Lüneburg, am Montag den 18.08.2025

Lieber wegwischen

von Carlo Eggeling am 28.10.2023


Meine Woche

Lehre. Leere

Ich finde das Stupa der Universität klasse. Wenn den Jung-Akademikern etwas nicht gefällt, machen sie es so wie bei Filmchen auf dem Handy: wegwischen und was anderes. Die Interessenvertretung der Studenten findet Richard David Precht doof, weil der etwas Falsches über Juden erzählt hat, deshalb solle die Uni ihn rausschmeißen.

Intellektuell betrachtet, scheint es ein wenig schlicht zu sein, denn wo bleibt die Diskussion? Wie wäre es, Precht einzuladen ins Audimax und ihn da zu stellen, zu zeigen, dass er doch nicht so allwissend ist, wie er sich gibt. Ich wäre überdies gespannt, wie gut sich der Forschernachwuchs auskennt in jüdischer Geschichte, in Traditionen und Positionen. Das wäre gerade jetzt spannend, wo die Fridays-For-Future-Ikone Greta Thunberg sich als antisemitisch zeigt. Protestmärsche gegen Greta sind in Lüneburg sicher geplant. Wenn nicht, man kann sich nicht um alles kümmern. Sei's drum.



Es gab Zeiten, da fühlten sich Hochschulen der Aufklärung verpflichtet, zweieinhalb Jahrhunderte her, das Ziel: Jeder Mensch sollte seinen Verstand gebrauchen und sich so aus seiner eigenen Unfreiheit befreien. Voltaire, dem Philosophen und großem Denker des 18. Jahrhunderts, wird ein Satz zugeschrieben: "Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst." Nun hat der Franzose, der 1750 am Hofe des preussischen Königs lebte, den Satz wohl so nicht gesagt, aber doch in ähnlicher Form trat er für Meinungsfreiheit ein. Unerhört in Zeiten des Absolutismus.



Precht, nicht als Antisemit und Demokratieverächter bekannt, hat sich entschuldigt und gibt zudem seine Professur zurück. Vielleicht, weil ihm das Niveau der Leuphana zu hoch ist und er das endlich einsieht. Die Uni kommt so drumherum, sich zu positionieren für Freiheit und Forschung der Lehre. Oder war's Leere? Also AStA: alles richtig gemacht.



Wo wir schon bei Stress sind. Viele glauben ja, dass sie zu viel arbeiten müssen. Heutzutage ist vieles Arbeit: Neben dem Geldverdienen, leisten wir Beziehungsarbeit, Care-Arbeit, Kinder, Oldies, Freunde. Da reichen 24 Stunden am Tag nicht. Klar, die Boomer verstehen den Ernst der Lage nicht.



Wissenschaftler übrigens auch nicht. 1340 Stunden – so viel arbeiten Deutsche im Schnitt pro Jahr, habe ich gelesen. Im EU-Vergleich ist das laut einer Studie des Münchner Roman Herzog Instituts eher wenig: Nur in Luxemburg arbeiten die Menschen noch weniger. Ich würde sagen, die halbe Wahrheit: Es gibt genug Menschen, die als Paketboten, Pizza-Lieferanten und Bauarbeiter vor meiner Tür deutlich mehr wuppen und weniger Geld in der Tasche haben als andere.



Vielleicht geht es eher um soziale Fragen als um Befindlichkeiten. Damit sind wir bei den Parteien. Die Linke löst sich gerade selber auf mit Fragen zu sexuellen Identitäten und Co, eine Nationalistin mit rotem Anstrich dürfte der Partei reichlich Anhänger nehmen. Wird sich zeigen.

Damit sind wir bei einer Frau, die verstanden hatte, dass Politik von und für Menschen gemacht wird. In ihrem Stadtteil, der scheckigen, lauten Goseburg mit ihrer angehängten übergroßen Kleingartenkolonie als Wohnquartier hat Gisela Menke sich eingesetzt. Sie ist damit einigen auf den Wecker gegangen, auch Parteifreunden, die im Rathaus regierten. Doch die Sozialdemokratin hat einiges bewegt: Kita, Jugend- und Senioren-Treff, eine Entlastungsstraße, um Lkw umzuleiten -- alles machte das Viertel lebenswerter. Die Wahlergebnisse gaben ihr damals recht.

Nun ist sie gestorben mit 98 Jahren. Ein großer Verlust. Wenn irgendwann mal eine Straße im Karree neu benannt werden muss, dann wäre sie die Richtige dafür. Ach ja, sie hatte klare Haltungen, aber sie hat auch mit denen gesprochen, die anderer Meinung waren. Wie sich das für Demokraten gehört. Carlo Eggeling

© Fotos: ca


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