Kritik ist doof
von Carlo Eggeling am 10.05.2025Meine Woche
Bei Hofe
Dem französischen Philosophen Voltaire, der im 18. Jahrhundert lebte, wird ein Satz zugeschrieben, der für Meinungsfreiheit und Demokratie steht: „Obwohl ich völlig anderer Meinung bin als Sie, würde ich mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Im Lüneburger Rat sieht man das anders. Da will sich eine Mehrheit nicht einmal anhören, was -- ich weiß, es ist kommunal betrachtet der falsche Ausdruck -- die Opposition zu sagen hat. Der Grüne Kai Herzog forderte, man möge einen Antrag der SPD von der Tagesordnung nehmen, kurz, was die Sozis wollen, sei falsch und angeblich nicht rechtskonform, also mögen sie schweigen.
Es ist einerseits verständlich, dass die Fraktion ihrer grünen Oberbürgermeisterin beispringt und eine Debatte abwürgt, andererseits stellt sich die Frage, wo es endet, wenn unangenehme Themen schon im Vorfeld abgeräumt werden. Es könnte ja sein, zwar fast unvorstellbar, dass der oder die nächste OB ein anderes Parteibuch besitzt und die Grünen oppositionelle Attacke fahren möchten. Soll die nächste Mehrheit den Grünen ihr Anliegen auf gleiche Art abräumen?
In einer langen Stellungnahme erklärt die Verwaltung, warum der Antrag der SPD rechtlich völlig daneben liegt. Dass die Verwaltung so argumentiert, ist nachvollziehbar. Wer lässt sich schon gern zu mehr Offenheit und Machtverlust zwingen? Ob die Position allerdings in der Form haltbar ist, könnte man überprüfen.
Da es der SPD bei ihrem Antrag um mehr Einfluss durch den Rat geht, wäre es naheliegend, dass eben der Rat den Kollegen zumindest die Möglichkeit gewährt, ihre Ideen zu präsentieren.
Doch dieser Rat hält nicht viel davon, stark zu sein und seine Aufgabe als Kontrollorgan der Verwaltung und deren konstruktiver Auftraggeber wahrzunehmen. Die rebellischen Zeiten, die gerade die Grünen unter König Ulrich lebten, sind unter Königin Claudia vergessen. Die Verwaltungsspitze wird's schon richten.
Der SPD ging es nach den nicht gerade vorbildlich gelaufenen Einstellungen leitender Funktionen im Bereich Kultur und Soziales darum, mehr Transparenz zu erhalten. Wer bewirbt sich, welche Qualifikationen bestehen, gibt es auch Negatives in der Vita? All das hatte das Auswahlgremium um die Oberbürgermeisterin zumindest nicht vollständig vorgelegt. Das schadet den Kandidaten, das schadet aber auch Politik und Stadt.
Die Folge war, dass eine einfache Recherche im Internet von Lüneburg aktuell und entsprechende Berichte zu einer furchtbaren Indiskretion hochgejazzt wurden. Ich hätte einen Maulwurf in geheimen Runden. Das ist für einen Journalisten zwar ein Lob, aber Blödsinn, man muss nur mit Akteuren in verschiedenen Parteien telefonieren, um sich ein Bild zu machen. Davon ab: Maulwürfe sind nützliche Tiere. Gut für den Boden, gut gegen Schädlinge. Ökologisch wertvoll, müsste gerade den Grünen sehr gefallen.
Der Grüne Herzog meinte jedenfalls, das Internet liefere falsche Darstellungen und das Internetportal liege falsch. Na ja, Zitate renommierter Zeitungen und von Seiten eines Grünen Kreisverbandes sind schon fake news?
Man findet viel Wahres. Zum Beispiel, dass das grandiose Zitat Voltaires, der zwar ähnliches geschrieben hat, gar nicht von ihm stammt, sondern von der britischen Autorin und Voltaire-Biografin Evelyn Beatrice Hall. Sie soll die Worte 1906 dem Denker in ihrem Buch „The Friends of Voltaire“ zugeschrieben haben.
Da hätte man also viel über die Kandidatinnen finden können, und einen Informationsanspruch der gewählten Abgeordneten möchte doch niemand infrage stellen, oder?
Die SPD hat sich allerdings selbst unter Druck gesetzt. Sie muss handeln. Sonst ist es so peinlich wie im Freibad, wo ein cooler Typ ankündigt vom Fünfer zu springen, aber dann wieder nach unten klettern will.
Nachdem die Oberbürgermeisterin die Partei und ihre Ratsfrau Andrea Schröder-Ehlers ohne sie konkret zu bezichtigen, aber indirekt als Plaudertasche einer vertraulichen Runde und damit als unzuverlässig und hinterhältig in ein zweifelhaftes Licht gerückt hat, hat die Fraktion eine "rechtliche Prüfung Ihres unwürdigen Verhaltens veranlasst, weil wir sowohl strafrechtliche wie auch disziplinarrechtliche Aspekte in Ihrem Handeln sehen". Frau Kalisch gab sich im Rat unbeeindruckt.
Dahinter geht es nicht mehr zurück. Die Partei muss einen Anwalt in Marsch setzen, üble Nachrede ist ein Aspekt, mögliche Tatsachenbehauptungen ohne eindeutige Beweise ein anderer. Darüber hinaus wäre durch die Kommunalaufsicht zu prüfen, ob die Oberbürgermeisterin sich überhaupt in dieser Weise im Rat äußern darf und warum weder der Rechtsdezernent noch die Ratsvorsitzende eingeschritten sind. Darüber hinaus liegt nahe, in Hannover prüfen zu lassen, ob es tatsächlich im Sinne der Kommunalverfassung ist, dass eine Mehrheit unliebsame Anträge von der Tagesordnung nehmen kann. Was im übrigen nicht clever ist, weil man den politischen Gegner reden lassen kann, um ihn im Anschluss zu überstimmen.
Was hier wieder erstaunt, ist, dass Fraktionsvorsitzende sich derart unterwerfen wie bereits im Verfahren der neuen Sozialdezernentin, als Vertrauliches bei Lüneburg aktuell nachzulesen war. Da hatten drei Fraktionen als Ergebenheitsadresse stolz erklärt: "Wir haben nicht gepetzt." Wie kann man das machen als Verteter der Bürger der Stadt, als Souverän? Eines der großes Geheimnisse eines politischen Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins. Ist das am Hofe der Königin und bei Herzögen gang und gäbe? Und weil die SPD keine Erklärung abgegeben hat ist sie der Schurke?
Bleiben wir heiter und denken angesichts dieser Tage an den britischen Kriegspremier Winston Churchill: „Manche wechseln ihre Partei um ihrer Prinzipien willen – andere ihre Prinzipien um ihrer Partei willen.“ In diesem Sinne glauben wir an das Prinzip Hoffnung. Carlo Eggeling
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