Lüneburg, am Montag den 18.08.2025

Infarkt im Gesundheitssystem

von Carlo Eggeling am 29.12.2023


Eine Einweisung ins Krankenhaus für eine besondere, eher seltene Untersuchung, da denkt man, alles klar. Doch so einfach ist das nicht unbedingt. Das Städtische Klinikum lehnte es ab, den Patienten stationär aufzunehmen, die Untersuchung sei ambulant möglich. Allerdings war eine der ersten Fragen: "Sind Sie privat versichert?" In einem kommunalen Krankenhaus. Am Telefon gab es den Hinweis auf Kollegen im Roten Feld. Ein paar Anrufe, ohne durchzukommen, dann eine Mitarbeiterin, die erklärt, nein, man könne keinen Termin vergeben. Schließlich fand sich über eine private Verbindung ein radiologisches Zentrum in Hamburg-Bergedorf, dort klappte es. Formal alles richtig, ergab eine Nachfrage bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Klinik und KV sind sich einig: kein Einzelfall und ein Beispiel dafür, wo das Versorgungssystem an seine Grenzen stößt.

Es ist zwar inzwischen sehr in Mode, aber sehr lange galt der Grundsatz: Journalisten schreiben tunlichst nicht über sich selbst, es gibt immer jemanden, an dem man beispielhaft ein Problem schildern kann. Es geht um die nötige Distanz. Ich mache in diesem Fall eine Ausnahme, denn der Patient bin ich. Über die nötige Distanz entscheidet der Leser.

Die Geschichte: Mit 45 hatte ich meinen ersten Herzinfarkt, ich habe damals in Hamburg vier Bypässe bekommen. Vor drei Jahren kam der zweite Infarkt, der war knapp, zweimal hat mich ein Oberarzt des Klinikums mit einem Defi zurückgeholt, in zwei Etappen bekam ich drei Stents. Vor drei Monaten begann ein Ziehen in der Brust samt Druck im Kopf. Ich bin zu meinem Internisten gegangen, der alle halbe Jahr einen Herzcheck mit mir macht.

Ergebnis: ein Herzkatheter im Klinikum. Wieder war der Oberarzt, mein Lebensretter, für mich zuständig. Ich habe einen weiteren Stent erhalten. Ansage beider Ärzte: Kann sein, dass sie weiter Symptome haben, Verengungen in den feinen Koronargefässen. So ist es gekommen. Die neuen Medikamente, die nun einnehme, verbessern den Zustand nicht wirklich.

Erneut zum Internisten, Einweisung ins Klinikum: "Myokard-Szintigrafie erforderlich". Einfach erklärt injziert ein Arzt einen radioaktiven Stoff, der ins Herz transportiert wird. Eine Röntgenuntersuchung zeigt, ob es in den Herzkranzgefäßen Verengungen gibt. Der erste Versuch für eine Röntgenaufnahme wurde abgebrochen. Ich sollte durch Radfahren eine Herzbelastung von 85 Prozent erreichen, bei etwas über 70 war Schluss. Der Arzt sagte: "Wir wollen nicht, dass Sie hier einen Infarkt erleiden." Zweiter Versuch zehn Tage später unter Medikamenten, welche die Belastung simulieren. Für eine Kontrolle war eine weitere Aufnahme war erforderlich, quasi im Ruhezustand. Weiterer Termin. Ergebnis am Ende: eine Einweisung nach Bad Bevensen. Diagnose: weitere Untersuchung, eventuell ein Eingriff.

Doch warum lehnte das Lüneburger Klinikum die spezielle Nuklearuntersuchung trotz der Einweisung des Internisten ab? Der Ärztliche Direktor des Hauses, Prof. Dr. Torsten Kucharzik, und Verwaltungsleiterin Undine Wendland versuchen, die Lage zu erklären. "Wenn wir so eine Einweisung bekommen, müssen wir den Fall prüfen", sagt Kucharzik. Für diese Untersuchung bedürfe es keiner stationären Aufnahme: "Machen wir es trotzdem, sagt uns der Medizinischen Dienst der Krankenkassen: 'Das bezahlen wir nicht.'"

Das Haus an der Bögelstraße besitze bei den gesetzlichen Kassen keine Zulassung für ambulante Dienste, von den privaten Kassen würden bestimmte Leistungen hingegen übernommen: "Das kann man kritisch hinterfragen." Aber es ändere nichts an der Situation. Undine Wendland ergänzt, um Kosten im Gesundheitssystem zu reduzieren, gehe die Tendenz dahin, möglichst viele Untersuchungen und Eingriffe von ambulanten Praxen erledigen zu lassen.

Allerdings hake es dort, so die Einschätzung der beiden. Denn die ambulanten Kollegen könnten viele Leistungen nicht oder nur mit Wartezeiten erbringen: "Es gibt eine Versorgungslücke." Das gelte eben nicht nur für die spezielle nuklearmedizinische Herzuntersuchung, sondern auch für andere Problematiken. Da liegt die Schlussfolgerung nahe, es ist ein Fehler im System. Prof. Kucharzik sagt es diplomatisch: "Die Politik macht es uns in diesem Übergangsbereich nicht gerade leicht."

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Lüneburg ist Oliver Christoffers nicht weit weg von dieser Position. "Es hakt." In einigen Bereichen gebe es nicht genug niedergelassene Mediziner, das gelte gerade für Hausärzte: "In den Kreisen Uelzen, Lüchow-Dannenberg und Harburg sind Sitze frei, und das Problem wird sich verschärfen." Eine Zahl im vergangenen Juli waren 523 Hausarztpraxen in Niedersachsen nicht besetzt.

Zu meiner Untersuchung erklärt Christoffers, das Krankenhaus habe richtig gehandelt: "Das Klinikum hat keinen Vertrag für diese ambulante Leistung." Das Verfahren werde zudem selten angewandt, nicht einmal alle Nukelarmediziner erbrächten diese Leistung, dafür bedürfe es einer besonderen Qualifikation.

Zurück zum Grundsätzlichen. Für die medizinische Versorgung einer Region gebe es eine Bedarfsplanung, die sich an der Zahl der Einwohner orientiere, dementsprechend gebe es Zulassungen für niedergelassene Fachärzte. Der Eindruck, den viele haben: Einen Termin zu bekommen, dauert zumeist eine halbe Ewigkeit. Woran liegt das? Ist das Land kranker geworden?

Kurz zusammengefasst: ja. Untersuchungen und Erfahrungen zeigten dies, sagt der Geschäftsführer. Die sogenannten Babyboomer, also Menschen, die in den 1960er Jahren geboren sind, seien viele, sie kämen in ein Alter, in dem die Gesundheit eher Probleme mache, dramatische Folgen könne es später haben, wenn es um Pflege gehe. Zudem sei zu beobachten, dass Menschen eher zum Arzt gingen, auch mit Kleinigkeiten: "Auf einer Rangliste liegt Deutschland auf Platz 3."

Andererseits gebe es einen anderen Blick auf bestimmte Leiden, ein Beispiel seien seelische Erkrankungen. Betroffene gingen offener damit um und suchten sich eher Hilfe.

Klinik und KV liegen in ihrer Einschätzung nicht weit auseinander. Ob die Krankenhausreform, die der Gesundheitsminister plant, reicht, halten viele Mediziner und Beschäftigte im Gesundheitssystem für fraglich. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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