Mädges Auftritt
von Carlo Eggeling am 03.02.2024Meine Woche
Alter Kampfgeist
Bestens vorbereitet, die Fragen analytisch, der Ton gestählt nach Jahrzehnten in der Politik, eigentlich eine Sternstunde für die Einwohnerfragen im Stadtrat, die ansonsten des Öfteren als eher langatmige Bekenntnisse für eine bessere Welt daherkommen. Doch der Mann, der da am Donnerstagabend und stellvertretend für Tausende das Wort erhebt, die von extremen Nebenkostenabrechnungen gebeutelt sind, steht bereits im Abseits, weil er es ist; Ulrich Mädge. Drei Jahrzehnte war er Oberbürgermeister Lüneburgs. Ein großer Mann, ein verdienter Mann, einer, der nicht zur Ruhe kommt, nachdem er sein Amt abgeben musste.
Die Stimmung ist fast zu greifen: "Der schon wieder." Einer, dessen Zeit abgelaufen ist, den man hier nicht mehr sehen will. "Kommunalpolitische Schlammschlacht. Alt-OB gegen Neu-OB", schreibt die Linke Marianne Esders auf ihrem Facebook Account. Und Michèl Pauly, Ex-Linker, der sein Ratsmandat abgegeben hat, aber die Ratssitzungen streamt, weil er offenbar nicht -- um es therapeutisch zu sagen -- loslassen kann, ergänzt: "Das war heute vom Alt-OB noch das Level "freundlicher Hinweis" ihr hättet ihn mal erleben sollen, wenn er ausfallend wird." Dazu kann man sagen: Pauly und Mädge, das war ein Verhältnis wie so freundlich wie Stacheldraht. Es scheint keine Milde möglich.
Der Vertreter des Energieversorgers Avacon ist eigentlich für Wasser zuständig, Mädge fragt, wo der Energie-Mann sei. Er fragt, wie es sein kann, dass die Avacon angeblich 18 Cent pro Kilowattstunde mehr nimmt als andere Anbieter, warum die Stadt mäßig reagiert habe, als er, Mädge, vor einem Jahr auf die Kostenexplosion für Mieter hingewiesen habe. Der Avacon-Vertreter bleibt weitschweifig, wenig greifbar und zeigt vor allem auf den Vermieter Vonovia, der die Häuser nicht in Schuss halte und dessen Abrechnungen er für fragwürdig halte. Eine konkrete Erklärung für den Preisunterschied liefert er nicht. Erster Stadtrat Markus Moßmann findet, die Stadt sei am Ball, kümmere sich, und auch eine Bürgerversammlung solle es im März geben.
Man kann wie Friedhelm Feldhaus von den Grünen fragen, warum die Stadt nicht schon unter Mädge gegen Vonovia vorgegangen ist, den Großvermieter mit schlechtem Ruf. Mieter beklagen seit langem Schimmel und Risse in den Wänden. Aber die Stadtbaurätin ist dieselbe, der Umwelt- und Ordnungsdezernent ist derselbe, die hätten ihrer Oberbürgermeisterin das Thema dringlich vortragen können. Vielleicht vergessen, vielleicht nicht so dringend. Claudia Kalisch kann jedenfalls keine wirklichen Erfolge in Sachen der maroden Komplexe in Kaltenmoor vorweisen. Sie findet es bemerkenswert, dass Mädge sich seinen ehemaligen Kollegen Moßmann vornimmt, der wird durch Kalischs Worte zum Opfer des Alt-OB, und da sie sich an Moßmanns Seite stellt, geht es auch um sie -- was für eine gemeine Attacke.
Oder eben Politik. Aber darum dreht es sich nicht mehr. Oder besser: Die neue Riege im Rathaus und im Rat nutzt Mädges Schwäche; er hat seiner Nachfolgerin keinen angemessenen Empfang gegeben, hat an vielen Stellen festgestellt, wie schlecht es in der Verwaltung heute läuft -- ohne ihn. Das wollen viele nicht mehr hören und sehen. Die Mär: Mädge ist der Mann von gestern, der den Aufbruch nicht versteht.
Die Konflikte von damals, die soll es im Rat nicht mehr geben. Die Stimmung ist eine andere, ja. Nicht nur weil Mädge nicht mehr da ist, auch Pauly und der Grüne von Nordheim sind weg. Dazu eine Ratsvorsitzende, die bei Zwischenrufen eingreift, ein Mikrofon, das vorne steht, am besten tragen Redner Wanderstiefel. Pffff, jedes Mal ist die Luft raus aus einer Debatte.
Wie politisches Selbstverständnis aussieht, lässt sich am CDU-Fraktionschef Wolfgang Goralczyk festmachen: Dass Sozialdemokraten nachfragen, empfindet er als Wahlkampfveranstaltung der SPD. Wo sollte man Politik machen, wenn nicht im Rat? Wo Konturen zeichnen für eine Entwicklung der Stadt? Natürlich arbeiten Politik und Verwaltung in einer Kommune zusammen. Aber die Politik kontrolliert und gibt den Weg vor. Das kann weh tun. Mädges Auftritt erinnert daran. In diesem Biotop wirkt er wie eine invasive Art, die man am besten gemeinsam bekämpft. Durch Ignoranz und Schweigen. Auch das gehört dazu: Seine SPD klopft zwar auf die Tische nach seinen Worten. Nicht alle dort vermissen ihn.
Die Tragik kann sich fortsetzen. Lauter alte Haudegen der Lokalpolitik kandidieren für den Seniorenbeirat, Interessenvertretung für ein Viertel der Einwohner Lüneburgs. Den ersten Anlauf hat Sozialdezernent Florian Forster vergeigt, nun ein zweiter. Mal sehen, ob der rechtlich stand hält. Man munkelt dies und das. Mädge und der von der grünen Ratsfraktion geschasste Wolf von Nordheim wollen unbedingt ein Wort mitreden, dazu ein Schwung Altvorderer. Wer den Vorsitz möchte ist klar. Bei Grün und Rot. Was soll das werden, ein zweiter Rat? Attacke gegen die Herrschenden? Bei so wenig Einfluss? Was wollen die anderen, die kandidieren? Ändert es etwas?
Was soll's. Bleiben wir heiter. Die Rathausspitze war in Tartu, Lüneburgs Partnerstadt ist eine der beiden europäischen Kulturhauptstädte 2024. Schöne Fotos einer schönen mehrtägigen Dienstreise. Sei allen gegönnt. Dass die Motoren der Städtepartnerschaft nicht zu sehen sind, die den Kontakt seit den 1990er Jahren mit der Deutsch-Estnischen Gesellschaft pflegen, ist nur Zufall: kein Heiko Frese, kein Heiko Dörbaum, kein Karl-Heinz Hebrok, keine Regina Ewe. Wahrscheinlich konnten die gerade alle nicht.
Illuster ein anderer Städtebund, die Hanse. Der Bund der Städte hat einen Kreis von verdienten Mitgliedern. Nach altem Brauch schlagen die Städte eigene Kandidaten vor. Lüneburg hat es nicht geschafft, Ulrich Mädge zu melden. Die Oberbürgermeisterin hatte keine Zeit für hansische Nachfragen. So haben ihn nun Visby und Lübeck benannt. Ehrensache.
Mit Fehlern in der Datenverarbeitung kennt man sich im Rathaus aus. Wegen eines fehlenden Hakens muss die Stadt die Wahl zum Seniorenbeirat wiederholen, hat bummelig 20 000 Euro und Vertrauen gekostet. Jetzt hat die Verwaltung 32 Lüneburgern zum Bundesverdienstkreuz gratuliert. Die sollten allerdings lediglich als Gäste bei einem dabei sein, der noch gekreuzigt werden soll. Mein Freund, der Fotograf Thomas Laukat, kommentiert es auf seinem Kanal so: "Nach dem Flop mit der Wahl zum Seniorenbeirat gab's doch bestimmt eine Arbeitsgruppe, eine neu geschaffene Stabsstelle, Referententinnen und Fördermittel ... oder wenigstens einen Stuhlkreis zum Thema "Copy+Paste"?!" Auch andere können gemein sein, oder ironisch. Gutes Wochenende, Carlo Eggeling
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