Mehr als 2000 Wohnungen fehlen
von Carlo Eggeling am 28.11.2025Wohnen sei eines der zentralen unserer Zeit, weiß man im Dialograum Innenstadt. Im Dezember soll sich daher alles um das Thema Wohnen drehen. Nicht zum ersten Mal. Im August wusste die LZ in dieser Causa von Erkenntnissen zu berichten, die im Dialograum schon zusammengetragen wurden: "In Frankfurt am Main werden Mieter auf dem Markt durch eine Mietpreisbremse und einen qualifizierten Mietenspiegel besser gestellt. Die Stadt Landau (Rheinland-Pfalz) hat ein aus Lüneburger Sicht interessantes Instrument gegen den Wohnungsleerstand, eine Zweckentfremdungssatzung: Wer dort eine Wohnung leer stehen lässt oder beispielsweise als Gewerbefläche nutzt, muss Geld zahlen. Bis zu 50.000 Euro."
Nun also erneut, man kann nur hoffen, dass dieses Mal jemand dabei sitzt, der Lüneburger Verhältnisse fachlich kennt. Das könnte bei aller Bürgerbeteiligung ungemein Zeit sparen. Denn Lüneburg besitzt sowohl eine Zweckentfremdungssatzung als auch einen qualifizierten Mietspiegel.
LA hat daher jetzt im Rathaus nachgefragt. Die Antwort: "Die Satzung der Hansestadt Lüneburg über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum ist am 25. Juli 2019 erstmals für fünf Jahre in Kraft getreten. Seitdem hat die Hansestadt insgesamt 13 Zweckentfremdungen beendet, sodass die Wohnräume wieder satzungskonform genutzt werden. Mit Ratsbeschluss vom 20. Juni 2024 wurde erneut eine Satzung ab dem 25. Juli 2024 für weitere fünf Jahre erlassen. Aktuell steht für die Bearbeitung der Fälle eine halbe Stelle zur Verfügung. Diese Kapazitäten werden derzeit im vollen Umfang dafür gebraucht, eingehende Anträge auf eine Genehmigung der Zweckentfremdung oder auf ein Negativ-Attest sowie Meldungen oder Anfragen Dritter zu mutmaßlich zweckentfremdetem Wohnraum nachzugehen."
Von Juli 2024 bis Oktober 2025 seien der Verwaltung rund 40 Fälle gemeldet worden. "Ein Viertel davon sind Anträge auf eine Genehmigung der Zweckentfremdung oder auf ein Negativ-Attest", sagt Stadtsprecher Stefan Ahrens. "Drei Viertel der Fälle sind Meldungen oder Anfragen. Alle Fälle sind in Dauer, Aufwand und Ergebnis ganz individuell zu sehen. Teilweise handelt es sich auch um Falschmeldungen oder Meldungen/Anfragen zu Immobilien, zu denen der Verwaltung bereits ein Antrag auf eine Genehmigung der Zweckentfremdung oder auf ein Negativ-Attest vorliegt. Teilweise konnten Fälle mit einer umfassenden Beratung abgeschlossen werden. Bislang wurden nur ein Antrag auf Zweckentfremdung genehmigt und vier Negativ-Atteste ausgestellt. Derzeit befinden sich noch 15 Fälle in Bearbeitung."
Negativ-Attest bedeutet, es liegt kein Verstoß vor. Der Handlungsspielraum der Stadt scheint überschaubar: "Ist bei langfristig leerstehenden oder baufälligen Immobilien nachgewiesen, dass die Eigentümer den Wohnraum instand setzen, gilt es nicht als Zweckentfremdung (§ 3 Abs. 2 Nr. 3. ZwEntS). Auch bei Immobilien, bei denen eine Sanierung unwirtschaftlich ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 ZwEntS), oder bei Abriss gilt es nicht als Zweckentfremdung."
Es gibt Dauerbeispiele für angeblich aufregenden Leerstand. Rund um den neuesten Brand im "Gespensterhaus" an der Lauensteinstraße meldeten sich einige zu Wort, die darauf hinwiesen, dass das Haus verfalle, es solle für Wohnraum gerettet werden. Für das Gebäude ist der Abbruch geplant, Neubaupläne liegen laut Eigentümer im Bauamt vor. Aber auch am Eisenbahnweg und im Roten Feld stehen Häuser seit Jahren leer, ohne dass etwas geschieht. Der Einfluss der Stadt scheint begrenzt.
Der Arbeitskreis Lüneburger Altstadt, seit einem halben Jahrhundert kritischer Begleiter der Stadtentwicklung, blickt in seinem aktuellen Heft Aufrisse ebenfalls auf das Thema. Allerdings aus einem anderen Blickwinkel. Welche Rolle spielt der Tourismus? Reiner Netwall betont zwar, dass der ALA nichts gegen Gäste und -- schlicht gesagt -- deren Geld habe, aber die vielen Urlauber haben Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt.
Netwall rechnet in einem Vergleich die Belastung vor. Barcelona habe 1,6 Million Einwohner, komme 16 Millionen Touristen pro Jahr, auf einen Einwohner kommen also zehn Touristen. Lüneburg steuern bei 79.697 Einwohnern rund sechs Millionen Touristen pro Jahr an, das mache pro Einwohner 75 Touristen. Noch dramatischer sei es, wenn man auf die Altstadt blicke, die zähle 5759 Bewohner: "Das sind 1041 Touristen, die pro Jahr auf einen Einwohner kommen."
Noch mehr Zahlen: "In diesem Stadtteil ist klar zu erkennen, wie durch die zunehmenden Ferienwohnungen die Bewohnerzahl abnimmt. 2019 / 6027 Bewohner; 2025 / 5759 Bewohner."
Während viele Menschen mühsam nach einer bezahlbaren Bleibe suchen, haben Urlauber eine große Auswahl. Netwall: "Im Internet werden bei Airbnb, booking.com und anderen Anbietern in Lüneburg inzwischen weit über 1000 Ferienwohnungen und Zimmer zur Vermietung angeboten. Hier kommen dann noch die Wohnungen hinzu, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht über diese Plattformen
angeboten werden. Es sind nicht die genehmigten Ferienwohnungen, die uns ein Dorn im Auge sind, sondern die Ferienwohnungen ohne Genehmigung, die oft auch ohne einen persönlichen Kontakt über das Internet gebucht werden können. Offiziell gemeldet sind bei der Stadt Lüneburg weniger als die Hälfte der im Internet angebotenen Wohnungen. Eine Kontrolle findet laut Aussagen einiger Behördenmitarbeiter aus Personalmangel nicht statt."
ALA-Vorstandsmitglied Netwall führt zudem eine Untersuchung des Gewos-Instituts für Stadt-, Regional- und Wohnforschung an, das für die Hansestadt 2023 erstellt worden sei: "In Lüneburg fehlen aktuell mehr als 2000 Wohnungen und in der Zukunft sogar 3500 Wohnungen. Es fehlen kleine bezahlbare Wohnungen für Jüngere und auch erschwingliche 4 - 5 Zimmer-Wohnungen für Familien. Diese sind auf dem Lüneburger Wohnungsmarkt kaum noch zu finden. Die wenigen Wohnungen, die auf diesem Segment angeboten werden, sind für die meisten Familien unbezahlbar. So verliert Lüneburg, trotz Wohnungs- und Hausleerstand, die nächste Generationen – einschließlich ihrer Kaufkraft – an das Umland."
Ob Programmpunkte des Dialograums helfen wie etwa ein "Workshop „Visionen gemeinschaftlichen Wohnens“. Mit „stadtspieler“, einem Trainingsspiel für Stadtentwicklung und Kreativität, gehen die Teilnehmenden der Frage nach: Was erhoffen wir uns vom Wohnen in Gemeinschaft?" Wem Haus und Wohnung fehlen, dürfte andere Sorgen haben. Carlo Eggeling
Kommentare
am 29.11.2025 um 22:39:07 Uhr
Währenddessen darf das Gäste-Klientel beruhigt weiter durch die Altstadt schlendern: Wohnraum wird streng geschützt – außer natürlich, wenn er gerade offiziell zweckentfremdet wird. Denn die eigentliche Kunst liegt nicht im Verhindern, sondern im Genehmigen. Wer braucht schon Wohnungen für Lüneburger, wenn man Anträge für Ferienwohnungen so schön sortieren kann?
Die Botschaft aus dem Rathaus ist klar: Wohnraum ist zum Wohnen da – aber nur, solange kein Tourist anklopft. Und wenn doch, dann gibt’s ein Negativ-Attest, ein Ratsbeschluss und ein freundliches „Bitte weitergehen“. Verwaltung eben: effizient wie ein Faxgerät, modern wie ein Aktenordner, und immer mit einem Auge auf das Gäste-Klientel, das längst zum heimlichen Lieblingsmieter der Stadt geworden ist.
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