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Grenzgeschichte an dem ehemals geteilten Landkreis Lüneburg -

von Hajo Boldt am 04.10.2023


Eine Momentaufnahme

3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit

Grenzgeschichte an dem ehemals geteilten Landkreis Lüneburg -


1.Neu Bleckede alter DDR-Grenzturm:

Gegen 11.35 Uhr erreiche ich den letzten freien Parkplatz vor dem ehemaligen DDR-Grenzturm, von dem gerade CDU-Ratsherr und ehemaliger Bundestagsabgeordneter Eckhard Pols losfährt. Vorgestern noch als Sülfmeister im Umzug in Lüneburg aktiv mit marschiert, begibt er sich nach Darchau, auch später meine nächste Etappenstation.

Ich erinnere mich, dass den Grenzturm mal ein Berliner Opernsänger besessen hat. Ob er hier die Ruhe fand, ungestört zu singen, geht es mir durch den Kopf? Und hat man ihn auch draußen Singen gehört?

Doch zunächst ein schneller Einblick ins Turminnere im nicht unterkellerten Ergeschoss, wo ich noch das Glück habe, sofort mit der Turmbesichtigung zu starten.
Die mir nachfolgenden Besucher müssen sich allerdings in eine lange Schlange einreihen und sehr viel länger warten.
Nach Sichtung vieler Info-Tafeln und Besteigung der steilen Treppen zum Obergeschoss vorbei an den geschlossenen Schießscharten. Dann darauf aufsteigend mit nächsten Geschoss eine Belohnung durch die schöne Aussicht von oben auf Elbe und Deichvorland.

Eine Erinnerung an die deutsche Teilung und den alten Grenzverlauf des nicht mehr existierenden, meterhohen Zaunes. Ein Erinnerungsraum mit Schreibtisch und Kugelschreibern zum Aufschreiben der jetzt erlebten Gefühle und Eindrücke. Oder aus der Erinnerung einfach heraus zusammen mit Aufhängen des Zettels an einer Drahtsäule für den aktiv und passiv werdenden Besucher. Eine tolle Idee mit Sammelcharakter für weitere Grenzgeschichten.

Auch der an andere Stelle hinter den Deich versetzte, nicht mehr originalgetreue Erdbunker der DDR-Grenztruppen erfüllt jetzt die Rolle einer Ausstellungsdokumentation. Blumenfreudig und blühfreundlich getarnt erfährt man hier etwas über die ausreichend bebilderten Schwerpunktthemen: „Grenze, Sperranlagen“ und „Alltag in der Teilung“.Den Eingang verdeckt ein bisschen ein eisernes, brückenähnliches und rostfarbenes Monstrum aus Eisen, versehen mit der kleinen Aufschrift: deutsch-deutsche Grenze 1949-1989…

Genug der Grenzerfahrung? Eigentlich müsste man hier noch viel tiefer Einsteigen, doch auf der Zeitreise der Einheit drängt die Uhr mit „ schnell weiter geht‘s“.

2.Brückenfest in Darchau:

Nach dem vollen, mit einem Euro aber bezahlbaren Parkplatz auf der Wiese in Darchau bin ich froh, auch das Brückenfest schon um 13.20 Uhr erreicht zu haben. Unterwegs prasselten eine Menge von Äpfeln und Birnen auf den Alleestrassen herab, oder lagen schon dort, um vorsichtig umfahren zu werden. Zuweilen ein Volltreffer im böigen Herbstwind. Auch „hungerige“ Obst-Sammelgäste bevölkern mit Taschen und Körben versehen die Straße. Gut so für umsichtiges Fahren.
Das Brückenfest ist bereits seit einer guten Stunde im Gange. Viele Hunderte von Menschen werden später behaupten, hier gewesen zu sein.

Ich sehe beim Blick vom Deich noch die Oldtimer-Fahrzeuge der ehemaligen DDR-Grenztruppen mit Kennzeichen aus Hagenow abfahren. Sie sind also nach 33 Jahren wieder zurückgekehrt und haben die Erinnerung an die Grenztruppen wachgehalten. Aber trotzdem zieht es sie schon schnell von dannen. Mehrere Trabanten, liebevoll von Erwachsenen und Kindern Trabbi genannt, gibt es ebenso noch zu bestaunen.

Auf dem Festplatz, eine Mischung aus Kirmes und Volksfest, eine Vielzahl von Menschen, die fast alle im Gespräch sind. Man ist unter sich, redet, gut so! Oder anders besser? Vereint zusammen oder getrennt? Eine heute noch manchmal zur Diskussion gestellte Frage. Andere Ansichten gegen das Vergessen. Ein jüngeres Publikum, das die Abschottung der Grenze zum Westen nicht mehr erlebt hat. Ein Kommen und Gehen vieler und immer wieder andere Leute.

Dann der Auftritt von Thomas Boll als Sänger und Musiklehrer aus Neuhaus/Elbe. Der mit der Gitarre dargebotene Gesang vom Lemon Tree und „Isolation is not good for me“ verführt auch das Publikum zum Mitmachen. Gefolgt von Reinhard May mit „über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Heute bauen sich hier in stürmischer Weise dunkle Regenwolken auf. Boll stellt zum Lied „Über sieben Brücken musst du gehen?“ eine Frage: „Ist es von Karat oder Peter Maffay?“. Das Publikum antwortet richtig. Zuerst gesungen natürlich von Karat, der DDR Rockband im Jahre 1978. Dann sehr erfolgreich auch von Peter Maffay im November 1980 präsentiert. Mitsängerin ist auch zeitweise die Schülerin Angelina Sel aus Neuhaus. Nach „Halleluja von Leonard Cohen freut sich das begeisterte Publikum auf eine Rückkehr im nächsten Jahr. Oder vielleicht schon auf ein Wiedersehen beim Weihnachtsmarkt in Neuhaus? Das bleibt noch offen. Es gibt da wohl schon einen Auftritt in Dänemark. Gerne wird eine Brücke überschritten mit dem Motto: „Wir zeigen euch, wie es geht, seht her, die Brücke steht!“ in der Nähe des Anlegers zur Fähre.

Der mit Werbe- und Info-Stand präsente Brückenbauverein, stark vertreten u.a. mit Horst-Karl Schulze, Marlon Suhrke und Kommunalpolitiker Jörg Sohst. Sie sind weiterhin der festen Überzeugung, das die Brücke kommt. Dafür gibt es mindestens zehn gute Argumente. Auch wenn jetzt die Rot-Grüne Landesregierung in Hannover eine ganz andere Meinung dazu hat und an der Fährverbindung festhalten will. Das Thema bleibt aktuell bei einer anstehenden Podiumsdiskussion „Brückenbau“, die am 24. Oktober in der Turnhalle Neuhaus stattfinden soll.

Ein weiterer Höhepunkt: Taekwon-Do, die etwas andere Sportart des angereisten Turnvereins zu Neuhaus. Die Zuschauer bewundern hier eine asiatische Kampfkunst koreanischen Ursprungs - mit Körperbeherrschung, Willensstärke und Ästhetik.Leider muss dabei das Publikum hier zusehends eng unter großen Zeltdächern zusammenrücken. Anderswo startet das Suchen und die Zuflucht unter schützenden Vordächern der Ausstellerbetriebe. Seltener zum Glück sichtbar auffliegende Regenschirme. Sicherung gegen das Unwetter. Andere verlassen ganz den Platz, als heftige Windböen und Regen einsetzen.

Auch Dietrich Gehrke hat schon vorzeitig mit dem Multicar M21 und der Werbung des Oldtimervereins Kaarßen den Platz verlassen. Die Dieselkarre DK 2004 (kurz DK 4), ab 4. Dezember 1959 umbenannt in Multicar M21, war in den 1950er und 1960er Jahren ein beliebtes DDR Nutzfahrzeug. Er ist stolz darauf, das dieses Fest auch mit der Hilfe vom Neuhäuser Bürgermeister Andreas Gehrke, seinem Sohn, zum zehnten Mal wieder stattfinden konnte.

3.Darchau -Ehemaliger DDR-Grenzturm

Ortswechsel um 15 Uhr wieder im Trockenen bis zum nächsten Schauer zum weit abseits des Festplatzes stehenden Turm aus DDR-Zeiten. Hier kommt der Leiter vom Arche-Zentrum Konau, Holger Betz, auf 300 Besucher, die sich am Tag der deutschen Einheit den Grenzturm Darchau angeschaut haben.

Wieder Spurensuche und Besichtigung mit Treppensteigen. Ein Ausblick auf die Zeitreise des Biosphärenreservates.

Auf Grenzerfahrung war auch erstmalig hier eine Familie aus der Umgebung von Pritzier mit ihren beiden Collie-Hunden. Sie bewachten artig den Turm von draußen, während man sich drinnen umsah und staunte, wie man hier bewacht hat. Ein Blick hinaus von oben auf ein einsam auf der Elbe treibendes Boot. Und auch hier hört man den böigen Wind im Turm pfeifen und geisterhaft heulen, der Regen hinterließ Spuren der Nässe von innen unter den Metallrahmen-Fenstern. So ganz dicht waren die wohl nie…!

Holger Betz erklärt die noch leeren Spanplatten aus Holz. Hieran werden Nistkästen für ein neues Winterquartier der Fledermäuse befestigt. Der Turm ist also voll und ganz auf das Biosphärenreservat Elbtalaue ausgerichtet.

4.Lüneburg Marktplatz

Um 19.25 Uhr zurückgekehrt höre ich schon von weitem „Sag mir, wo die Blumen sind…?“ in Musik und Gesang. Dabei muss ich an dem heutigen Tag unwillkürlich wieder an den Erdbunker in Neu Bleckede denken. Da waren so viele Bodendecker und hübsch aussehende Blumen angepflanzt worden. Ein Paradies für die Bienen.

Franz Peter Schmitz,Vorsitzender des Kreischorverbandes Lüneburg, moderiert die Veranstaltung auf dem vollen Lüneburger Marktplatz. Unter Dirigentin Regina Ewe spielt und bläst der Posaunenchor des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Lüneburg Lieder, die an diesem Abend bundesweiten Anklang finden. „Oh, happy day“, dieser Tag der Deutschen Einheit.

Die Deutsche Nationalhymne mit „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland!“, ebenfalls auf dem verteilten Liederzettel darf an diesem Tag natürlich nicht fehlen.

Feierlich, stimmungsvoll und gedanklich mit Hoffnung im Kerzenschein auf Frieden in der Welt. Bei dem Gospel-Song „We shall“ …overcome someday, wird von Jan, einem ebenfalls im Publikum stehendem Lüneburger Maler, das „we shall“ betont durch das Wort „Peace“ ersetzt und gesungen.

In Lüneburg gibt es aber noch eine besondere Zugabe. Mit „Der Mond ist aufgegangen“, von dem Musiker Johann Abraham Peter Schulz komponiert nach Gedicht und Melodie von Matthias Claudius.

Zwar können die Teilnehmer diesmal nicht den Mond beim Abendlied sehen. Das verhindern wieder heranziehende Regenwolken mit leichtem Nieselregen. Und Frau Luna, den Tränen nah und mit Bogen raus freut sich über jedes zusätzliche Wasser-Tröpfchen. Die Flaggen auf dem Lüneburger Rathaus mögen den Feiertag schon viel früher beendet haben, sie wehen nicht mehr im noch vorherrschenden Abendwind. Bei mir klingt der Tag noch nachhaltig weiter: „und schreib nicht soviel, das liest sonst keiner…“, liegt mir noch irgendwie von Winfrid Machel in den Ohren.

Recht hat er, Interessierte können sich das alles ein anderes Mal selbst und vielleicht noch viel genauer und besser ansehen. Genau, auf ein Wiedersehen beim nächsten Tag der Deutschen Einheit im nächsten Jahr! Dann hoffentlich nur mit herbstlichen Sonnenschein und nicht so auf“regen“d.

Hajo Boldt

© Fotos: Hajo Boldt


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