Märchenhaft
von Carlo Eggeling am 07.10.2023Erfolgsgeschichten schreibt man am besten selbst. Dazu eignet sich eine märchenhafte Kulisse wie das Rathaus bestens. Eine dieser Geschichten geht in etwa so: Die Grünen Oasen mögen zwar nicht allen gefallen haben, aber an sich waren sie total super. Auch wenn das Grünzeug aussieht, als habe die Straßenmeisterei vergessen, rechts und links neben der B 4 zu mähen; und die Kisten manchen an Apfelsinenkisten erinnert haben. Doch wohlgemut bilanziert die Oberbürgermeisterin: "Die Sitzgruppen werden super angenommen." Super! Mein Freund und Kollege Ulf Stüwe kommentiert bei LGheute so: "Angenommen werden mangels besserer Alternativen vermutlich auch leere Bierkisten oder Weinfässer, wenn sie in der Stadt aufgestellt würden." Das ist gemein. Natürlich. Aber einige Journalisten sind bereits deshalb gemein, weil sie Pressemitteilungen hinterfragen.
Im Ohr hat man noch, was da vor Monaten Tolles zur Belebung der Innenstadt getan wurde; aus dem großen Wurf nach Lübecker Vorbild wurde dann langsam ein "Provisorium", eine Testphase, immerhin pro Versuch zwischen 7000 und 13 000 Euro. Heiko Meyer hatte zunächst einiges auszusetzen, aber aus Saulus wird Paulus. Der Vorsitzende der Handelsvereinigung LCM lässt uns via LZ wissen: "Wir haben zum Beispiel auch besucherstarke Tage im Januar. Da ist es gut, wenn die Leute irgendwo Pause machen können. Da wird es Änderungen geben, es war ja ein Provisorium. Grundsätzlich braucht Lüneburg aber mehr Sitzgelegenheiten." Ich glaube, der Handel braucht bei fast 40 leerstehenden Geschäften in der City deutlich mehr. Ansichtssache. Man möchte dem ewigen OB-Kandidaten, der inzwischen wieder im Stadtrat auftaucht, um ein Selfie zu machen, zurufen: "Lieber Handel, stell' doch einfach Stühle und Bänke hin."
Die noch amtierende OBin will selbstverständlich mehr: "Wir werden jetzt ein Konzept erarbeiten für das langfristige Aufstellen von Möbeln und Pflanzinseln, die zum Verweilen einladen." Hoffentlich geht es schneller als bei den bereits in der vergangenen Saison geforderten Toiletten an der Kaufhausbrücke, die kamen in diesem Jahr, als der Sommer fast vorbei war.
Auch wieder gemein. Entschuldigung. Also positiv: ein Konzept, das mit solchen Verweilzonen einhergeht. Das ist kein Job für die Abteilung Tiefbau und Garten, sondern für Tourismus und Marketing. Die Denkmalpflege nicht vergessen. Denn das Landesamt für Denkmalpflege hatte auf Nachfrage kürzlich erklärt, dass der Platz vor dem Luna-Brunnen vollkommen ungeeignet ist, weil so der Blick auf Brunnen und Rathaus verdeckt wird. Das rumpelige Ensemble sei dem Ort zudem nicht angemessen. Ob sich die vier Inseln also "bewährt" haben, man in der Verwaltung meint?
Bürgernah ist zumindest von der Erzählung her ein großes Anliegen der städtischen Politik. Wie wäre es also, Kleingärtner einzubeziehen, die Stauden, Büsche, Kräuter spendieren? Kindergärten, Schilder gestalten? Dazu ein kulturelles Programm mit Musik und Lesungen? Am Ende mehr als ein paar Blumenkübel.
Es gibt noch eine schöne Geschichte aus dem märchenhaften Rathaus. Es geht los im Neubaugebiet Wienebüttler Weg. Claudia Kalisch sagt dazu: "Der hier entstehende Wohnraum wird dringend benötigt." Wieder lohnt ein kurzer Rückblick, der alles etwas weniger märchenhaft erscheinen lässt. Ihre Partei, das sind die Grünen, hatte viel zu mäkeln, dass Richtung Vögelsen raus gebaut wird. Kaltluftschneise, zunehmender Verkehr und so weiter. Baugebiete finden die Grünen verständlicherweise aus ökologischen Gründen nicht so gut.
Sei's drum. Die Pressemitteilung der Stadt erklärt uns, warum erst jetzt Maschinen rollen: "Die Erschließung des Neubaugebietes hatte sich lange Zeit aufgrund einer Normenkontrollklage verzögert. Erst im Mai hatte der 1. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts den Normenkontrollantrag gegen den Bebauungsplan für das Neubaugebiet „Am Wienebütteler Weg“ abgelehnt."
Nun war es allerdings so, dass der Rat im Juli 2022 trotz des Verfahrens beschlossen hatte, dass Gelände vor Ablauf des Prozesses zu erschließen. Dabei verließ sich die Mehrheit auf ein Gutachten, das besagte, das Risiko dafür sei gering. Doch was ist schon ein Ratsbeschluss? Es passierte letztlich kaum etwas bis nix. Nun ändert sich das. 15 Monate später. Zinsen höher, Baukosten gestiegen. Was soll’s. Das ist wieder gemein.
Zur Mitteilung sendet die Verwaltung ein Foto. Da zeigt sich die Oberbürgermeisterin hinter der Schaufel eines Baggers und wirkt dabei so entschlossen wie ihr Parteifreund Anton Hofreiter, wenn er für Raketen- und Panzerspenden für die Ukraine das Wort ergreift. Ganz so entschlossen war Frau Kalisch in der Vergangenheit nicht. Als die Ratsmehrheit damals auf Empfehlung der Verwaltung für den frühzeitigen Beginn der Arbeiten votierte, hatte sich die Oberbürgermeisterin der Stimme enthalten. Erstaunlich. Traut sie ihrer eigenen Verwaltung nicht? Hat sie keine Meinung? War sie nicht fürs Bauen?
Tempi passati. Denken wir an den ersten Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, der sagte: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Nichts hindert mich daran klüger zu werden." Eben. Einfach umdenken. Damit sind wir wieder bei Erfolgsgeschichten, und mir fällt der einzige Hit von "Fehlfarben" aus dem Jahr 1982 ein: "Keine Atempause/ Geschichte wird gemacht/ Es geht voran!"
Genau, Geschichte wird gemacht. Oder eben erzählt. In diesem Sinne, schöne Geschichten für Ihr Wochenende. Carlo Eggeling
Kommentare
am 07.10.2023 um 17:09:12 Uhr
Weiter so!