LoCarlo: Lüneburger Gesichter (32)
von Winfried Machel am 22.08.2022
In einer lockeren Reihe stelle ich unbekannte Bekannte vor
Da ist Musik drin
Eine quicklebendige Legende. Auf ein Getränk mit Dieter Borchardt im Café Klatsch. Geschichte und Geschichten
Wo soll man sich sonst treffen, wenn es um ein Stück Lüneburger Musikgeschichte, ach was, Legende, geht? Wir sitzen im Garten des Café Klatsch. Alster und Apfelschorle. Dieter Borchardt. Gitarrist, so viele Bands, so viele Geschichten. "Mit 13, 14 habe eine Gitarre geschenkt bekommen", erzählt er. "Warum weiß ich gar nicht mehr. Tabbel hat mir das Spielen beigebracht." Tabbel Dierßen, noch eine Legende der Stadt, der heute Bass zupft -- und wie Dieter die 70 hinter sich hat. Heute spielen sie zusammen in der Blues Organisation. Klar, inzwischen auch Legende.
Als es los ging, war noch ein bisschen Flower Power angesagt: "Für Rock 'n' Roll bin ich fünf Jahre zu spät geboren. Weste und Jazztapete." Musikhefte zerfleddern, die zeigten, wie er Barré-Griffe greifen muss. Bands. Üben mit der Band draußen auf dem Saal der Dorfkneipe in Reinstorf, wo heute das One World zu Hause ist. Weil der Sohn des Wirts mitdaddelte. Grünspans Twistmachine, Muckhole Perkins, aus denen dann Subway wurde. Lüneburgs Band, die auf ungezählten Festen rockte. "Es gab damals so viele Möglichkeiten aufzutreten auf den Dörfern."
Dieter ging zum Bund: "Vom Entlassungsgeld habe ich mir einen Verstärker gekauft." Es ging weiter. Hamburger Szene. "Einmal habe ich so gar mit Klaus Voormann gespielt, an dem Tag war ich aber leider Scheiße drauf." Voormann trat in frühen Hamburger Zeiten mit den jungen Beatles auf. Kontakt zu Ulf Krüger, Musikproduzent, Grafiker und natürlich Musiker. Auch einer aus Uelzen, die Verbindung von Zucker und Salz war damals enger als heute. Ging oft hin und her. Und dann an die Elbe.
"Ulf sagte, er könne uns produzieren", erzählt Dieter. Damals noch als Muckhole Perkins mit harten Nummern von Johnny und Edgar Winter, Jimi Hendrix. "Wir haben uns damals in einem schimmeligen muffigen Übungsraum in Deutsch Evern getroffen." Als Subway waren sie dann eine zeitlang "professionell" unterwegs, unter anderem als Vorband von Iron Butterfly. Im damaligen Stadttheater hatte die Band Auftrtitte in einem Stück. Das war fast revolutionär.
Die Namen fliegen. Gigs und Treffen mit Peter Urban, der als Moderator für den NDR arbeitet und selber Musiker ist, bekannt als Kommentator des Eurovision Song Contest im deutschen Fernsehen. Olli Dietrich, "der war Ulfs rechte Hand". Eric Burdon von den Animals in der Fabrik, Neil Landon, "mit dem haben wir Pub-Rock gespielt, Saufmusik". William Thorton, mit dessen Bruder Chris Dieter bei Subway zusammen auftrat. Immer live: "In die Studioszene kam man schlecht rein, da waren immer dieselben Leute dabei."
Dann kam "Leinemann", Ulf Krüger spielte mit und Django Seelenmeyer, ein Lüneburger, auch ein ewiger Musiker, der heute die Roten Rosen bei der Musikauswahl berät. "Django fragte, ob ich bei einem Auftritt in der ZDF-Hitparade einspringen könnte, das war so 1981. Dabei waren wir bei den ganzen Schlagern eigentlich fehl am Platz." Aber es lief. Irgendwann gehörte Dieter zur Stammbesetzung. Stücke wie Volldampfradio, Tut tut und das von Lonzo gecoverte Die Dinosaurier werden immer trauriger waren Gassenhauer der Hamburger Szene, die auch in Heidelberg, Hattetsheim und Hof gut ankamen. Sie spielten im Norden regelmäßig in der inzwischen eingestellten NDR-Schaubude: "Wir waren fast jede Woche im Fernsehen." Hitparaden: "Da saßen wir mit Dieter Thomas Heck beim Bier, Peter Maffay war da, Rex Gildo, Michael Holm, Roger Whittaker." Tempi passati, Legenden.
1990 hatten sie ihren letzten Auftritt. "Die anderen glaubten, sie könnten nur von der Musik leben", sagt Dieter beim zweiten Alster. Er setzte neben der Musik auf etwas Festes. Ein Job bei Bohnhorst, dem Geschäft an der Bäckerstraße, wo man Plattenspieler, Verstärker und Boxen kaufte, wo man in Langspielplatten reinhörte, beraten von Verkäufern, die Bands kannten, von denen man anfangs noch nie etwas gehört hatte. Jazzrock, Gitarrengötter, deutsche Experimente. Noch so eine Legende, die Erinnerung bleibt.
"Da war ich von 1974 bis 1989", berichtet Dieter. Dann kamen Jobs für Instrumentenfirmen wie Hohner und Gewa "Außendienst von Flensburg bis Rheine und dazu Westberlin. In der Stadt bin ich für Termine dann 400 Kilometer mit dem Auto gefahren, es gab so viele Musikgeschäfte." Messen in Korea mit Gitarrenentwürfen, die Dieter entwickelt hatte.
Vor zehn Jahren packte der Krebs zu. "Im Februar 2012 bin ich fünfeinhalb Stunden operiert worden." Das knackte auch an der Seele. Das dritte Alster. "In die Reha habe ich meine Gitarre mitgenommen, die Lust zum Spielen kam wieder." 2014 in Rente.
Irgendwann kam Tabbel und fragte, ob Dieter nicht bei Blues Organisation einsteigen wolle, da wo auch ab und an Jan Harrington mitmacht, die schwarze Sängerin aus den USA, die ewig an der Ilmenau lebt. Noch eine Legende. Klar, wollte er.
Inzwischen sind ein paar in den Garten gekommen, auf ein schnelles Bier oder einen Kaffee. Das Klatsch. Was für eine Welt. Kurz vorm Untergang, ewig geht's hier nicht mehr weiter. Geronnene Zeit mit wildem Grün. Tabbel ist da, der baumlange Kay Bergen, in zig Bands dabei, Meike Bütow, die bei den eingeschlafenen Entspannten Bekannten mitmachte. Wirt Uli Schröder, einer Letzten, der eine Bühne bietet. Ein paar wollen zum Fußball, LSK. Eigentlich längst Legende.
Was für eine Geschichte, was für Geschichten. Man kann gar nicht alles erzählen und manchmal geht wohl etwas durcheinander bei den vielen Namen. Egal. Blues Oragnaistion spielt am 1. September im Vakuum in Bad Bevensen, 19 Uhr. Am 2. September um 20 Uhr im Klatsch und am 4. September in Bremen. Noch einmal wie in alten Zeiten on the Road.
Dieter lächelt. Heute zahlt er die Getränke, nächstes Mal bin ich dran. Noch ein paar Legenden hören. Aus harten und alten Zeiten. Manche waren ganz passabel. Dieter und den anderen zuzuhören, ist immer gut. Egal wie alt sie sind, auf der Bühne ist dann eine große Energie, es klingt ewig — und ganz jung. Carlo Eggeling
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