In Lüneburg ist der Mangel noch gering
von Carlo Eggeling am 18.09.2024So klingt es, wenn eine Arztpraxis SOS funkt: "Nun schließt in diesen Tagen (auch für uns völlig überraschend) eine große Praxis in der Nachbarschaft. Deren Patienten können die benachbarten Praxen, die alle schon am Limit laufen, nicht alle übernehmen. Jüngere und mobile Patienten werden sich deshalb auch im weiteren Umfeld umsehen müssen. Wir werden daher vorrangig ältere Patienten, die nicht mehr Auto fahren und unbedingt hier vor Ort betreut werden müssen, nach und nach mit aufnehmen, soweit uns das möglich ist."
Jeder, der sich um einen Arzttermin bemüht, weiß, dass es dauert. Die Lage dürfte sich verschärfen, da zwei Hausarztraxen in Lüneburg auf dem Kreideberg und im Roten Feld in den kommenden Wochen schließen, Nachfolger scheinen nicht in Sicht. Gleichwohl gilt Lüneburg statistisch betrachtet bei Hausärzten als bestens versorgt, das ergibt sich durch einen Blick auf in ein landesweites Zahlenwerk der Kassenärztlichen Vereinigung, der Versorgungsgrad liegt bei 115,8.
Dass zwischen Statistik und Wirklichkeit eine große Lücke besteht, ist auch Oliver Christoffers klar. Der Lüneburger Geschäftsführer der KVN weiß selbstverständlich, dass Patienten Geduld und Zeit brauchen, bevor sie zur Behandlung kommen können. Das gilt für Fachärzte ebenso wie für Hausärzte. Das niedersachsenweite Problem des Mangels der Hausärzte treffe Lüneburg eher mild: 500 Sitze seien nicht besetzt, in Lüneburg sind es 1,5.
"Wir weisen seit zwanzig Jahren auf den drohenden Mangel hin", sagt Christoffers. Es gebe zu wenig Studienplätze für Mediziner, und es würden nicht genug neue geschaffen. Besserung lässt auf sich warten: Für Studium plus Facharztausbildung kann man durchschnittlich zehn Jahre veranschlagen. Überdies unterliegt das Studium dem Numerus Clausus, in den meisten Bundesländern bedeutet das ein Einser-Abitur. Doch das alleine reicht nicht, es kommt ein Auswahlverfahren dazu.
"Lüneburg ist noch gut versorgt", sagt der Geschäftsführer. Denn guckt man beispielsweise nach Lüchow, liegt der Wert für Hausärzte bei 31,5. "Bewerber stehen generell nicht Schlange, die können sich aussuchen, wo sie hingehen." Faktoren etwa für junge Ärzte mit Kindern liegen auf der Hand: Gibt es ausreichend Kita-Plätze, wie schaut es mit weiterführenden Schulen aus? Kultur, Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten und die Nähe mit dem Angebot einer Großstadt wie Hamburg spielen eine Rolle.
Dazu kommen wirtschaftliche Faktoren. Wenn ein alter Doktor seine Praxis abgegeben wolle, halte er die Ausstattung für wertvoll, doch ein junger Arzt könne zu einem anderen Schluss kommen, sagt Christoffers. Da würden sich die Mediziner im Zweifel nicht handelseinig. Trotzdem bleibt der KVN-Geschäftsführer für Lüneburg bedingt optimistisch: "In der Regel findet sich bei den Hausärzten nach einer gewissen Zeit jemand, der einen Sitz übernimmt." Der Kreideberg beispielsweise sei aufgrund des Einzugsgebiets interessant.
Auf alle Fachrichtungen betrachtet, werde sich der Mangel verschärfen, gerade für Neurologen und Rheumatologen gelte diese aktuelle Einschätzung. Die Prognose: "Wir ziehen die Tischdecke von links nach rechts, doch die Löcher werden größer."
Da es viele Zuwanderer gibt, davon auch Frauen und Männer, die Mediziner sind, könnten die helfen, die Lage zu entschärfen. Doch das sei schwierig. Sie müssten unter anderem nachweisen, dass sie ausreichend Deutsch sprechen können, auch Abschlüsse müssten anerkannt werden: "Die Hürden sind hoch." Klingt danach, dass die Politik neue Akzente setzen muss. Carlo Eggeling
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