Hilfe, wenn das Geld nicht reicht
von Carlo Eggeling am 24.01.2025Das Unternehmen Soziales
Seit drei Jahrzehnten unterstützt die Lüneburger Tafel Bedürftige. 90 Ehrenamtliche packen mit an, sonst ginge es nicht. Sie helfen, Armut etwas erträglicher zu machen
Mit einem Bollerwagen zogen die Studentinnen über den Markt, baten um Obst, Gemüse, Brot. Vorm Landgericht und bei der Drogenberatungsstelle an der Heiligengeiststraße verteilten die jungen Frauen das Essen an Bedürftige. Machten am Anfang wenige der Händler mit, überzeugte das Engagement binnen Monaten fast alle Marktbeschicker. Wer Hilfe wollte, bekam sie. Unspektakulär, aber so ist es oft, wenn Menschen zupacken für andere. 30 Jahre ist das her, es war der Anfang der Lüneburger Tafel. Sie feiert jetzt Geburtstag.
Längst ist aus der Initiative beinahe ein Sozialunternehmen geworden. Das stimmt zwar rechtlich betrachtet nicht, aber wenn man darauf schaut, was die Ehrenamtlichen leisten, sieht man eine gut durchdachte Organisation. Das muss auch sein, denn zählte die Tafel in ihren Anfängen keine zwanzig Menschen, sind es heute fast 800 Kunden, die kommen, dahinter stehen 2500 Bedürftige.
"Wir haben rund 90 ehrenamtliche Helfer", sagt Vereinsvorsitzende Konstanze Dahlkötter. Das Räderwerk muss laufen. Auch Tafel-Chefin Dahlkötter und ihre Stellvertreterin Martina van Clewe arbeiten ehrenamtlich. Konstanze Dahlkötter macht seit 2009 mit, seit beinahe zehn Jahren ist sie Vorsitzende.
"Wer zu uns kommen möchte, muss die Bedürftigkeit nachweisen", sagt sie: Rentner, Menschen, die staatliche Transferleistungen erhalten, wer wenig Krankengeld bezieht oder geringfügig beschäftigt ist, Asylbewerber und Menschen, die einen Schutzstatus besitzen. Die Kunden erhalten einen Ausweis und zahlen für ihren "Einkauf" einen Euro. Es geht auch um das Gefühl, was ich bekomme hat einen Wert und natürlich erkenne ich das an.
Über die Jahre hat sich viel verändert. Zunächst zog die Tafel mit ihrer Ausgabestelle ein paarmal um, seit Ende 1998 hat sie ihren Sitz im Im Tiefen Tal, zuvor hieß der betreffende Straßenzug Dasselkamp. Dort entstand in Zusammenarbeit mit einer Stiftung und dem damaligen Herbergsverein ein Wohnkomplex, daneben die heutige Ausgabestelle, in die sich die Tafel eingemietet hat.
An vier Tagen in der Woche von Dienstag bis Freitag 10 bis 15.45 Uhr öffnet die Ausgabe. "Die Kunden bekommen ein Zeitfenster, in dem sie kommen können", sagt die Leiterin der Tafel. In der Corona-Zeit musste die Tafel andere Wege gehen. Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, packten die Helfer Tüten mit Obst, Gemüse, Aufschnitt, Käse, Brot und Nudeln. Dabei sind sie geblieben: "Anders würden wir es gar nicht schaffen." Auf unterschiedliche Bedürfnisse hat die Tafel reagiert, die Beutel gibt es halal, vegetarisch und "mit Schweinefleisch".
Die Idee war einmal eine andere. Als die Tafel ihre Räume eröffnete, konnten die Kunden in eine Art Tante-Emma-Laden kommen und aussuchen, was sie haben wollten. Das Gefühl, Bittsteller zu sein, sollte so gar nicht erst entstehen. Damals zählten die Aktiven allerdings nicht einmal die Hälfte an Familien. Die schiere Masse zwingt zu neuen Wegen.
Die Waren, die Mitglieder mit einem Kleintransporter aus Zentrallagern der Edeka und von Rewe holen, dazu von Lebensmittelproduzenten und Lebensmittelgeschäften, passen gar nicht mehr in ihre Räume Im Tiefen Tal, sie haben ein Lager in der Arenskule gemietet. Das klingt üppig, ist es aber nicht: "Im Moment haben wir genug zum Verteilen, aber das ist nicht immer so."
Wichtig ist den Tafel-Leuten, dass sie nicht dazu da sind, "Kühlschränke zu füllen, wir bieten eine Ergänzung". Das müssen sie manchen ihrer Kunden erklären. Die dächten, die Tafel sei eine staatliche Einrichtung. In manchen Ämtern werde die Ausgabe empfohlen mit dem Unterton: "Wenn es nicht reicht, gehen Sie zur Tafel." Die Helfer rücken das grade, die meisten der Kunden verstünden den Ansatz und seien dankbar. "Wir lassen niemanden ohne Lebensmittel gehen", sagt Konstanze Dahlkötter. Das kann nicht jede Tafel leisten: "Bei 30 Prozent der Tafeln gibt es einen Aufnahmestopp."
Armut ist Alltag im reichen Deutschland. Dazu kommt, dass Supermärkte ihren Warenbezug besser planen und es andere gibt, die ebenfalls Lebensmittel sammeln und verteilen.
2023 zeichnete der Bürgerverein Konstanze Dahlkötter mit dem Ehrenring aus -- stellvertretend für die anderen, die sich einsetzen. Die Tafel ist ein guter und inzwischen selbstverständlicher Teil Lüneburgs. Etwas zu selbstverständlich, denn es müssen sich eben Menschen für andere einsetzen.
Konstanze Dahlkötter und ihr Vorstand wollen sich zurückziehen, im Herbst stehen Wahlen an. Nachfolger gesucht. Es sei einiges an Arbeit, sinnvoll sei es, wenn sich ein Zweier-Team zusammenfände, um die Arbeit und zudem Akquise, den Kontakt zu Sponsoren und sozusagen gesellschaftliche Termine wahrzunehmen, beschreibt Konstanze Dahlkötter das Spektrum. Neben einem normalen Job sei für einen allein schwer zu bewältigen. Selbstverständlich bietet sie an, ihre Nachfolger einzuarbeiten.
Eins ist sicher, die Tafel, die 1995 zu den ersten zehn in Deutschland gehörte, wird weiter gebraucht. Herzlichen Glückwunsch zum 30. und auf die Zukunft. Carlo Eggeling
Wer mehr erfahren möchte: www.lueneburger-tafel.de und 04131 402180.
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