Im Osten geht die Sonne auf
von Carlo Eggeling am 07.09.2024Meine Woche
Change im Osten
Es liegt vermutlich am Osten, der scheint in großen Teilen rechts zu wählen. In Thüringen und Sachsen hatten die Splitterparteien SPD, Grüne und FDP wenig Chancen, die Liberalen kratzen an der Grenze des Messbaren. Es muss der Osten sein. Denn wenn Sie auf die Europawahl vor ein paar Wochen blicken, stellen Sie fest, im Lüneburger Osten ist es nicht anders: In Kaltenmoor verbuchte die AfD in Wahllokalen ebenfalls zwischen 25 und mehr als 30 Prozent der Stimmen, SPD und CDU kamen jeweils auf gut 13 und die Grünen auf sieben Prozentpunkte. FDP, war das was? Und das in einem Viertel mit mehr als 10 000 Menschen, welches eine Zuwanderungsquote aufweist wie wohl kein zweiter.
Zerknirscht reagiert allerdings kaum einer aus der lokalen Politik. Wer wohnt da schon? Anders als in Berlin sind keine Sätze zu hören wie: Wir müssen unsere Politik besser erklären. Was im Umkehrschluss bedeutet, die Menschen sind zu blöd zu erkennen, was gut für sie ist. Es fällt einem die Erkenntnis des widersprüchlichen DDR-Dramatikers Bert Brecht ein, etwas modifiziert: "Das Volk hat das Vertrauen der Parteien verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Parteien lösten das Volk auf und wählten ein anderes?"
Die Analyse könnte in den Lüneburger Ostgebieten zu ähnlichen Ergebnissen führen wie in den ehemals neuen Bundesländern, Leute fühlen sich abgehängt und überfordert. Wo sind Kümmerer wie der verstorbene Herbert Brock und Werner Pietrzyk geblieben, die für ihren Stadtteil kämpften, deren Stimme in Parteien und im Rathaus gehört wurde? Wie eingebunden waren die Bürgervertreter jetzt, als es um den Tod des geplanten Stadtteilzentrums in Kaltenmoor ging? Kaum bis gar nicht, heißt es aus dem Quartier.
Mal sehen, wie sich Politik und Verwaltung für die Frage des Kaufs der 900 Vonovia-Wohnungen einsetzen, was sie zu den zumindest anzweifelbaren Energiekosten der Avacon sagen. Selbst der Bundesverband der Verbrauerzentralen stellt das Gebaren des Heiz- und Stromlieferanten in Sachen Fernwärme infrage.
Aber vielleicht passt die handfeste soziale Frage nicht zur Bionade-Bourgoisie, die mit Haus im Grünen, E-Volvo und E-Lastenrad für viereinhalbtausend Euro anderswo unterwegs ist.
Auf den Fluren des Rathauses erzählt man sich vom nächsten Abgang, ein Kollege aus der Kämmerei soll zum Landkreis wechseln, zu Kreisrat Rainer Müller, der vor ein paar Monaten ebenfalls aus dem Rathaus zum Kreis ging. Schon wieder einer. Aber eigentlich läuft alles rund, heißt es immer, wenn man mal nachfragt. Wie auch immer, Verwaltung muss wie viele andere Arbeitgeber auch um Personal ringen.
Nun hat die Rathausspitze zur Party eingeladen, eine gute Idee, die andernorts selbstverständlich ist, um das Miteinander zu pflegen. 20 000 Euro soll das gekostet haben, rund 600 Beschäftigte seien gekommen, habe ich der LZ entnommen. Also gut 30 Euro pro Nase. Dort herrscht Empörung, es gehe um Steuergelder. Der Haushalt weist ein Minus von fast 50 Millionen auf.
Wirklich schlimm. Ich habe drei Jahrzehnte für die LZ gearbeitet, ich kann mich an Weihnachts- und Betriebsfeiern des Verlages erinnern, die mutmaßlich pro Mitarbeiter gerechnet teurer ausgefallen sind. Wurden da das Geld der Leser verprasst? Wenn Sparkasse oder andere Banken das Personal einladen, finanziert das der Sparer mit seinen Gebühren?
Statt Party-Schelte steht eher die Frage an, ob die Stadt nicht viel zu wenig für ihre 1700 Kollegen tut, um eben zufriedene Mitarbeiter zu begrüßen und zu halten. Dem Vernehmen nach, haben Interessenten abgesagt, nachdem sie sich Büros und Ausstattung angesehen haben. Dazu kommt eine Führungskultur, die nicht nach zugewandt und entschlussfreudig klingt.
Aber kann sich ändern, an der obersten Spitze steht eine nach eigenem Bekunden versierte Change-Expertin. Ob die sich mit dem Thema beschäftigt, warum von den 1700 Mitarbeitern 1100 nicht gekommen sind?
Womit wir wieder beim Anfang wären. Change braucht es auch in Kaltenmoor und anderen Stadtteilen. Ansonsten wächst sich der Osten immer weiter in den Westen aus. Sich an den Händen halten und gegenseitig zu versichern, dass die anderen nur zu dumm zum Verstehen sind, könnte die vermeintlich Guten am Ende ganz dumm aussehen lassen. Carlo Eggeling
Eine Korrektur:
Ich habe eine Zahl geändert. Nicht 900, sondern 1100 Mitarbeiter sind nicht gekommen. Sorry.
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