Lüneburg, am Montag den 18.08.2025

LoCarlos Woche

von Winfried Machel am 30.07.2022


Meine Woche
Campen

"Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die wirkliche Wirklichkeit ist." Ein Satz, der dem österreichisch-amerikanischen Philosophen und Psychotherpeuten Paul Watzlawick zugeschrieben wird. Daran musste ich denken, als jetzt die Campingplatzbetreiber vom Marienplatz nach 54 Tagen Bilanz zogen. Die Plastikzelte, Tetrapaks mit Hafermilch und zumeist leeren Sofas und Stühlen nannten sich Klimacamp. "Wir hatten wirklich spannende Vorträge und Diskussionen. Es ging ja nicht darum, dass Leute kommen und applaudieren. Wir wollten uns kritisch mit Klimagerechtigkeit auseinandersetzen", schildert es eine der Teilnehmerinnen, habe ich gelesen. Mein Eindruck, egal, wann ich über den Platz ging oder vorbeigeradelt bin: Es war kaum jemand da.

Was soll's. Immerhin hat man mal mit denen gesprochen, die man schon auf seiner Seite weiß. Ich dachte zwar immer, wer eine Mission hat, will viele gewinnen, nach der Überzeugtheit eines Goethe: "Wer aber nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile schreiben." Warum publikumswirksam agieren, wenn es um ein hehres Ziel wie Klimagerechtigkeit geht, ein Wort, das am Ende ein bisschen nebulös bleibt, weil sich das Klima schließlich überall ändert und auf alle auswirkt? Das ist sicher kleinlich. Großes wirkt auch im Kleinen.

Vergangenes Jahr im Wahlkampf besuchte Claudia Kalisch mit ihrem Landtagsabgeordneten Detlev Schulz-Hendel und Parteifreunden samt einer Kiste Selter den Zeltplatz auf dem Marienplatz. Auf der Facebook-Seite der Grünen ist darüber immer noch zu lesen: "Heute war der Ministerpräsident Stephan Weil zu Besuch in Lüneburg und hatte für einen Dialog mit den jungen Menschen offenbar keine Zeit. Wir haben den Dialog geführt und werden ihn auch künftig führen. Die friedlichen Proteste haben unsere volle Solidarität."

Künftig ist ein relativer Begriff, denn von Seiten der klimabewegten Campingfreunde heißt es aktuell: "Wir hätten uns jederzeit über ein Gespräch mit der Bürgermeisterin gefreut. Es wäre schön, wenn auch außerhalb des Wahlkampfes mehr Politiker zu einem Gespräch bereit wären." Ist das frech? Warum hätte die Oberbürgermeisterin wieder mit Selter kommen sollen? Wasser aus der Leitung und ein Sodastream tun's auch.

Davon ab, es wird gerade nicht kommunal gewählt, aus ihrem Bürofenster hat sie den vollen Überblick, außerdem gar keine Zeit, weil sie ganz viele Termine abarbeitet, wie sie sagt. Außerdem weiß sie ja generell, dass die Klimafrage über allem steht. Die anderen wie der Abgeordnete haben auch zu tun. Große Aufgaben. Überall: Kohlekraftwerke länger laufen lassen, Öl- und Gasförderung im Wattenmeer ausbauen, Kernkraftwerke vielleicht länger am Netz lassen. Aus Verantwortung natürlich.

Eine Frage der Perspektive auch an anderer Stelle: Die Jagdmunition wird knapp habe ich gelesen. Das ist doof für die, die gerne Tiere totschießen und beispielsweise ein Wildschwein am Spieß über einem Lagerfeuer ganz lecker finden. Veganer und höchstwahrscheinlich auch die zeitgeschichtlich interessierte Wildschwein-Reh-Hasen-Gemeinschaft dürften die Meldung sehr begrüßen. Überlebenswichtig. Wenn es indirekt der Ukraine hilft, ist eh alles gut. Das sehen bestimmt selbst Jäger ein.

Wir müssen schließlich alle verzichten, keine Nachrichtensendung kommt ohne diese Erkenntnis aus. Weniger Gas, weniger heizen, weniger Getreide; doch bleiben wir positiv, denn es gibt auch Wachstum: Inflation, Preise, Unzufriedenheit. Es bleibt spannend. Und so lange es noch warm ist, können wir campen gehen. Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


Kommentare Kommentare


Zu diesem Artikel wurden bisher keine Kommentare abgegeben.



Kommentar posten Kommentar posten

Ihr Name*:

Ihre E-Mailadresse*:
Bleibt geheim und wird nicht angezeigt

Ihr Kommentar:



Lüneburg Aktuell auf Facebook