LÜNEBURG: Geburtstagsausflug vor 100 Jahren
von Sammlung Hajo Boldt am 13.09.2024Lüneburg, 13. September 1924 –
Ein seltener Anblick, festgehalten auf einem ebenso seltenen Foto:
Die Tochter von Kaiser Wilhelm II., Prinzessin Victoria Luise von Preußen, besucht an ihrem 32. Geburtstag die Stadt Lüneburg. Der historische Moment wird von einer begeisterten Menschenmenge begleitet, die der einstigen Herzogin von Braunschweig-Lüneburg mit Applaus und Blumensträußen huldigt. An ihrer Seite sitzt ihr Ehemann, Herzog Ernst August (III.) von Braunschweig-Lüneburg, der selbst am Steuer eines größeren Automobils Platz genommen hat. Dieses besondere Fahrzeug, mit Rechtslenkung – damals modern und sicherlich beeindruckend – bewegte sich langsam durch die Straßen, während der Herzog die jubelnde Menge mit einer erhobenen Hand grüßt. Für Ernst August war dies ein bemerkenswerter Auftritt, nachdem er am 8. November 1918, nur einen Tag vor der Abdankung von Kaiser Wilhelm II., seine eigenen Herrschaftsansprüche niederlegen musste.
Nun, Jahre nach dem Sturz der Monarchie, zeigt er sich erneut in der Öffentlichkeit – in einer völlig veränderten Zeit. Prinzessin Victoria Luise, anmutig und elegant gekleidet, trägt einen modischen Hut und einen feinen Schal, der ihren Stil und ihre herzogliche Würde unterstreicht. In ihren Händen hält sie einen prächtigen Strauß Blumen, eine symbolische Geste der Zuneigung der Lüneburger Bürger, die die ehemalige Prinzessin von Preußen nach all den politischen Umbrüchen mit offenen Armen empfangen. Das Foto, das diesen besonderen Moment einfängt, zeigt die Prinzessin lächelnd, charmant und scheinbar unbeeindruckt von der dramatischen Wende, die das deutsche Kaiserreich nur wenige Jahre zuvor erlebt hatte. Es dürfte eines der wenigen öffentlichen Bilder der Herzogin aus jener Zeit sein, in der sie sich nach dem Ende des Kaiserreichs weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Wo genau dieses eindrucksvolle Bild in der Stadt Lüneburg aufgenommen wurde, bleibt aufgrund des unscharfen Hintergrunds rätselhaft. Doch das Bild selbst, das einen Moment des Übergangs zwischen kaiserlicher Vergangenheit und bürgerlicher Gegenwart symbolisiert, bleibt ein bewegendes Zeugnis eines historischen Tages.
Veröffentlicht wurde es erst Ende Oktober 1924 in einer amerikanischen Zeitung. In den Lüneburgschen Anzeigen, dem Vorgänger der Landeszeitung, wurde über den Geburtstagsausflug nicht berichtet.
Die Hochzeit war eines der letzten Großereignisse im gesellschaftlichen Leben des europäischen Hochadels vor dem ersten Weltkrieg gewesen. Der Einzug des Paares in Braunschweig im Jahre 1913 wurde umjubelt.
Weitere bedeutende Stationen des Herzogpaares von Braunschweig-Lüneburg waren nach dem ersten Weltkrieg die Flucht aus Braunschweig, das Exil in Schloß Cumberland nahe dem oberösterreichischen Gmunden sowie die Rückkehr auf Schloss Blankenburg/Harz.
Text/Foto: Sammlung Hajo Boldt
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