Lüneburg, am Donnerstag den 01.05.2025

Kalkuliert aufgeregt

von Carlo Eggeling am 13.04.2024


Meine Woche
Windig

Wenn es um den Wald geht, wird man in Deutschland gern sentimental. So wie der Schriftsteller der Romantik, Joseph von Eichendorff: "O schöner, grüner Wald, /Du meiner Lust und Wehen/ Andächt′ger Aufenthalt! /Da draußen, stets betrogen, /Saust die geschäft′ge Welt, /Schlag noch einmal die Bogen /Um mich, du grünes Zelt!"

Wind bis Sturm war zu erahnen, als der Stadtrat vor sechs Wochen mit 35 Ja- und drei Nein-Stimmen sowie drei Enthaltungen beschloss, dass er bereit ist, Wald gegen Windräder zu tauschen. Allein das Ergebnis zeigt, auch Kollegen aus CDU und SPD müssen das Projekt der Oberbürgermeisterin unterstützt haben. Der Tann steht auf dem Gebiet Deutsch Everns und gehört einer städtischen Stiftung.

Die unbedingt nötige Energiewende ist zumeist da doof, wo sie vor der eigenen Tür anlangt. Protest, Umweltschutzorganisationen reihen sich ein. Claudia Kalisch kann also Rückenwind gebrauchen. Sie lud die Lüneburger Kreistagsabgeordneten ins Rathaus ein. Ein bemerkenswerter Vorgang, passierte selten bis nie in der Vergangenheit. Der Hintergrund: Der Kreis macht Vorgaben und muss darüber befinden, wo und wann Propeller quirlen dürfen. Für diese Fläche bestehen vier Varianten: zwei sagen gar nicht, eine ja, geht, die vierte: ja, aber später. Wenn die Stadt, wie beschlossen, also über den Bauernverband als Partner und Investor luftige Energie erzeugen möchte, sollte sie die Kreispolitik auf ihre Seite ziehen.

Jetzt bläst der Oberbürgermeisterin und ihren Parteifreundinnen rauher Wind entgegen. Die Vorfeldorganisationen der Grünen standen am Mittwoch vorm Rathaus und protestierten: Wald könne man nicht zugunsten von Windrädern opfern; der sei ein eigenes Öko-System, ein CO2-Speicher. Demonstranten sagten: Sie seien enttäuscht, überlegten, ob es die richtige Entscheidung gewesen sei, grün zu wählen.

Inzwischen haben die in der Stadt eher kuscheligen Schwarzen und Roten im Rat auch durch externen Rat erkannt, dass Politik etwas mit Strategie zu tun hat, wenn man Punkte machen möchte. So spazierten die hiesigen SPD- und CDU-Kreistagsabgeordneten nicht ins Rathaus, zum einen, weil sie es klasse finden, dass Grüne und ihre Freunde sich nicht grün sind. Zum anderen weil sie wollen, so heißt es aus den Fraktionen, dass sich der Kreistag mit dem sogenannten Raumordnungsprogramm und dessen Folgen beschäftigt.

Frau Kalisch erkennt wohl den drohenden Windbruch. Sie sagte, sie sei zwar für den Windpark, aber es sei nichts entschieden. Es gebe lediglich einen Prüfauftrag des Rates. Was nicht stimmt, so weiß man es in der Verwaltung, da bereits naturschutzrechtliche Untersuchungen laufen. Noch einmal die Oberbürgermeisterin: Es könne sein, dass alles nichts wird, die Entscheidung liege ja beim Kreis.

Es geht anders. In der Runde der Samtgemeindebürgermeister lächelt man über diese Aussage. Die altgedienten Verwaltungsprofis, die die Oberbürgermeisterin bereits seit ihrer Amelinghausener Zeit kennen, sagen: "Verwaltungswissen. Gemeindeöffnungsklausel Paragraph 245." Das bedeutet, die Gemeinde Deutsch Evern könnte bei der Samtgemeinde Ilmenau quasi beantragen, das Areal für Windräder auszuweisen. "Wir würden uns dem Wunsch nicht verschließen", sagt Samtgemeindebürgermeister Peter Rowohlt. "Dann muss der Kreis gar nichts ausweisen." Melbeck gehe diesen Weg bei einem Kiefernwald Richtung Bienenbüttel: "Da gibt es keinen Protest." Es handle sich um Wirtschaftswald, genauso wie in Deutsch Evern.

Die einen sagen so, die anderen so. Marianne Temmesfeld, erfolgreiche Kämpferin gegen den Coca-Cola-Brunnen und Vorsitzende der BI Unser Wasser, spricht auf Nachfrage von Mikroklima, Biodiversität, Grundwasserneubildung; es sei "kein wertloser Wald, da ist viel Laubwald dazwischen".

Bei SPD und CDU im Rat, die wie gesagt für den Windpark gestimmt haben, gehen die Meinungen inzwischen auseinander. Neben Attacke gegen die Grünen sagen andere: "Es geht ums Geld." Der Bauernverband als Betreiber würde eine anständige Pacht zahlen, angesichts des klammen Haushalts nicht zu verachten. Ähnliche Überlegungen soll es in Deutsch Evern geben.

Abwarten. Wie wär's noch einmal romantisch waldig-wolkig mit Eichendorff: "Da draußen, stets betrogen, /Saust die geschäft′ge Welt, /Schlag noch einmal die Bogen /Um mich, du grünes Zelt!"

Eine Posse durfte der Rat vergangene Woche erleben. Die Lünepost beschrieb es als "kalkulierte Eskalation". Alt-OB Mädge saß im vergangenen Herbst bei einer Feier Gerhard Schröders mit am Tisch. Der ehemalige Kanzler stieß in Hannover auf 60 Jahre Mitgliedschaft in der SPD an. Daran war nichts geheim, Mädge war damals in einem Fernsehbeitrag zu sehen. Also eigentlich nix Neues. Doch nun will die Bundeswehr ein Gelöbnis auf dem Markt feiern. Seitdem die vom Krieg verwüstete Ukraine gefühlt 17. Bundesland ist, haben viele ihre Position zur Armee verändert.

Einer wie der Grüne Ulrich Blank und etliche seiner Parteifreunde. Die standen vor dem Februar 2022 regelmäßig auf dem Markt, wenn die Bundeswehr dort feiern wollte mit der Botschaft: Soldaten gehörten in die Kaserne. Schwerter zu Pflugscharen, prägte bei der Parteigründung die DNA der Grünen, heute scheint man eher zu empfehlen Pflugscharen zu Schwertern.

Zitat aus der Lünepost:
Bedeutungsschwanger sprach der Fraktionschef (Ulrich Blanck) von einer heiklen Angelegenheit, die ihm vor der Sitzung über Social Media zugespielt worden sei. Denn in der aktuellen NDR-Doku zum 80. Geburtstag des umstrittenen Altkanzlers und Putin-Freund Gerhard Schröder sei auch Kalischs Amtsvorgänger Ulrich Mädge (SPD) aufgetaucht. Blanck: „Es fällt mir unglaublich schwer zu akzeptieren, dass Ulli Mädge an einer Feier mit Schröder teilgenommen hat. Wie sollen sich denn da die Rekruten fühlen, die diesen Eid leisten sollen auf das Vaterland? Wenn sie wissen, dass jemand, der Lüneburg 30 Jahre regiert hat, sich mit einem Putin-Freund trifft?“

Vaterland. Wow. Aber wie sollen sich Rekruten fühlen, die von ehemaligen grünen und Blanckschen Protesten erfahren? Nun war es Mädge, der als ehemaliger Soldat in seiner Zeit regelmäßig trotz Demos zur Bundeswehr und ihren Gelöbnissen stand. Davon ab, warum sollte Mädge als Privatmann nicht wie andere Genossen wie Wolfgang Jüttner, Sigmar Gabriel, Otto Schilly und Herbert Schmalstieg zu seinem Freund Schröder fahren, mit dem er in dessen Zeit als Ministerpräsident einiges für Lüneburg angeschoben hat: Kaserne zur Uni, Krankenhaus-Ausbau zum Beispiel.

So plötzlich kann die grüne Empörung übrigens nicht gewachsen sein. Aus dem Rathaus wurde mindestens eine Redaktion angerufen. Man solle unbedingt am Nachmittag kommen. Es gebe einen Skandal. Man möge auf eine bestimmte Seite im Netz schauen, die sich rühmt, dass sie nichts mit Journalismus zu tun habe.

Nachfrage im Rathaus. Man dürfe Oberbürgermeisterin Kalisch so zitieren: "Nein, solche Anrufe hat es nicht gegeben. Mich hat der Fraktionsvorsitzende der Grünen zu Beginn der Sitzung informiert, dass er das Thema ansprechen möchte. Ich bin froh, dass wir uns dann darauf einigen konnten, dies nicht unter dem Tagesordnungspunkt Seniorenbeirat zu tun, für den Herr Mädge von den Delegierten gewählt wurde. Dies hätte die Wahl beschädigt."

Es scheint ein Eigenleben zu geben, denn aus der Redaktion wiederum heißt es, Frau Kalisch war es nicht, aber der Anruf sei aus ihrem engstem Umfeld gekommen. Noch eine Nachfrage im Rathaus. Mein Text: "Ist es richtig, dass Herr XY vor der Ratssitzung in einer Redaktion angerufen hat mit dem Hinweis: Man möge mal beim Kanal XY schauen, da gebe es etwas zu Mädge. Das werde ein Thema im Rat werden, das solle man auf keinen Fall verpassen?" Keine wirkliche Antwort, der Kollege habe Urlaub.

So funktioniert Politik. Lehrbuchhaft. Ablenken von sich selbst, den anderen anzählen. Der Kollege der Lünepost hat es gut beschrieben: kalkulierte Eskalation. Entspanntes Wochenende, parteiübergreifend. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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