.
Eigentlich ist die Verbindung Risiken der Kernkraft und Musik bei Steffen fast logisch, wenn man auf seinen Lebenslauf blickt. Er verdient sein Geld mit Musik. An der Bardowicker Straße verkauft er seit fast drei Jahrzehnten Schallplatten und CDs. Er hat als DJ im Contra Auf der Altstadt aufgelegt, eine Ewigkeit ist das her.
Das Thema Kernkraft habe ihn 1979 gepackt, erzählt der 58-Jährige. "Als ich 1979 aus der Schule nach Hause kam, lief im Radio etwas zur Reaktorkatastrophe von Harrisburg. Das war top erklärt, und mich hat das nicht losgelassen." Als es zum Unglück des amerikanischen Reaktors Three Mille Island kam und der Super-Unfall gerade noch knapp abgewendet wurde, war er 13. Fragen und Sorge blieben.
Steffen ging in Lüneburg zur Schule, er studierte Kulturwissenschaften an der Uni. Parallel verdiente er Geld mit dem Plattenhandel: "Ich habe unbekannte Sachen gekauft, und was mir nicht gefiel, ging auf Flohmärkten weg." Das Geschäftsmodell hat er erweitert. Gerade weil heute alles digital konsumiert wird, erleben Platten und CD eine Renaissance. Da ist Steffen gut sortiert: "Ich habe damals Vinyl eingelagert, und als die Nachfrage losging, war ich gut aufgestellt."
In seinem Laden stehen Regale und Kästen voller Musik. In der Stunde, in der wir quatschen, kommt ein halbes Dutzend Fans vorbei, stöbert, einer kommt aus der Nähe von Magdeburg und kauft eine Punk-Nummer von den Stranglers: "Ich komme gern her, wenn ich in Lüneburg bin. Hier finde ich immer was."
Die Zeit der Plattenläden ist vorbei, Steffen bleibt ein Unikat. Wer erinnert sich noch an Redlich und Löffler, Bohnhorst, Membran und die ehemals gewaltige Musikabteilung bei Karstadt?
Jetzt steht das E-Ventschau an. Mit zwanzig Leuten arbeiten sie unterschiedlich intensiv Monate daran. Sie hatten seit 2013 Stoppok dabei, Miss Ellie, als einen der ersten Straßenmusiker Felix Meyer. Manches lief schief, sie haben gelernt. Wer hier spielt, unterstützt eine Idee. Sie müssen trotzdem Gagen und Technik bezahlen, im Künstlerzelt stehen die passenden Süßigkeiten und Getränke. "Ohne Sponsoren wie die Sparkassen-Stiftung würde es nicht gehen."
Natürlich gibt es ein Drumherum, Stände mit Wurst und veganem Zeug, Getränke, wer will, kann übernachten. Nachmittags bieten sie etwas für Kinder an. Es ist eben auch das, was den "Widerstand" im Wendland getragen hat und trägt. Ein bisschen Anarchie, ein bisschen alternativ, dazu durchdachte Haltungen.
Das Thema Kernkraft ist nicht vorbei. Gerade in der tschernobly-geschädigten Ukraine. Auf ihrer Internet-Seite schreiben die Ventschauer: "In diesem Jahr wird besonders kontrovers über die Atomenergie diskutiert, da der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die konkrete Drohung mit Atomwaffen und der Beschuss von Atomkraftwerken uns immer wieder drastisch vor Augen führen, dass Atomenergie immer eine Bedrohung für die Menschheit darstellt."
Steffen und seine Freunde machen weiter. Es braucht sie, die Musik, das Engagement. Carlo Eggeling
Mehr Informationen und das Programm: www.e-ventschau.de
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