LoCarlo: Die Jungs wollen's wissen Jörg Lymant fährt Dragraces.
von Winfried Machel am 10.10.2022Irre schnell auf dem Motorrad. Mit seinen Freunden tüffelt er an der perfekten Mischung von Mensch und Maschine. Ein Besuch in Adendorf
Ein Motorrad im Wohnzimmer, im Eingang Motoren, auf der Abzugshaube in der Küche drängeln Pokale. Gleich nebendran das Spielzimmer: Rahmen, schwere Motorräder, Bänke mit Werkzeug, Ersatzteilen. Große Jungs bekommen große Augen, wenn sie sehen, wie Jörg Lymant lebt. "Die Werkstatt war zu erst da, das Haus habe ich später drum herum gebaut", sagt der 54-Jährige. Irgendwie ist der Satz nur eine Bestätigung, war eh klar. Lymant ist ein fixer Junge, fährt Dragraces, extreme Beschleunigung mit dem Motorrad. Ein paarmal deutscher, viermal Europa-Meister.
Das zurückgesetzte Haus mitten in Adendorf wirkt wie eine Insel aus vergangenen Zeit. Klimawandel, CO-2-Werte, Tempo-30-Zonen, Lastenrad -- da brettert einer mit fast 300 Kilometern pro Stunde über die Bahn? Wie ein Symbol lehnt Cheftechniker Michael Glowatzki an einer Werkbank, die 60 hinter sich, so hager, dass die Röhrenjeans an den Beinen viel Luft haben, lange weiße Haare, verwittert. Und mit einem breiten Grinsen. Neben dem Spaß nennen die beiden nennen eine Begründung, mit denen Autofirmen Milliarden für den Rennsport erklären, der mache Fahrzeuge sicherer und effizienter -- solange Benzin verbrannt werde, könne man den Verbrauch senken.
Es haben sich zwei getroffen, die zwei Dinge verbinden: das Wilde und das Tüffeln, die unbändige Lust an Geschwindigkeit und die Perfektion der Technik. "Wir fahren jetzt mehr als 25 Jahre Rennen", sagt Glowatzki, der im Hauptberuf Vermessungstechniker ist. "Wir versuchen, die Maschine immer besser zu machen." Sie haben für den Zwei-Zylinder-Motor der Harley einen eigenen Ansaugtrakt samt Drosselklappen entwickelt. Drei Jahre Arbeit. Luft, Kraftstoff, das soll in einem optimalen Verhältnis stehen, um das Motorrad zu beschleunigen. 2,6 Liter Hubraum, rund 350 PS bei 10 000 Umdrehungen und das bei 180 Kilogramm Gewicht.
"In 1,06 Sekunden haben wir nach 16,3 Metern 100 km/h erreicht" sagt Lymant. Zum Vergleich: Formel-1-Weltmeister Max Verstappen benötigt 2,4 Sekunden, um seinen Boliden auf Tempo 100 zu haben. Eine Pressluft-Schaltung donnert alle 0,8 Sekunden den nächsten der sechs Gänge rein. Ein Computer liest jeden Wert ein und aus: Wie heiß sind die Abgase? Spritverbrauch? Wann griff die Schaltung? "Der Fahrer ist gläsern", sagt Glowatzki. Wie können wir es um Millisekunden besser machen? Mensch und Maschine.
Das liest sich für Fans dann so: "In der zweiten Meisterschaftsrunde in Schweden brach der deutsche Harley-Pilot Lymant seinen eigenen Klassenrekord sogar zweimal. Legte er im ersten Lauf noch eine satte 7,381 sec. Zeit auf die Piste, konnte er diese Zeit dann noch mit einer 7,371 toppen – neuer Europarekord", jubelt eine Fachpublikation im Internet. Es geht um einen Wimpernschlag.
Auf extrem kurzer Strecke. Dragrace bedeutet ein Rennen über eine Viertelmeile, das sind 402,34 Meter, und die Achtelmeile, also die Hälfte, 201,17 Meter. Vorbild waren die Entfernungen von Ampel zu Ampel, von Block zu Block in amerikanischen US-Metropolen. Illegale Straßenrennen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren Großstadt-Cowboys faszinierten. Filme wie "Denn sie wissen nicht was sie tun" mit James Dean setzten Denkmäler. Bald gab es Rennpisten für die Verrückten, in Kalifornien taten es auch ausgetrocknete Salzseen.
Der Mythos ist geblieben. Die Wirklichkeit eine andere. Lymant trainiert im Gym, spielt Eishockey, daddelt. Um die Reaktionsfähigkeit zu verbessern, geschmeidig zu bleiben, die Kraft in den muskulösen Unterarmen zu besitzen, um die Maschine zu halten, die auf fast platten Reifen nur geradeaus fahren kann. Bei rund 280 km/h in sieben Sekunden liegt sein Rekord. Das Ziel, die 300er-Marke zu knacken und unter sieben Sekunden zu bleiben.
Wenn die beiden erzählen, fachsimpeln über Strecken, Einspritzdüsen, darüber, dass sie mit ihrem Team, zu dem Konstrukteur Ingo Höppner, Thomas Kux, gelernter Kfz-Meister, Arne Mallast und Tanja Lüttgens zählen, Getriebe nach den Rennen immer wieder auseinandernehmen und fitmachen, strahlen sie wie die Jungs, die sie mal waren, als sie ihre Mofas und Mopeds frisierten. Später mit der Ducati und im Auto unterwegs waren. Gern schneller als die anderen: "Wenn man die Nasenspitze besser sein will als die Konkurrenz, dann muss man hart arbeiten."
Schließlich kam eine gebrauchte Harley, es kamen weitere dazu. Für das, was hier schlummert bis zur nächsten Hatz, bauen andere ein Haus. Sie schrauben, sie feilen und und fräsen mit CNC-Maschinen. Sie leben hier in Adendorf, auf ihren Strecken in Schweden und am Hockenheim-Ring, wo 50 000 stehen und den ohrenbetäubenden Klang der Motoren als Musik empfinden. Man muss das mögen, diskutieren braucht man es nicht.
Warum das alles? Was für eine Frage, findet Michael Glowatzki. Es ist wie auf dem Schulhof, wo es drum ging, wer am weitesten pinkeln kann: "Wir sind doch Jungs." Carlo Eggeling
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