Lüneburg, am Montag den 18.08.2025

LOCARO: Meine Woche Statt eckig kugelrund

von Winfried Machel am 16.04.2022


Der Blick auf Details verspricht neue Perspektiven. Mir ging es neulich so. Da war in der Zeitung eine lange Geschichte zu lesen, über die Probleme eines kinderlosen deutschen Paares, das gern Eltern wäre und einen vermehrenden Auftrag an eine ukrainische Leihmutter gegeben hat. So ein Krieg ist eine blöde Sache, der stellt die so sicher geglaubten Pläne infrage. Unklar, ob die Babys kommen. Putin gefährdet deutsche Kinderwünsche. Furchtbar.

Was für ein Drama. Oder beginnt das Drama schon vorher und nicht nur in der Ukraine, sondern in anderen Armenhäusern der Welt? Wer reich ist, kann sich bei Habenichtsen ein Kind kaufen. Von wegen mein Bauch gehört mir, im Zweifel gehört er dem, der meine Armut etwas lindert und den Agenturen, die so ein inniges Geschäft begleiten. Aber vermutlich mangelt es mir an innerem Verständnis für so eine ans Herz gehende Geschichte. Schließlich will alles erzählt werden.

Na ja, immer eine Frage der Perspektive. Im Moment gerät vieles ins Wanken. Die friedensbewegten heutigen Grünen müssen vermutlich lange im Gedächtnis kramen, um sich an Petra Kelly und den ehemaligen Generalmajor Gert Bastian zu erinnern, zwei aus der Gründergeneration und Gesichter der Friedensbewegung. Statt Frieden schaffen ohne Waffen, nun Frieden schaffen mit ganz schweren Waffen. Moral als Kompass statt Diplomatie. Maximalforderungen, ohne dem Gegner noch die Möglichkeit zu geben, sich gesichtswahrend zu bewegen. Und gleichzeitig bleibt die Moral in der Wirklichkeit stecken: Es braucht eben Öl und Gas, nicht nur zum Heizen und Autofahren, sondern für unzählige Produkte. Da klopft Herr Minister in bei ausgewiesenen Menschenrechtsfreunden in Katar und Co. an.

Interessant die Drehung eines ehemaligen Linken, der sich mit einer flammenden Rede aus dem Rat verabschiedet hat und seiner Partei bescheinigt, den Schuss nicht gehört zu haben. Den Putins gegen alles Gute. Heute geht Michèl Pauly nach dem Lüneburger Ostermarsch mit vielleicht 300 Teilnehmern bei Facebook hart mit dem Friedenbündnis und einem Redner der Linken ins Gericht: "Schlussendlich eine 'Verhandlungslösung' mit einem Regime anzustreben das einen Staat ausrotten will und ihn überfallen hat -- also ein Angebot für den Teilerfolg des kriegsstartenden Staates." Das gehe mal gar nicht. "Deplaziert" überdies der Verweis auf "Kriege des Westens". Aha. Was ist mit Vietnam? Was mit dem Irak? Ging es da nicht um wirtschaftliche Interessen unter anderem der USA?

Wer in die Linke eintritt, trägt so eine Sicht eigentlich in der DNA. Angesichts der Volte des nach eigener Einschätzung wortgewaltigen und ungemein durchdachten Lokalpolitikers müsste er ja schwere Selbstzweifel in sich tragen: War alles falsch, was er vorher elf lange Jahre vertreten hat? Erlebt er sein Damaskus, wird er vom Saulus zum Paulus? Für weniger Bibelfeste: Vom Christenverfolger zum Anhänger Jesu und einem der Apostel. Wo landet Michèl Pauly also am Ende? Freiwilliger in der Ukraine? Was ist mit seinem Job als Referent für Haushalt und Finanzen bei Linksfraktion Hamburg?

Aber vielleicht hält die Stadt an der Ilmenau samt ihrer Verwaltung eine neue Bühne parat? Der Mann, der sich so gern mit dem Alt-OB fetzte und dem nun das Gegenüber im kuscheligen Rat fehlte, hat ganz viele Fans. Vor allem in anderen Parteien.

Einer, der die Bühne liebt, ist auch Heiko Meyer. Der Vorsitzende der Handelsvereinigung LCM hat den Industrie- und Handelskammer-Boss Michael Zeinert aus dem Vorstand der Lüneburg Marketinggesellschaft verdrängt. Wenn die LMG nun etwas vorstellt -- und das tut sie nach eigener Ankündigung künftig wohl öfters -- ist es eine Gelegenheit, das Wort zu ergreifen, ein Foto obendrein als ständigen Erinnerungswert.

Meyer wollte Oberbürgermeister werden, schaffte es, die Vertreterinnen von SPD und CDU, auf die Plätze zu verweisen und in die Stichwahl zu gelangen. Er legte als Unabhängiger ein hervorragendes Ergebnis hin, und wäre die Stimmung nicht so grün gewesen, hätte er beste Chancen gehabt, ins Rathaus einzuziehen. Dass er keine Liste aufstellte, die es sicher mit mehreren Sitzen in den Stadtrat geschafft hätte, war ein eklatantes strategisches Versäumnis: Die Bühne fehlt ihm nun.

Allerdings laufen in der Stadt Wetten, ob es nicht bereits schon in ein, zwei Jahren neue OB-Wahlen geben könnte. Und es gibt einige, die darauf wetten, dass "der Heiko" dann bereit sein könnte, es erneut als "Euer Heiko" zu probieren. Alles Spekulation, wie das so ist bei Wetten.

Eins ist übrigens kein Nachteil: der Wohnort. Reppenstedts Vorort heißt Lüneburg. Schon jetzt. An Ostern ist alles denkbar, es ist schon einmal jemand auferstanden. Da gilt der Liedermacher Konstantin Wecker: Gestern war die Welt noch eckig, heute ist sie kugelrund". Carlo Eggeling

© Fotos: Carlo Eggeling


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