Lüneburgs beeindruckende Bürgerinitiative
von Carlo Eggeling am 04.04.2023Als der ALA vergangene Woche zum Quartiersabend ins Gemeindehaus von St. Nicolai einlud, war der Saal war gesteckt voll. Magdalena Deutschmann erzählte anhand von alten Fotos und aktuellen Aufnahmen über das Viertel zwischen Bardowicker Straße und Ilmenau. Rund 80 Gäste, ein Erfolg. Davon verzeichnet der ALA einige. Während andere Vereine an mangelndem Interesse und sinkenden Mitgliederzahlen kranken, läuft es hier anders. Um es "biologisch" zu beschreiben: Wer endgültig geht, wird durch neue Interessenten ersetzt, daher bleibt die Mitgliederzahl mit rund 600 seit Jahren konstant.
Die "Retter der Altstadt" haben andere Aufgaben als in ihren in den ersten Jahren, damals ging es im Wortsinne um den Häuserkampf, Abrissbagger waren schnell da, um Schätze von der Renaissance bis in die Gründerzeit platt zu machen, danach kam die Brutalistik der 70er und 80er Jahre etwa an der Ecke Neue Sülze/Katzenstraße oder dem Bau, in dem jetzt die Volkshochschule Programm anbietet. "Heute arbeiten eng und gut mit der Denkmalbehörde der Stadt zusammen", sagt Inga Whiton, Vorsitzende des ALA. Zudem berate man viele Hausbesitzer. Das Bewusstsein habe sich verändert: Viele haben verstanden, dass die Architektur der Vergangenheit auch ein wirtschaftliches Fundament für Gegenwart und Zukunft bedeutet. Das zeigt sich unter anderem an den sich durch die Straßen streifenden Gästen, die die Stadt besuchen -- Tendenz steigend.
Der ALA ist längst ein Teil der Stadtgesellschaft, prägend und gefragt. Seit bald einem halben Jahrhundert gibt es ihn. Handwerkerstraße und Christmarkt sind seine Schaufenster: Tausende drängen sich durch die Gassen im Schatten von St. Michaelis, wenn der Verein zu seinen Zeitreisen bittet: Uralte Handwerkstechniken leben auf, präsentiert von Frauen, Männern und Kindern in Gewändern in der Zeit um 1500. "Wir haben viele Bewerbungen für Stände, es muss aber passen", sagt die Vorsitzende. "Wir wollen authentisch bleiben."
Eben das lockt Neue. Inga Whiton berichtet, dass es für die bei Festen präsente Stadtwache viel Nachfrage gebe. Aber auch für das Aufarbeiten der Geschichte historischer Bauten, nachzulesen dann etwa im ALA-Heft-Aufrisse. ALA zum Anfassen war im vergangenen Jahr zu erleben: Dutzende kamen, als aus dem Haus des Vereinsgründers Curt Pomp Ziegel und beispielsweise gedreht gebrannte Tausteine für eine Ausstellung in den Lagerraum, den Speicher Am Iflock, umziehen mussten -- eine Menschenkette.
"Wir haben Anfragen zu Heizungen und Solaranlagen auf Dächern, zur Begrünung von Fassaden und Dächern", erzählt Inga Whiton. Nicht alles könne man beantworten, allerdings ist klar: Aus Vereinssicht bleibt der Denkmalschutz das entscheidende Kriterium. Photovoltaik aufs Dach zu schrauben gehe nicht, aber inzwischen gebe es besondere Ziegel, welche die Kraft der Sonne einfangen. Das sei denkbar, allerdings gelte es, die historischen Balkenkonstruktionen darunter zu beachten.
Viele Details setzen inzwischen Akzente in der Stadt, die auf den ALA zurückgehen: Laternen nach alten Vorbildern, dazu Projekte, die der Verein mit Spenden unterstützt hat. Der Alte Kran würde heute möglicherweise nicht mehr stehen, wenn der ALA nicht Zehntausende gegeben hätte. Das Holz war morsch, der Muskelprotz drohte umzukippen, 1999 begann die Restaurierung, der ALA gab 75 000 Euro dazu.
Es stehen Veränderungen an. Die alte Führungsriege um Pomp ist kürzer getreten. Weitere Wechsel sind in Sicht. Auch beim Vorsitz. Neulich wurde Inga Whiton gefragt, warum sie ihr Amt niederlege, das hat sie geärgert: "Ich trete im September nicht mehr zur Wahl an, das ist ein Unterschied." Im kommenden Jahr sei sie viel unterwegs, sagt die Rentnerin, das sei mit dem Amt nicht vereinbar. Doch natürlich will sie sich mit ihrem Mann weiter engagieren. Sie ist optimistisch einen Nachfolger zu finden, zumal sie im Vorstand und verschiedenen Arbeitskreisen auf eine gute Crew blickt. Allerdings ist auch da "Nachwuchs" willkommen: Cornelia Böhme, die die Pflege des Kostümbestands von ihrer verstorbenen Schwester Verena Fiedler übernommen hatte, möchte kürzer treten.
Da ist ein alter Verein -- auch mit älteren Mitgliedern -- ziemlich jung und zupackend geblieben.
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Kurz Impressionen zum Abend rund ums Wasserviertel. Magdalena Deutschmann und ihre Mitstreiter zeigten Bilder von Gebäuden, die der inzwischen verstorbene ALA-Fotograf Jörn Adolphi zwischen 1975 und 1985 gemacht hatte. Zum Vergleich zeigten die drei Fotos, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Viele im Publikum zeichnen für den Wandel des Karrees verantwortlich: Sie haben Zeit und Geld in die Häuser gesteckt, um ihre alte Schönheit herauszuarbeiten.
Doch es war nicht nur der Blick, der hinter geschundenen Fassaden Anmut erkannt, der das Viertel veränderte. Ein großer Feind der Häuser war und ist das Feuer. Anfang der 1980er Jahre brannte es mehrmals spektakulär: Im Dezember 1982 brannte es an der Ecke Auf dem Kauf/Abtspferdetränke. Danach entstand der Komplex in dem heute unter anderem das Nudelkontor seine Leckereien anbietet. Im September schlugen Flammen aus dem Eckhaus Lüner Straße/Auf dem Kauf. Feuerwehreinsatzleiter Waldfried Elvers und 55 Kameraden löschten und konnten große Teile retten. Aus dem Ensemble wurde das Seniorenheim Lüner Hof.
Lange beschäftigte die Stadt der Brand der Lüner Mühle. Im August 1983 kam es zu dem verheerenden Feuer. Schnell stellte sich heraus: Brandstiftung. Es gab Hinweise, die ins Hamburger Milieu führten. Zwei Männer standen vor Gericht, doch die Hintermänner seien im Dunkel geblieben, hieß es im Bericht zur Gerichtsverhandlung.
Eine weitere Brandstiftung bleibt ungeklärt: Das Lösecke-Haus brannte im Dezember 2013 bis auf den Keller nieder. Mutmaßlich kamen die Täter aus der italienischen Mafia. Trotz einiger Ansätze konnte die Polizei ihre Vermutungen letztlich nicht bestätigen. Der WIederaufbau kostete rund fünfeinhalb Millionen Euro. Carlo Eggeling
Die Fotos zeigen zeigen Inga Whiton und geben Eindruck aus dem Wasserviertel.
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